DER BZ-KOMMENTAR: Der EU-Schub

Über dem Mediengewurstel zur Jahreswende 2017, Regierungsbildung, Johanniszaudern, PSD-Drohgestik und so, ging das zehnjährige Jubiläum des EU-Beitritts Rumäniens/Bulgariens unter. Trotz Nichterfüllung von (geschürten) Erwartungen darf von Erfolg gesprochen werden. Rumänien hat einen Leistungssprung vollbracht, der es international auf den Vergleichsskalen voranbrachte.

Laut Europäischem Statistikinstitut Eurostat liegt Rumänien heutzutage bei einem BIP pro Einwohner von 57 Prozent des europäischen Durchschnitts. Im Beitrittsjahr waren es 39 Prozent. Während andere Staaten der Region stagnierten – die Türkei unter Erdogan bei 44 Prozent, Montenegro bei 42 Prozent – oder sich nur langsam entwickelten (Serbien und Mazedonien liegen bei 36 Prozent des EU-Durchschnitts-BIPs, Albanien bei 30 Prozent, Bosnien und die Herzegowina bei 28 Prozent), machte Rumänien einen Entwicklungssprung von 18 Prozent. Das wirtschaftlich viel gelobte Kroatien liegt nur noch einen Prozentpunkt davor.

Auch die Armutsrate wurde verringert. 2006 lag das Armutsrisiko laut Eurostat bei 47 Prozent der Bevölkerung, 2016 nur (noch) bei 37 Prozent. Von den rund 20 Milliarden Euro, die Rumänien in der EU-Haushaltsperiode 2007-2013 aus Brüssel für Projektumsetzungen zugestanden waren, sind rund 16 Milliarden Euro abgerufen worden. Es hätten mehr als 80 Prozent des Verfügbaren sein können, wenn die Regierungen uneingeschränktere Bereitschaft zur Kofinanzierung gezeigt hätten und die EU sich weniger bürokratisch anstellen würde.

Der EU-Beitritt hat jedoch auch einen gewaltigen Exodus der Arbeitsfähigen bewirkt. Rund drei Millionen Bürger Rumäniens arbeiten im Ausland, nur noch 4,7 Millionen sind im Inland beschäftigt. Es wird immer schwieriger, das Rentengeld aufzubringen. „Tröstlich“: In Bulgarien übertreffen die 2,5 Millionen im Ausland tätigen Bürger um 400.000 die im Inland Beschäftigten.

Der EU-Beitritt vertiefte die regionalen Bruchlinien. Bukarest weiß, mit 125 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Einwohner, über der gesamten Balkanregion zu liegen. Entwicklungspole (Klausenburg, Temeswar, Jassy) liegen über dem Balkandurchschnitt, bei konstant hohen Wachstumsraten. Aber: fünf der acht Entwicklungsregionen von Rumänien gehören zu den 20 ärmsten Regionen der EU.

Schengen tritt Rumänien auch 2017 nicht bei. Wie auch, mit einem  PSD-Justizminister Florin Iordache, der zu den Initiatoren des „Schwarzen Dienstag“[1] gehörte und nun ein Amnestiegesetz und gesetzliche Ausnahmeregelungen für Volksvertreter nicht ausschließt; wenn der Ombudsmann, Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, vor dem Verfassungsgericht dagegen klagt, um dem starken Mann Rumäniens, Liviu Dragnea, den Weg zum Regierungschef freizuschaufeln, den er, ein auf Bewährung Verurteilter, vergeblich anstrebt?

 


[1] „Marţea neagră“, erster parlamentarischer Anlauf zu einem Amnestiegesetz, einschließlich für verurteilte Parlamentarier, Dezember 2013