Stadtgeschichte(n) und Stadtleben

Dreisprachiges Album über Temeswar erschienen

Das Buch ist im Temeswarer Nepsis-Verlag erschienen

Bei der Buchvorstellung auf Zoom: Smaranda Vultur und Adriana Babeti (links oben) sowie Vasile Docea, der Direktor der Zentralen Universitätsbibliothek Temeswar. Die Bibliothek beinhaltet auch das Interview- und Bildmaterialarchiv der Stiftung „A Treia Europa“, nun auch in digitaler Form. Unten: Antonia Berti, die einige der Interviews geführt hat. Foto: die Verfasserin

Geschichten und Bilder von Temeswarern, die die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt haben, sind in dem Band „Memorie și diversitate culturală la Timișoara. Scene de viață 1900-1945“ („Rückerinnern und kulturelle Vielfalt. Lebensszenen aus Temeswar 1900-1945) zusammengetragen. Bereits 2001 war das Album zum ersten Mal erschienen, damals zweisprachig (Rumänisch und Französisch) und unter dem Schirm der Stiftung „A treia Europă“ („Das dritte Europa“); diesmal handelt es sich um eine dreisprachige Neuerscheinung, wobei die Übersetzung ins Englische dazugekommen ist und der Inhalt durch Interviewfragmente und Fotos bereichert wurde, die inklusive 2005 realisiert wurden.

Der Band, dem das Parfüm des alten Temeswar entnommen werden kann, trägt die „Marke“ Smaranda Vultur, die eine Gruppe junger Forscher koordiniert hat: „Die Interviews haben das Zusammenkommen damals sehr junger Menschen mit älteren Generationen von 80-90-jährigen bedeutet“, wie Smaranda Vultur bei der Zoom-Buchvorstellung vor wenigen Tagen erklärte, wobei für sie und Adriana Babeți, die die Moderation übernommen hat, die Buchhandlung „La două bufnițe“ als Kulisse diente, eben der Gastgeber des Events.

Smaranda Vultur erinnerte sich: „2001 ist die erste Auflage des Albums erschienen, das im Rahmen der Stiftung ‚Das dritte Europa‘ und zusammen mit dem Französischen Institut realisiert wurde. (…) Jetzt erscheinen aber auch Interviews aus dem Jahr 2005, als wir ein gemeinsames Forschungsprogramm mit Dresden über das Gedächtnis der Städte hatten, bei dem mehrere Treffen organisiert wurden und wir auf eine Definition der Stadtkarte gekommen sind, die aus Erinnerungen gezeichnet wird. Denn eigentlich rekonstruiert diese Sammlung von Augenzeugenberichten und Bildern das Leben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgrund von Fragmenten, die ich den Interviews entnommen habe. Dieser zweiten Auflage steht eine Wiederlektüre der Interviews zugrunde, die am Ende des Buches aufgelistet sind“.

Nach dem Vorwort von Smaranda Vultur steht zu Beginn des Bandes ein Essay von Ileana Pintilie, der dem Leser wertvoll erscheinen wird: „Temeswar – ethnische Gemeinschaften und privilegierte Orte der Erinnerung“. Der Band ist in mehrere Kapitel unterteilt, die verschiedene Aspekte des Lebens der Bürger der Stadt beleuchten sollen: „Temeswar, ethnische Gemeinschaften und Orte“, „Die Familie“, „Kinder und Erziehung“, „Jugendliche, Freizeit und gesellschaftliches Leben“, „Konditoren und Konditoreien“, „Zentrum, Spaziergänge, Corso“, „Häuser und ihre Geschichten“ und „Die Fabrikstadt“. Es ist erzählte Geschichte, mit der der Leser in Kontakt kommt, durch die Aussagekraft oder die Anekdotik der einzelnen Interviewfragmente werden Lebensweisen und damit verwoben auch die Stadtgeschichte vom Anfang des 20. Jahrhunderts wiederbelebt. Sicherlich kann der Band nur ausgewählte Perspektiven bieten, denn auch die Interviews waren nicht soziologisch, sondern aufgrund der Methode der Oral History, der mündlich überlieferten Geschichte geführt. So würde der Leser sich vielleicht wünschen, mehr zu lesen oder dass auch andere Themen dazukommen. Die Themen haben sich jedoch aus dem existierenden Interviewmaterials erschließen lassen, es waren wiederkehrende Aspekte in den Erinnerungen der Alttemeswarer.

Wenn man das „Nicht Genug“ (trotz der über 240 Seiten) bemängeln kann und mehr fordern will als Leser, so kann man sich doch an den Geschichten erfreuen und vor allem an den Fotos, die den Alltag in einer längst verschwundenen Zeit festhalten: ein Gruppe Schülerinnen an der römisch—katholischen Schule Notre Dame im Jahr 1938, ein Malatelier Anfang der Dreißiger Jahre, die Terrasse der Konditorei Arendt, ein Dinner mit dem Temeswarer Bürgermeister im Jahr 1937, das Hippodrom in Temeswar 1936, Tennisspieler in der „Regata“ im Rosenpark, die Damen noch in langen Kleidern, die man Anfang des 20. Jahrhunderts getragen hat, oder ein Event des Roten Kreuzes aus dem Jahr 1939 und viele andere mehr, die so zusammengetragen dem Erinnern helfen.