Josef Geml hatte Pech. Er hatte Pech, der Nachfolger eines ganz besonderen Bürgermeisters geworden zu sein – gemeint ist Carol Telbisz. Und er hatte Pech, in einer sehr harten Zeit, die Stadt Temeswar zu verwalten. Er wurde nur kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum Bürgermeister der Stadt gewählt, verlor das Amt, als dann Temeswar nach dem Krieg nicht mehr zur Donaumonarchie, sondern zu Rumänien gehörte. Respektiert wurde er jedoch weiterhin, auch der neue Bürgermeister Stan Vidrighin soll ihn zu Rate gezogen haben. Respektiert war er, aber wenig beliebt. Als Banater Schwabe, der ungarnfreundlich eingestellt war, war er weder bei den Schwaben noch bei den Ungarn oder Rumänen besonders beliebt. Dabei sollte man eigentlich auf den Kontext schauen, auf den Geist der Zeit, in der er die Stadt verwaltete: Wichtig ist eigentlich nicht die Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe – für das damalige Temeswar ist die Stadtkultur und damit das Miteinander der Bürger besonders prägnant. Vielmehr sollte man in Josef Geml einen loyalen Beamten des damaligen Regimes erkennen.
Dies sind nur einige Worte, die bei der Vorstellung der ersten rumänischen Übersetzung von Gemls Buch „Alt-Temesvar im letzten Halbjahrhundert 1870-1920“ gesprochen wurden. Das Wort ergriffen Universitätsprofessor Victor Neumann, der Direktor des Kunstmuseums Temeswar, Marlen Heckmann Negrescu, die Übersetzerin des Buches, sowie der Ethnograf und ehemalige Publizist Walther Konschitzky, dem die deutsche Neuauflage aus dem Jahr 2011 zu verdanken ist, und der Historiker Ioan Haţegan.
Geml war gelernter Jurist, hat sich in der Lokalverwaltung hervorgetan, war aber auch als Fachpublizist und Historiker bekannt. „Alt-Temesvar im letzten Halbjahrhundert 1870-1920“ ist sein bedeutendstes Werk und gilt als eine wichtige Quelle für Historiker. 446 Seiten umfasste das Buch in der deutschen Version, es erschien 1927 in zirka 100 Exemplaren, auf schlechtem Papier und wurde über Jahrzehnte von Hand zu Hand gereicht. Wer ein Exemplar hatte, konnte sich glücklich schätzen.
2010 hatte Walther Konschitzky die Neuauflage im Banat-Verlag in Deutschland vorgeschlagen, diesmal auch von Fotografien, die er selbst gemacht hatte, begleitet: „Ich hatte bereits 40 Jahre davor schon mit dem Buch gearbeitet. Ich habe damals von Robert Reiter (Franz Liebhard) ein Exemplar dieses sehr, sehr seltenen Buches bekommen. Es ist eine so reiche Quelle an Informationen, aber nicht nur an gesicherter Information, sondern auch an Atmosphäre, an Humor. Es ist nicht nur eine Monografie, es ist ein Rechenschaftsbericht über eine Zeit, über das alte Temeswar in den Jahren 1870-1920“.
Das Buch ist jetzt, 90 Jahre seit der Erstauflage, in rumänischer Übersetzung von Marlen Heckmann Negrescu unter dem Titel „Vechea Timişoar² în ultima jum²tate de secol 1870-1920“ im Verlag „CosmopolitanArt“ erschienen. Die Redner war sich einig: Es gibt einige wesentliche Bücher für die Geschichte der Stadt, darunter die Preyer-Monografie oder die Geschichte des Banats, die Griselini veröffentlicht hat. Eines davon ist Gemls Buch über die Jahrhundertwende. „Geml hat die Entwicklungen der Stadt miterlebt und mitgestaltet. Für diese 50 Jahre gibt es keine bessere Quelle, die Dokumente, auf die er sich stützt, gibt es weitgehend nicht mehr. Das städtische Archiv ist zu 90 Prozent verlorengegangen verschollen ist, man weiß es nicht. Vermutlich ist ein Teil in Serbien, aber noch nicht aufgetaucht. Geml hat die Daten zur Geschichte der Stadt, zur Stadtentwicklung, zur Stadtbevölkerung und auch zu Kulturereignissen aufgeschrieben. In den über 20 Kapiteln hat er die verschiedensten Bereiche angesprochen und diese sehr, sehr professionell behandelt. Die deutsche Auflage vom 2010 und jetzt die rumänische Ausgabe füllen eine Lücke“, erklärte Walther Konschitzky.
Der Leser begibt sich in eine Zeitkapsel, hob die Übersetzerin Marlen Heckmann-Negrescu hervor. In dem Buch geht es nämlich nicht nur um Statistiken – und Josef Geml war ein besonders guter Statistiker – sondern auch um das Leben in der Stadt. Es tauchen Antworten auf Fragen auf wie: „Warum haben unsere Vorfahren die alten Mauern zerschlagen?“ Oder: „Wie haben die Menschen gelebt?“ Auch Witze aus der damaligen Zeit werden erwähnt, „ungesalzen nach unserem jetzigen Geschmack“, aber umso wichtiger, um das alte Temeswar wiederaufleben zu lassen, so die Übersetzerin. „Es war an der Zeit die rumänische Übersetzung zu veröffentlichen, um die heutigen Bürger und damit das Publikum zu erreichen, das sich Geml gewünscht hätte“, so Marlen Heckmann Negrescu.