Ein exotisches und höchst interessantes Thema, die französischen Bilderhandschriften der Frührenaissance, von denen eine im Brukenthalmuseum aus Hermannstadt zu finden ist- darüber handelt die Doktorarbeit von Frank-Thomas Ziegler, Leiter des Bereichs Schwarze Kirche an der Evangelischen Kirche A.B. Kronstadt. Ziegler hat die Arbeit bereits vor mehreren Jahren in Tübingen verteidigt, doch erschien sie vor Kurzem als Buch mit dem Titel „Recueil Robertet. Handzeichnungen in Frankreich um 1500“ im Didymos-Verlag aus Affalterbach, Deutschland. Das Buch ist auch bei der Erasmus-Buchhandlung bestellbar und verspricht sich als interessante Lektüre, nicht nur für Experten. Es weist darauf hin, dass sich in Siebenbürgen neben dem siebenbürgischen auch ein wertvolles europäisches Kulturerbe bewahrt hat, das oft noch unerkannt ist. Frank-Thomas Ziegler wurde in Mediasch geboren, wanderte 1988 mit den Eltern aus und studierte nach dem Abitur Kunstgeschichte in Tübingen und Bonn. Sein Museumskonzept für das Brukenthalmuseum wurde 2008 mit dem Habermann-Preis ausgezeichnet. Nach drei Jahren der Tätigkeit an der Staatsgalerie Stuttgart nahm er 2009 das Angebot der Evangelischen Kirche A.B. Hermannstadt an, sie bei der Inventarisation der restituierten Brukenthal-Sammlungen zu unterstützen. Schwerpunkte seiner kunsthistorischen Arbeit liegen auf Deutungsproblemen frühneuzeitlicher Kunst und auf der Überlieferungslandschaft Siebenbürgen. Über das Buch „Recueil Robertet. Handzeichnungen in Frankreich um 1500“ sprach mit Frank-Thomas Ziegler die KR-Redakteurin Elise Wilk.
Herr Ziegler, was ist der Recueil Robertet?
Der Recueil Robertet ist eine faszinierende Bilderhandschrift des ausgehenden Mittelalters und ein bedeutendes Kulturdenkmal Frankreichs. Er ist noch in der Welt der Ritter und Burgen entstanden, allerdings als listiger Vorbote der Renaissance. Die meisten seiner 172 Federzeichnungen sind so etwas wie allegorische Bilderrätsel: Die „Triumphe Petrarcas“, das Schicksalsrad, antike Gottheiten, die Musen, eine Art „Sprichwortbilder“, „schöne Frauen“, und dergleichen mehr. Seine Schöpfer waren vermutlich Jean und François Robertet, die Königen und Herzögen als hochgestellte Sekretäre dienten und ihre humanistische Bildung aus Italien bezogen.
Weshalb ist eine Forschungsarbeit zu diesem Thema nützlich und relevant?
Die Arbeit wirft nicht nur auf eine Gruppe bedeutender Handschriften neues Licht. Sie bietet neuen Einblick in die Prozesse, die eine Kultur beim Übergang von einer Epoche in eine andere durchläuft. Die Manuskripte sind nämlich keine Musterbücher, sondern, wie ich meine, sorgfältig zusammengestellte Erziehungsliteratur, mit der Heranwachsende aus dem Umkreis der Robertet auf die Welt und das Leben zu Hofe vorbereitet werden sollten. Dabei bringen die Handschriften in einer noch stark ritterlich geprägten Gesellschaft die neuartigen Ideen des Humanismus in intellektuell-verrätselter Form in Umlauf.
Wie kamen sie zum Thema für Ihre Doktorarbeit?
Durch eine Entdeckung in der Brukenthalbibliothek. Zwar war ich auf der Suche nach ganz anderen Dingen, stieß aber auf ein weiteres originales Exemplar des Recueil Robertet, eine wenige Jahre jüngere „Kopie“. Erst beim zweiten Durchblättern erkannte ich, dass der Recueil Robertet und das Hermannstädter Manuskript zusammengehören. Bald stellte ich fest, dass die Wissenschaft selbst zum berühmten Recueil Robertet nicht hatte klären können, warum all die disparaten Bildthemen darin versammelt worden waren. Oft nahm sie an, dass es sich um ein bloßes Musterbuch handele, also um ein Sammelsurium von Modellen für Künstler, die Inspiration suchten. Weit gefehlt!
Welches war der schwerste Teil ihrer Forschung?
Auf einigen Zeichnungen erscheinen geheimnisvolle Details: eine kleine Münze aus der südfranzösischen Provence, oder innerhalb der Serie der anonymen „schönen Frauen“ das bezaubernde Reiterbildnis einer echten historischen Gestalt, der Herzogin von Bar. Es dauerte seine Zeit, bis ich Erklärungen bieten konnte. Sich in das Mittelfranzösisch der Begleitverse hineinzufuchsen, das sich von modernem Französisch knifflig genug unterscheidet, war aber auch ein Abenteuer. Eine weitere Herausforderung bestand in der Literaturbeschaffung, da Rumänien auf diesem Gebiet leider am Ende der Nahrungskette vegetiert. Man muss mobil sein.
Was sind die „Sprichwortbilder”?
Sie gehören sicher zu den charmantesten Bildern des Recueil Robertet. Man sieht Höflinge und Hofgelehrte, Bürger, Bauern, Handwerker, Marktfrauen, Narren oder auch Tiere diversen Geschäften nachgehen. Die Szenen setzen zumeist französische Redensarten und Sprichwörter ins Bild. Viele davon gibt es auch in der deutschen Sprache, etwa „den Ast abhacken, auf dem man sitzt“ – und da sieht man dann einen Höfling, der eben den Ast unter seinen Füßen durchtrennt und im Begriff ist, in einen Teich zu plumpsen; oder „die Großen fressen die Kleinen“ – hier verschlingt inmitten eines Dorfweihers ein großer Fisch einen kleinen. Mit den Sprichwortbildern warnen Jean und François Robertet jugendliche Leser vor den Gefahren des intrigenreichen Hoflebens, um sie für eine Karriere zu Hofe zu ertüchtigen.
Welches sind die wichtigsten Ergebnisse ihrer Forschung?
Das wichtigste Ergebnis ist vermutlich die inhaltliche Entschlüsselung der Handschrift. Jede Zeichnung enthält eine Botschaft, eine Wertung. Humanistische Kernbotschaften sind: Klugheit, Maßhalten, Fleiß und Gemeinschaftssinn wiegen mehr als Gier, Kraft und Gewalt; Tugendadel ist edler als Blutadel. Mit ihrer Botschaft stimmt jede Zeichnung, wie die Sänger eines Chors, in die Vielzahl der Stimmen ein. Als Gesamtheit treffen die Zeichnungen dann sogar noch eine übergeordnete, menschheitsgeschichtliche Aussage: Seit dem Sündenfall ist die Welt trügerisch und unwirtlich, aber durch Vernunft und Tugend kann sich der Mensch aus dem selbstverschuldeten Leidenszustand befreien und an der Gnade Gottes teilhaben. Nun wissen wir, dass die Handschriften weitreichende, auch innovative Gedanken im harmlosen Gewand eines reizvollen Bilderbuchs an die Höfe brachten und damit den Epochenwandel vorantrieben.
Ihre Arbeit ist vor Kurzem als Buch erschienen und ist auch bei der Erasmus-Buchhandlung bestellbar. An wen richtet sich das Buch hauptsächlich?
Die Promotion an der Universität Tübingen lag bereits mehrere Jahre zurück, als wir mit dem Didymos-Verlag zur Publikation schritten. Jetzt liegt ein Fachbuch vor, das aber nicht in Fachjargon verfällt. Wer ein helles Auge und offenes Ohr für die europäische Kulturgeschichte hat, der wird selbst für die eigenen Regional- und Heimatstudien einiges gewinnen können: Das Buch hilft, den Blick für Sinnschichten zu schärfen, die in vielen Kulturgütern verborgen liegen und noch der Entdeckung harren. Und auch wer einfach große Lust hat, in die aufregende Gedanken- und Bilderwelt des frühen Humanismus einzutauchen, der für Europa so folgenreich wurde, hat dazu besondere Gelegenheit.
Herr Ziegler, wir danken für das Interview!