Die junge Sarah hat vor kurzem ihr Abitur absolviert. Sie ist aus Deutschland nach Rumänien gekommen, um als Freiwillige in Temeswar/ Timisoara zu arbeiten und den Patern vom Katholischen Salvatorianer Orden bei ihren sozialen Aktivitäten zu helfen. Aus einer neuen Perspektive die Welt zu sehen, „aus der Reichtums-Gesellschaft heraus zu kommen“, bevor sie anfängt zu studieren. Dabei soll ihr das Jahr hier in Rumänien helfen. Sarah, Freiwillige der JV (Jesuit Volunteers), ist an diesem Tag zusammen mit Caesar in der Kantine des Klosters in der Elisabethstadt für das Verteilen des Essens an die Obdachlosen aus dem Stadtviertel zuständig. Caesar hat sein Theologie-Studium beendet und kandidiert derzeit für den Mönchsorden.
Eine notwendige Initiative
Als 1990 Pater Berno Rupp, Mitglied des Katholischen Ordens der Salvatorianer nach Temeswar kam, um seinen Mitbrüdern zu helfen, hat er hier sofort die Armut und die Nöte Rumäniens entdeckt. Es war gleich nach der Wende, ein Land, vom Kommunismus tief verletzt, ein Ort, an dem sogar, oder insbesondere, Pfarrer nicht mehr den Mut hatten, sich für Menschen in Not einzusetzen. Auch nach der Wende blieben sie zutiefst geprägt von dem, was sie erlebt hatten, wo ihnen alles genommen wurde und sie ihre Mission nicht mehr erfüllen konnten.
Die katholische Pfarre im Stadtteil Mehala wurde zu Pater Bernos Zuhause, denn das Klostergebäude in der Elisabethstadt wurde vor der Wende der staatlichen Telefongesellschaft übertragen. Erst 1992 wurde das Gebäude durch Gerichtsbeschluss der Kirche zurückerstattet und ein Jahr später zog Pater Berno hier ein – in ein leeres Gebäude. Das Problem der Obdachlosen war damals in Temeswar, sowie in den meisten rumänischen Städten, besonders gegenwärtig: Die schlechte Verwaltung der Kinderheime war ebenfalls ein Grund, weswegen viele Kinder und Jugendliche das Leben auf der Straße bevorzugten – zumal es keine Gesetze gab, die ihr Leben nach Erfüllung des Erwachsenenalters regelten.
Vor der Kirche in der Elisabethstadt saßen sie ebenfalls; auf den damaligen Kanaldeckeln. Manchmal störten sie die Gottesdienste in der „zweitürmigen Kirche“, wie sie im Volksmund heißt. Für Pater Berno war es klar, dass er etwas für sie machen musste: Zunächst gab er ihnen Anoraks für den Winter, danach die Möglichkeit zu einer warmen Dusche. 1994, an Weihnachten, gab es dann die erste Mahlzeit im Untergeschoß des Klosters. „Wir hatten damals nur 20 Teller und Löffel, deshalb mussten Mönche und Obdachlose im Turnus die Mahlzeiten einnehmen“, erinnert sich Pater Berno.
Keine Mahlzeit im Rausch
Schon vor der Essenszeit stehen die Bedürftigen vor dem Eingang des Klosters, wo sie wissen, dass sie eine warme Mahlzeit bekommen werden. Genau um halb Zwei öffnet Caesar das Tor und bittet sie hinein – eine Regel wird aber streng respektiert: Keiner der getrunken oder Drogen genommen hat, darf rein. Das kann dann manchmal zu Animositäten führen, wie heute, als einige Jugendliche unter Drogeneinfluss nicht ins Kloster durften und die Polizei den Konflikt schlichten musste. Meistens läuft es aber ruhig ab und die Obdachlosen verstehen auch die Bedeutung dieser Regeln. Heute sind es 16 Leute, die im kleinen Kellerraum des Klosters in der Elisabethstadt essen werden. Nachdem das Vater Unser gesagt wird, stellen sie sich in die kurze Warteschlange, um die Suppe, die Caesar verteilt, zu bekommen. Sarah gibt das Brot dazu. Sie ist zum ersten Mal mit dabei und möchte erst einmal beobachten, wie das Ganze funktioniert. Sie hat vor einiger Zeit schon einmal anderweitig beim Verteilen von Essen für Obdachlose mitgemacht. Das Gefühl ist aber dasselbe geblieben: „Auf der einen Seite freut es mich natürlich, zu wissen, dass die Menschen es hier besser haben, aber auf der anderen tut’s weh, sie so zu sehen“.
Ionel schmeckt es hier besonders gut: „Wir haben draußen kein Essen und das, was wir hier bekommen, ist warm und schmackhaft“. Nudeln- und Wurst-Suppe gibt es diesmal – die Hungrigen, vorwiegend Alte, strecken die Teller zum zweiten und zum dritten Mal zu Caesar hin. Er füllt sie jedes Mal, nur zum Mitnehmen gibt es nichts. Diejenigen, die essen möchten, sind jeden Tag hier willkommen. Am Abend gehen einige von ihnen auch ins Nachtasyl der Caritas, um dort ein Abendbrot zu bekommen und zu übernachten.
Nachtasyl als Projektvervollständigung
„Die Obdachlosen hatten zwar zunächst etwas zu essen, aber nachts mussten sie immer noch auf der Straße schlafen“, erinnert sich Pater Berno und erklärt, wie es zum Nachtasyl in der Brâncoveanu-Straße gekommen ist. Eine vergleichbare staatliche Einrichtung gibt es bis heute in der Bega-Stadt nicht. „Ich habe mir dann gedacht: Wenn ich fünf Leute finden würde, mir dabei zu helfen, dann könnte ich das Nachtasyl gründen.“ Aber die fünf Leute hat er nicht gefunden und das Nachtasyl blieb bis 1999 nur ein Wunschdenken. Dann kam die Schule der Salvatorianerinnen aus Berlin zu Hilfe: 25.000 D-Mark haben die Schüler gesammelt und Pater Berno zugeschickt. Das war viel mehr Geld, als er sich erhofft hatte, doch immer noch nicht genug, um ein Haus zu kaufen. Das Projekt verwirklichte dann der Salvatorianer Orden aus Deutschland und der Temeswarer Caritas-Verband, der auch heute das Nachtasyl verwaltet.
Lenu]a, die vor kurzem in Temeswar angekommen ist, muss auch manchmal abends ins Nachtasyl. Alle Papiere für ihre Abfahrt nach Deutschland, um dort als Altenpflegerin zu arbeiten, sind schon fertig, aber bis zur Abreise schläft sie auf der Straße und wartet auf die Antwort der Firma, die sie anzustellen versprach. Wann das sein wird, weiß sie nicht.
Satt gegessen verlassen die Obdachlosen, einer nach dem anderen, den Raum. Nur zwei von ihnen, die sich am Anfang freiwillig gemeldet haben, bleiben, um den Raum zu putzen. Sarah geht mit dem Geschirr nach oben, in die Küche des Klosters und Caesar begleitet alle anderen bis zum Ausgang. Seitdem sich jemand nach der Mahlzeit gewollt im Kloster verirrte, achtet er besonders darauf. Alle danken höflich für die Mahlzeit und grüßen zum Abschied mit der Gewissheit, dass viele von ihnen auch am kommenden Tag wieder zugegen sein werden.