Man kann ihn nicht sehen und er ist trotzdem überall. Er fordert nur und gibt nichts zurück. Er unterdrückt, er quält, er erniedrigt, er hält alle Fäden in der Hand, es gibt anscheinend nichts, vorauf er keinen Anspruch hätte, er ist der ultimative Feind, er ist der Satan. Er ist der rumänische Staat.
Das Verhältnis des rumänischen Bürgers zum eigenen Staat ist mehr als gespalten. Der „Staat“ ist der ultimative Feind. Diese unpersönliche und nicht wirklich zu fassende Krake, die ihre Arme überall ausgestreckt hat. Die einzige persönliche Beziehung lässt sich in der Formulierung „die da oben“ erahnen, ohne aber auch wirklich verstehen zu lassen, wer eigentlich damit gemeint ist. Der Vertrag zwischen Bürger und Staat ist für den Durchschnittsrumänen nichts anderes als eine Beziehung, in die man hineingezwungen wird, für die man sein ganzes Leben bezahlen muss.
Historisch gesehen kann man in der rumänischen Geschichte in der Tat schwer Momente identifizieren, in denen der Staat als Dienstleister wahrgenommen wurde. Tatsächlich haben sich über Jahrhunderte hinweg diejenigen, die den Staatsapparat gebildet haben und bilden, auf allen Ebenen als die wahrhaftigen Verkörperungen der Macht wahrgenommen. Und da ist Rumänien anscheinend außerhalb der Zeit stecken geblieben und widersetzt sich jeder Weiterentwicklung.
Man muss nicht unbedingt auf die oberste Ebene der Politik schauen, um zu verstehen, dass die Körperschaft des rumänischen Staates sich nicht als Dienstleister am Bürger versteht. Wer hat nicht dieses Gefühl des Ganges nach Canossa erlebt, wenn man zu einer der rumänischen Behörden muss. Schon in der Haltung jedes Portiers spürt man herabwürdigendes Mitleid, denn er weiß, was hinter den Türen, denen er so erhaben professionell vorsteht, auf einen wartet. Sein Blick sagt: „Du armer Wurm willst dich freiwillig in die Hölle begeben, dessen Schlund ich hier bewache. Kehr doch um. Der Satan kriegt dich noch früh genug. Ein Entkommen gibt es eh nicht.“
Am Eingang vorbei wartet der Höllenring der Schalter. Wer kennt nicht die rumänischen Schalter mit dem kleinen Fenster, zu dem man sich hinabbücken muss, um in dieser ergebenen Haltung die mitgebrachten Papiere durchzureichen. Hinter jedem Schalter sitzt ein Zerberus auf dem Stuhl der Macht über die richtigen Papiere. Ein Wesen, welches mit jeder Pore sagt: „Der Staat bin ich“. Und der nimmersatte Rachen des Staates muss mit Papieren gestillt werden. Natürlich hat man nie genug und mit Sicherheit hat man nie alle richtigen Papiere dabei. Dieses selbstverschuldete Vergehen wird einen neuen Besuch zur Folge haben.
Geschieht letztendlich das Wunder, dass man alles richtig gemacht hat – und man versteht selber nicht, wie dieses überhaupt gelungen ist – steht einem der Hürdenlauf im Höllenring der Büros bevor. Von Türe zu Türe geschickt, gehetzt und gejagt, träumt man von Würde und dem Ende der eigenen Fehlerhaftigkeit und versteht, was mit der alten Weisheit gemeint ist, dass der Teufel im Detail steckt.
Ob diese dem Staatsapparat innewohnende Haltung von oben nach unten oder umgekehrt am Leben gehalten wird ist unwichtig. Sicher bleibt, dass der rumänische Bürger einerseits in einer offensichtlichen Feindschaft mit SEINEM Staat lebt und daher alles nur mögliche tut, um diesen zu umgehen, aber andererseits in der direkten Beziehung zu demselben noch immer dem Bewusstsein unterliegt, dass das gebeugte Haupt vom Schwert nicht abgetrennt wird.
Die Lösung? Das Gefühl der Zwickmühle ignorierend mit erhobenem Haupt einfordern, dass die zu erwartenden Dienstleistungen erbracht werden, und zugleich so viele Mitbürger wie möglich zu überzeugen, über den eigenen Schatten zu springen, um verstehen zu können, dass nicht nur die Anderen der Staat sind. Leider klingt dies im rumänischen Alltag wie unrealistische Zukunftsmusik.