„Das Siebenbürgen von einst ist in der Erinnerung lebendig“

Interview mit der Schriftstellerin Dagmar Dusil

Im Oktober 2017 las Dagmar Dusil Auszüge aus ihrem neuesten Roman anlässlich der Katzendorfer Kulturtage vor.

Dagmar Dusil im Pfarrhof von Katzendorf

In Katzendorf in der Nähe von Reps findet seit 2011 eine Veranstaltung statt, die internationales Aufsehen erregt: die Verleihung des Katzendorfer Dorfschreiberpreises. Dafür wird ein Schriftsteller ausgewählt, der ein Jahr lang kostenlos in der Dichterklause am Pfarrhof von Katzendorf untergebracht wird, um in aller Ruhe schreiben zu können. Am liebsten ein Werk, das auch mit dem malerischen Dorf zu tun hat. Initiator dieses Projektes ist der in Berlin und Katzendorf lebende rumäniendeutsche Schriftsteller und Drehbuchautor Frieder Schuller. „Im deutschsprachigen Raum gibt es ja den Begriff ‘Stadtschreiber’“. Da dachte ich mir, hier in Katzendorf wäre es interessant, einen Dorfschreiber zu haben“, argumentiert er seine Idee. In den letzten Jahren haben mehrere Schriftsteller von diesem einzigartigen Stipendium profitiert: Elmar Schenkel, Jürgen Israel, Tanja Dückers, Carmen Francesca Banciu. 2017 wurde „die Katze mit der Feder“ an die in Hermannstadt geborene Dagmar Dusil verliehen.  Dusil  studierte Anglistik und Germanistik an der „Babeș-Bolyai“-Universität in Klausenburg. Bis zu ihrer Ausreise in die Bundesrepublik im Jahre 1985 unterrichtete sie Englisch. Heute lebt sie in Bamberg als freie Autorin und Übersetzerin. Sie veröffentlicht Prosa und Lyrik, die auch ins Rumänische und Englische übersetzt worden sind.  Sie nahm an diversen Internationalen Literaturtagen teil und ist Mitglied der GEDOK Franken, der internationalen Autorenvereinigung Die KOGGE, der Künstlergilde Esslingen und des Exil-Pen-Clubs.
Nun ist ein Jahr vergangen und das Dorfschreiber-Stipendium ist zu Ende. Über den Alltag eines faszinierenden Dorfes, die Kraft der Erinnerung, die Inspiration, die ein fremder Ort verleiht, und das Leben in mehreren Welten sprach mit Dagmar Dusil KR-Redakteurin Elise Wilk.

 


Ein Jahr  kostenlos wohnen, um in aller Ruhe schreiben zu können – das ist ein Traum fast jedes Schriftstellers. Nun ist ihr Katzendorfer Jahr zu Ende gegangen. Wie war es? Wie oft haben sie das Dorf in diesem Jahr besucht?

Wie es war? Da möchte ich mit drei Worten antworten: erlebnisreich, erfahrungsintensiv, inspirierend. Das ist die kurze Antwort. Die ausführliche Antwort wird in einem Buch, das entstanden ist, nachzulesen sein. Denn die gemachten Erfahrungen und Erlebnisse sowie die inspirierenden Geschehnisse wollten in Worte gekleidet werden und haben nach einem eigenen Buch verlangt.
Ich habe Katzendorf öfters besucht. 2017 war ich bis im Spätherbst dort, der sich in all seinen siebenbürgischen Facetten gezeigt hat, und dann seit dem Frühjahr 2018 war ich, immer wieder unterbrochen von kleinen Stadtfluchten nach Hermannstadt, bis Ende September dort.


Interessant ist, dass die meisten ehemaligen Dorfschreiber (Elmar Schenkel, Jürgen Israel, Tanja Dückers) nicht aus Siebenbürgen stammten. Für diese Autoren war es eine unbekannte Welt, die sie zu entdecken hatten, um ihre Erfahrungen literarisch zu verarbeiten. Für Sie war es anders. Sie sind in Siebenbürgen aufgewachsen und nichts ist ihnen hier fremd. Glauben Sie, dass ein Ort interessanter wird, wenn er mit den Augen eines Fremden betrachtet wird? Oder war Katzendorf trotzdem eine Inspiration für Sie?


Es stimmt, dass die ehemaligen Dorfschreiber, mit Ausnahme der aus dem Banat gebürtigen Carmen Francesca Banciu, nicht aus Rumänien stammten und sie auf eine unbekannte Welt stießen. Dass mir nichts fremd in Siebenbürgen ist, stimmt nur teilweise. Ich bin ein Stadtkind, als solches in Hermannstadt aufgewachsen und habe bis zu meiner Ausreise nach Deutschland dort gelebt.
Das Leben auf dem Land war mir völlig fremd und  eröffnete mir eine neue unbekannte Welt, die es zu erkunden galt. Ein unbekannter Ort ist immer interessant und kann zur Inspirationsquelle werden. Nachdem ich viele Jahre in Deutschland gelebt habe und nur selten nach Rumänien gereist bin, stellte ich mir oft die Frage, wie es sei, den Ursprungsort mit den Augen einer Fremden zu sehen. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, das Bild von der Patina des Vergangenen und manchmal auch schmerzlich Erlebten zu befreien und ein unbefangenes Bild entstehen zu lassen.
Katzendorf war Inspiration. Die Eindrücke waren so vielfältig wie die Landschaft, wie die Bewohner, so reichhaltig wie die wechselvolle Geschichte selbst. Die Dichterklause im Pfarrhof mit der Pergola davor wurde nicht nur zu einem poetischen Ort sondern ich erlebte auch die  Poesie des Ortes.

Nach der Verleihung des Dorfschreiberpreises im Oktober 2017 haben Sie aus dem Roman gelesen, an dem Sie gerade arbeiteten. Sie meinten, ein wichtiger Teil davon wird in Katzendorf spielen. Können Sie uns etwas über die Handlung verraten? Wann wird das Buch erscheinen?

 

Ein Kapitel des Romans spielt in Katzendorf, woher eine der Personen stammt. Über die Handlung möchte ich nichts verraten, sie spielt zum Teil in Rumänien, zum Teil in Deutschland. Doch bevor dieser Roman erscheinen wird, hoffe ich, dass das „Katzendorf-Buch“, das noch keinen Titel hat, im nächsten Jahr  publiziert wird.

Bis zu ihrer Ausreise in die Bundesrepublik im Jahr 1985 haben Sie in Hermannstadt gelebt. Diese Zeit hat sie sehr geprägt, das können die Leser in ihren Büchern bemerken, u. a.  „Hermannstädter Miniaturen“ oder „Blick zurück durchs Küchenfenster“. Es sind „Erinnerungsreisen in die ferne Stadt der Kindheit“, wie sie selbst sagten. Auch im Kinderbuch „Tor für die Sterne“ geht es um die Sehnsucht nach der Heimat. Im Laufe der Jahre hat sich Siebenbürgen verwandelt. Was ist, ihrer Meinung nach, so geblieben wie früher? Was ging verloren?


Ich würde Hermannstadt meinen glücklichen Aufenthaltsort nennen. In den „Hermannstädter Miniaturen“ nenne ich Hermannstadt die erste Bühne meines Lebens. Was uns prägt, ist die Kindheit, im positiven wie auch im negativen Sinn. Das Bild und die Erlebnisse der Kindheit, in der wir Hauptdarsteller sind, begleiten uns ein Leben lang. Louise Gluck, die amerikanische Schriftstellerin, hat es treffend formuliert: „We look at the world once, in childhood. The rest ist memory“ (Wir werfen einen Blick auf die Welt, in der Kindheit. Der Rest ist Erinnerung“). Die Erinnerung schlummert ein Leben lang im Unterbewusstsein, um eines Tages zu erwachen. Es ist der Umgang mit der Erinnerung, der uns voneinander unterscheidet, als Künstler und als Mensch.
„Nichts ist so beständig, wie die Veränderung“, hat Kierkegaard festgestellt. Nicht nur die Zeiten ändern sich, auch die Menschen. Wer das Siebenbürgen des vorigen Jahrhunderts sucht, wird es nicht finden. Das Siebenbürgen von einst ist in der Erinnerung lebendig. Die Atmosphäre spürt man noch hier und dort, alte Traditionen gingen jedoch verloren, leben jedoch in einer anderen Form und an anderen Orten wieder auf. Neues entsteht. Demographische Strukturen verändern sich. Was wir antreffen, ist ein „verrücktes“ Siebenbürgen. Ein teilweise entleertes Siebenbürgen mit Geisterdörfern und Ruinen, doch es ist auch ein neues Siebenbürgen, ein europäischeres Siebenbürgen mit Rückkehrern und  Fremden, die hier eine neue Bleibe finden. Vor allem ist es ein lebendiges Siebenbürgen, mit der Stetigkeit der bunten Laubbäume im Herbst, mit der Explosion des Holunders und der Akazien im Frühling, mit rauer Luft und mit herzlichen Menschen.
Wir dürfen nicht vergessen, wenn etwas verloren geht, so entsteht gleichzeitig etwas Neues.

Wie stark hat sie die Erfahrung der Ausreise und des Lebens in einem fremden Land geprägt? Wurden Sie zu einem anderen Menschen?  Hat sich auch ihr Schreibstil verändert?


Die Ausreise und das Leben in einem fremden Land bedeuten eine Zäsur in der Existenz eines Menschen. Es war ein Neuanfang, der bei mir in der Lebensmitte stattfand. Ich habe mich beruflich neu orientiert und bin einem Brotberuf nachgegangen. Und ich habe die Welt bereist. Diese Erfahrungen und Wandlungen in meinem Leben haben dann ihren Niederschlag in meinem Schreiben, das ich irgendwann zu meiner Hauptbeschäftigung machte, gefunden.
Sprache ist lebendig und verändert sich. Somit verändert sich auch der Schreibstil. Doch man sollte sich selbst treu bleiben, keine Kompromisse machen.


Sie wuchsen in einer Familie mit unterschiedlichen Einflüssen auf, unter anderen auch mit polnischen, tschechischen und italienischen. Sich selbst beschreiben Sie als „vielleicht zehn Prozent siebenbürgisch-sächsisch“. Was bedeutet für Sie „zu Hause“?


Für diesen multikulturellen Hintergrund bin ich dem Schicksal dankbar. Er hat mich gegen das Fremdsein gewappnet und zu einem toleranten Menschen werden lassen. Die angesprochenen „zehn Prozent siebenbürgisch-sächsisch“ sind das Erbe meiner Urgroßmutter mütterlicherseits.
Auf die Frage, was zu Hause für mich bedeutet, könnte ich antworten Bamberg, Hermannstadt, doch es wäre nur die halbe Wahrheit. Es gibt eine Ästhetik des zu Hause, in der man sich wohl fühlt, was an verschiedenen Orten sein kann. Sicherlich gibt es auch eine Sehnsucht nach „zu Hause“. Letztendlich ist man zu Hause in der Sprache oder wenn man seine Mitte gefunden hat.
Zu Hause ist für mich auch Sprache und die eigene Mitte finden.

Sie sind Vorsitzende der HOG Hermannstadt. Welches sind Ihre neuesten Projekte in dieser Hinsicht?


Für 2019 plane ich mit der HDH eine kulturelle Reise nach Nordsiebenbürgen und Czernowitz und das Hermannstädter Treffen, das zwischen dem 13. – 15. September in Dinkelsbühl stattfindet, will auch vorbereitet werden.

Frau Dusil, wir danken Ihnen für das Gespräch!