Ein Leinenbeutel, so klein wie eine Handfläche, liegt hinter einer Glasvitrine im Ausstellungsraum im ersten Stock der Gedenkstätte der Revolution von 1989 in Temeswar/Timișoara. Der Rand des Säckchens ist mit gleichförmigen, braunen Stichen versiegelt. Sechs bunte Muster zieren den Beutel, gut zu erkennen sind unter anderem: ein braunes Kätzchen, ein Blumenkranz, ein Motiv aus der rumänischen Folklore und ein vierblättriges Kleeblatt – ein Glücksbringer. Das bunt gestickte Säckchen war einst ein kostbares Geschenk für eine Frau, die nichts Böses tat, jedoch vom kommunistischen Regime als „Volksfeindin“ betrachtet hinter Gitter gesteckt wurde. Sie war im siebten Monat schwanger und musste unter menschenunwürdigen Bedingungen leben.
Iuliana Predu] ist der Name der Frau, die den Leinenbeutel als Geschenk zur Geburt ihrer Tochter bekommen hat. Das Baby nannte sie, hoffnungsvoll, „Libertatea“ – „die Freiheit“, auf Deutsch, die hinter Gittern geborene Freiheit. Iuliana Predu] gebar Justina Libertatea am 19. September 1958 – sie war im Juni verhaftet und in die Haftanstalt von Văcărești gesteckt worden.
Das Schicksal von Iuliana Preduț (1929–2002) und weitere 70 andere Schicksale können seit Anfang letzter Woche von den Besuchern der Gedenkstätte der Revolution in der Oituz-Straße entdeckt werden. Dort wurde die Ausstellung „Volksfeindinnen“/ „Dușmance ale poporului“ der Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und des antikommunistischen Widerstands aus Marmaroschsighet/Sighetu Marmației eröffnet. Bei der Ausstellungseröffnung durch Direktor Gino Rado waren die Geschäftsführerin des Memorials in Sighet, Dr. Ioana Boca, und die Ausstellungskuratorin Dr. Virginia Ion zugegen, wobei Letztere im Anschluss durch die Ausstellung führte.
Im Flur steht ein langer Tisch mit vielen Fotografien, auf denen Frauen zu sehen sind – die „Volksfeindinnen“ haben nicht nur einen Namen, sondern auch ein Gesicht. „Wir haben die Ausstellung absichtlich so betitelt, weil dies die Bezeichnung der Kommunisten für alle Menschen, die sich gegen das Regime stellten, war“, erklärte Kuratorin Virginia Ion. Einfache Frauen, gebildete Frauen, Studentinnen, Mütter, Schwangere – die Kommunisten nahmen keine Rücksicht auf Status oder Lebenslage der Frauen, die sie wegen Verbrechen gegen das Regime ins Gefängnis steckten. Manche waren direkt am Widerstandskampf beteiligt, andere standen ihren Männern zur Seite.
Die Ausstellung in der Gedenkstätte der Revolution bringt nicht nur einzelne Lebensgeschichten, sondern auch recht viele Informationen an den Besucher. Laut einer am Memorial in Sighet erstellten Statistik waren 5,31 Prozent der im kommunistischen Rumänien aus politischen Gründen inhaftierten Personen Frauen. Im ersten Ausstellungsraum rechts können die Besucher anhand von anschaulichen Diagrammen aus Holz eine Auswertung des weiblichen Kampfes gegen den Kommunismus finden, aber auch Gegenstände, die den Inhaftierten gehörten – wie etwa der kleine Leinenbeutel für die frischgeborene Justina Libertatea, der mit viel Mühe und Sorgfalt für den kleinen Hoffnungsschimmer genäht worden war. Berichten von Iuliana Preduț zufolge sollen sich viele Inhaftierte, darunter auch Roma-Frauen, um die Kleine gekümmert und sie gestillt haben. Justina Libertatea, die Freiheit, war damals ein Licht im Dunkel.
Im letzten Teil der Ausstellung dringt der Besucher durch einen Vorhang in einen verdunkelten Raum ein. Lebensgroße Bilder der Frauen, die gegen das Regime gekämpft haben, stehen linkerhand. Sie werden durch Beamer auf die Leinwand projiziert und verschwimmen nach wenigen Sekunden, um wieder scharf zu erscheinen. An den Wänden hängen schwarze Plakate mit Texten, die durch Lampen beleuchtet werden. Man muss sich konzentrieren, um sie lesen zu können, und ein erdrückendes Gefühl, wie wenn man selbst eingeschlossen wäre, überkommt einen. Für das Ausstellungsdesign zeichnet Zeppelin Design verantwortlich. Ganz am Anfang, auf einem Plakat, kann – neben vielen anderen – auch die tragische Lebensgeschichte von Iuliana Preduț nachgelesen werden. Die Tochter des Ortspfarrers Ion Constantinescu der Gemeinde Corbi im Kreis Argeș hatte – gemeinsam mit ihrem Vater - in den 50er Jahren der Partisanengruppe aus Nucșoara geholfen. Die Partisanen um Toma Arnăuțiu, eine Art „Gesetzloser“ (rumänisch: haiduc), hatten oft bei Pfarrer Ion Constantinescu Zuflucht und Unterstützung gefunden. Iuliana wurde 1958 wegen Meldeversäumnis eines Verbrechens (Anm.: Sie hatte ihren Vater bei der Securitate nicht verpetzt) zu zwölf Jahren Zwangsarbeit, fünf Jahren Aberkennung der Bürgerrechte und Vermögensbeschlagnahmung verurteilt. Nachdem sie in den Gefängnissen von Pitești, Văcărești, Jilava, Miercurea Ciuc, Arad und Oradea eingesessen hatte, wurde sie 1964 freigesprochen. Ihre Tochter, Justina Libertatea, kam ins Kinderheim, konnte Jahre später mit ihrem Vater wiedervereint werden und lebt heute noch, auch wenn nur wenig über sie bekannt ist, laut Internet-Recherche.
Die Ausstellung über die „Volksfeindinnen“ kann bis zum 6. Oktober besichtigt werden. Sie ist Teil des Europäischen Kulturhauptstadtprogramms und wurde durch das Inside-Programm des Temeswarer Projektezentrums mit Geldern vom Staatshaushalt finanziert.