Zugebissen: Diät

Geht man auf der Straße, öffnet man den Browser auf Computer oder Handy, schaltet man Radio oder Fernseher ein, wird einem ständig mitgeteilt, dass man der Gefahr ausgesetzt ist, übergewichtig zu sein. Um dem vorzubeugen, könnte man sich auch bewegen, mindestens eine halbe Stunde pro Tag, heißt es am Ende fast jedes Werbeblocks, oder zu einem pharmazeutischen Wundermittel greifen. So präsent scheint diese Gefahr zu sein, dass man nur noch mit dem Damoklesschwert über dem Kopf schläft, dass bald der Moment kommt, wo die eigene Fettmasse wie in einem Zeichentrickfilm zu einer bildschirmfüllenden Explosion führen wird.

Verfolgt man das politische Geschehen der letzten zwei Wochen in Rumänien, hat man den Eindruck, dass die noch jüngst in den Wahlkampagnen als Volksretter auftretenden Politiker in corpore zu Staats-Diät-Spezialisten mutiert haben. Plötzlich sind sich alle einig: der rumänische Staatsapparat leidet an morbidem Übergewicht. Es muss und soll schleunigst abgespeckt werden. Wie dieses gehen soll? Da hat jeder seine eigene Vorstellung.

Die Sozialdemokraten, die Hand in Hand mit den Liberalen in den letzten Jahren den Patienten mit Junkfood zugeschüttet haben, würden am liebsten mit der bevorstehenden Kur nichts zu tun haben. Sie wissen, dass der Weg in ein gesundes Leben Opfer abverlangen wird und dafür möchten sie nicht verantwortlich sein. Sie würden am liebsten am Rand sitzen, zusehen, wie der Kranke sich zum gesunden Lebenswandel hin abrackert und ihn immer wieder daran erinnern, dass er früher trotz Junkfood glücklich war. Die Liberalen, die Union Rettet Rumänien und die Vertretung der ungarischen Minderheit schreien in die Welt hi-nein, dass sie dabei sind, Hauptsache es wird abgespeckt. Über die einzusetzende Diät wird gerade mit neuem Präsidenten verhandelt. Das Novum: der Präsident verlangt erst Einstimmigkeit was die Diät betrifft, bevor er die Trainings- und Ernährungsspezialisten ernennt, die diese umsetzten sollen.
Anders das souveränistische Lager: dieses erlebt ein unerwartetes internes Abmagerungsverfahren. Schwarzfasten. Ihre Reihen lichten sich so rapide und ihre Gliedmaßen gehen so schlagartig ein, dass sie von ihrem politischen Körper abfallen und verschwinden. Die, die noch den Mut haben zu reden, wobei sie längst nicht mehr so hörbar sind wie vor den Wahlen, faseln etwas vom eigenen dakischen Fett, den schönen nationalen Rundungen... doch wenn das Volk es nicht anders haben wollte, solle es nun leiden. In der Zwischenzeit entspannt sich der Parteivorsitzende im Schatten polnischen adipösen Gewebes und tut so, als ob er selber zu dessen Bildung entscheidend beigetragen hätte.

Innerhalb der noch zu bildenden Regierungskoalition herrscht Einheit: der Staat muss auf Kur. Er muss in den von Verträgen und Förderprogrammen vorgesehenen Anzug wieder reinpassen, denn sonst droht der Entzug lebensnotwendiger Mittel, was am Ende zu einer noch brutaleren Diät führen würde. Die Krankheit ist nun diagnostiziert, die Gefahr erkannt. Die einzusetzenden Methoden müssen zwar gut überlegt sein, doch darf man sich nicht vom Mittelfindungsprozess so sehr vereinnahmen lassen, dass dieser sich zum Selbstzweck entwickelt. Der Hang dazu ist der rumänischen Politik nicht fremd. Wenn dem zu kurierenden Patienten etwas fehlt, dann ist es Zeit. Man muss schnellstens die Trainer festlegen und diesen auf das Laufband zwingen. Und dann muss er sich schlanklaufen. Denn nur so kann das Abmagerungsverfahren nachhaltig sein und er ein eigenes Schutzsystem entwickeln. Gutgemeinte, die weiterhin seinen Schlund mit ungesundem Essen gerne vollstopfen würden, gibt es mehr als genug, auch wenn sie jetzt die Besorgten spielen. Natürlich wird sich der Körper selber auch zur Wehr setzen. Es lebt sich mehr als gemütlich im weichen Sessel, der das eigene Fett trägt.