„Sie schreiben Gedichte.“ Das ist einer der Sätze, der mir in Erinnerung geblieben ist. Ein Satz über einige junge Erwachsene an der deutschen Abteilung des Lyzeums in Großsanktnikolaus, die damals, Mitte, Ende der 1960er Jahre aufgefallen waren.
Aufgefallen, weil sie etwas anders waren als die anderen. Sie traten selbstbewusst auf, drückten sich gewählt aus, standen bei den großen kirchlichen oder weltlichen Festen, dem Kirchweihfest z. B., eher beobachtend am Rande. Trotzdem wäre es falsch, daraus eine gewisse Überheblichkeit ableiten zu wollen. Dem war nicht so. Heute würde ich sagen, dass sie manche Verhaltensweisen einfach hinterfragten und daraus ihre Schlüsse zogen, danach handelten, selbständig handelten. In diesem Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, hat auch die damalige Deutschlehrerin, Dorothea Götz, die jungen und Gedichte schreibenden Männer bestärkt. Sie war eine starke Persönlichkeit, eine mutige Frau und eine sehr gute Deutschlehrerin. Ihre Skripte wurden an der Schule herumgereicht und weitergegeben, auch, als sie nicht mehr dort wirkte. Nach ihrer Ausreise war sie kurze Zeit Redakteurin der „Banater Post“ in München, später legte sie eine Studie zur Integration der Vertriebenen in Landshut vor, wo sie auch heute, hochbetagt lebt. Innerhalb unserer kleinen Gemeinschaft kreuzen sich viele Wege.
Doch zurück an die Schule in Großsanktnikolaus. Viele der älteren Schüler, zu denen wir aufschauten, trugen damals lange Haare, einige hatten Jeans aus Deutschland an, originale Jeans also, zum Teil gebleicht, ausgewaschen, die Schülerinnen trugen kurze Röcke. Ständig gab es deswegen Auseinandersetzungen zwischen Lehrern und Schülern. Wie die Gedichte und Texte damals an der Schule oder in der deutschen Gemeinschaft vor Ort aufgenommen wurden, kann ich schlecht beurteilen. Man redete darüber, man verstand nicht alles und doch war man irgendwie auch stolz auf das, was Vertreter dieser Generation so emanzipiert von sich gaben. Heute sage ich: Für den kleinen Kreis der Schreibenden und der Interessierten war das wichtig. aber es fehlte ein größerer, öffentlicher und freierer Raum zur Entfaltung von Text und Geist.
Als ich dreißig Jahre später mit einem ehemaligen Lehrer darüber diskutierte, sagte er mir, dass es für ihn sehr wichtig gewesen sei, diese Autoren und ihre Bücher, um sich zu wissen. Ich sagte ihm, dass ein anderer Lehrer mit der Direktive in die Klasse gekommen sei, dass mindestens zwei Abos der „Neuen Literatur“ abgeschlossen werden müssten. Und keiner ein solches Abonnement abschließen wollte. Da entstand schon eine Abwehrhaltung, auch gegen Inhalte, ohne diese zu kennen.
Frau Götz war damals nicht mehr an unserer Schule. Wohl hatten wir auch daheim im Bücherregal einige dünne Kriterion-Ausgaben dieser Dichter, aber gezielt gesucht und zum Teil dafür teuer bezahlt habe ich diese Bücher dann erst in Deutschland. Alle habe ich noch nicht gefunden, aber es fehlen auch nicht mehr viele. Wenn ich die Bücher jetzt zur Hand nehme und darin lese, gelegentlich die umfangreiche Sekundärliteratur zu Rate ziehe, dem einen oder anderen der jetzt ergrauten Dichter bei einer Lesung oder anderswo begegne, so bin ich froh, dass auch die Zeit damals im Banat einen literarischen Niederschlag gefunden hat. Manche der Gedichte schreibenden Schüler von einst sind Schriftsteller geworden, Journalisten, Wissenschaftler und haben uns auf den sich kreuzenden Wegen schreibend begleitet, bis heute. Das ist gut so!
P.S. An dieser Stelle sei noch nicht verraten, welche der damals jungen Dichter von den Schülerinnen des Lyzeums besonders umschwärmt wurden, wer von ihnen am Ostermontag, in Großsanktnikolaus, dem Tag des Bespritzen der Mädchen mit Parfüm, zur Gitarre gegriffen und Roy Black zum Besten gegeben hatte, wie nach langen Diskussionen und Feiern der Weg nach Hause so gewählt wurde, dass am frühen Morgen eine Begegnung mit den zum Markt eilenden Frauen vermieden werden konnte.
Sie gingen ihren eigenen Weg.