Weiße Baumstämme verschwinden unter der Decke. Ein Fluss mit einem Steg durchquert die Bühne. So sah der renommierte russische Regisseur Yuri Kordonsky gemeinsam mit dem Bühnenbildner Dragoş Buhagiar den „Letzten Tag der Jugend“. Am Freitag und Sonntag (28. und 30. Oktober) brachte die rumänische Abteilung des Hermannstädter Radu-Stanca-Theaters als erste Premiere der neuen Saison eine Uraufführung auf die Bühne.
Die Grundlage für das Theaterstück lieferte der Roman eines der bedeutendsten zeitgenössischen polnischen Autoren: Tadeusz Konwicki. Der Originaltitel lautet „Kronika wypadków milosnych“ (Chronik der Liebesunfälle) und erklärt das Geschehen viel besser, als das der rumänische Titel „Ultima zi a tinereţii“ vermag. Da das Buch offiziell noch nicht ins Rumänische übersetzt wurde, muss man sich mit dieser Auslegung von Übersetzerin Maşa Dinescu zufriedengeben.
Für seine Theaterinterpretation nahm der Regisseur Kordonsky eine, seiner Meinung nach, nicht besonders gelungene Übersetzung des Romans ins Russische, verbesserte sie und schuf daraus eine ergreifende, spannende Bühnengeschichte: Eine Liebesstory vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Sie ist voller Tragik, Romantik, gespickt mit Humor, durchzogen vom Alltag der Schulabsolventen und vernebelt von einer unerklärlichen Vermischung der Zeiten.
Das flüchtige Treffen zwischen einem Unbekannten und Vitek in der ersten Szene bestimmt den weiteren Verlauf der Geschichte. Erschrocken läuft Vitek weg – um dieser Gestalt dennoch immer wieder zu begegnen. Die Rolle des Unbekannten spielt Marian Râlea. Er ist nicht nur ein Beobachter und ein Erzähler, sondern er ist ein Teil dieser Geschichte, auch wenn man bis zum Ende nicht genau weiß, wie er mit ihr verbunden ist.
Darauf erhält der Zuschauer keine direkte Antwort: nur Andeutungen und Vermutungen. Der Unbekannte erscheint und verschwindet, bleibt aber auf eine rätselhafte Weise immer präsent. Bis er am Ende, als einzige Gestalt auf der Bühne, tot in dem vom Blut verfärbten Fluss liegen bleibt.
Für die Besetzung der Hauptrollen hatte der Regisseur eigentlich keine andere Wahl, als die Studenten der Theaterfakultät einzusetzen. „Es ist keine Oper, in der ein grauhaariger Tenor die Rolle von Lenskij singt, weil er es schon seit Jahrzehnten macht. Es ist Theater und die Rollen müssen dem Alter der Protagonisten entsprechend besetzt werden“, erklärte Kordonsky.
Seine Wahl ist sehr gelungen. Die Rolle von Vitek übernahm Alexandru Malaicu. Seine Geliebte Alina spielt Veronica Arizancu. Beide sind nach der Meinung des Regisseurs: „Talentiert und lernfähig. Sie sind noch nicht abgehoben und es war ein Vergnügen, mit ihnen zu arbeiten.“
Ein Genuss war es auch, diese jungen Schauspieler auf der Bühne zu sehen. Die gut strukturierte Welt von Vitek, der nach dem Schulabschluss Medizin studieren will und sich für kaltherzig und logisch denkend hält, erfährt eine unerwartete Wende, nachdem er Alina trifft. Die Liebe, der Alinas Vater feindlich gegenübersteht, macht alle seine Pläne zunichte.
Dem gescheiterten Fluchtversuch der Verliebten folgt ein gemeinsamer, aber misslungener Selbstmordversuch. Jedoch ist es der ausbrechende Zweite Weltkrieg, der nicht nur den Blutregen auf die Bühne prasseln lässt, sondern auch die Zukunft ganz anders gestaltet.
An der Zusammensetzung des insgesamt neunköpfigen Ensembles gab es nichts auszusetzen. Zwei weitere Studenten spielen die Geschwister Engel (Constantin Podu) und Greta (Iulia Popa). Von den konsekrierten Mitgliedern der rumänischen Abteilung verkörperte Diana Fufezan die abergläubische Mutter von Vitek.
Sie ist stets um ihren Sohn besorgt und hofft, dass sie der Demütigung entrinnt, die sie durch den Selbstmord ihres Mannes erfahren hat, wenn der Sohn mal Arzt ist. Den Oberst Nalenc, Alinas Vater, konnte keiner besser spielen als Cristian Stanca. Hoch und groß, explosiv und grob, stellt er die perfekte Soldateska dar.
Serenela Mureşan und Ofelia Popii übernahmen die Rollen der Schwestern Olimpia und Cecilia. Beide um die dreißig und bereits lebensmüde. Für Ofelia Popii ist durch die Mitwirkung an dieser Vorstellung ein gut zehnjähriger Traum in Erfüllung gegangen. Als Studentin sah sie das von Yuri Kordonsky inszenierte Stück „Onkel Wanja“ und wünschte mit diesem „großartigen Regisseur zusammenzuarbeiten“.
Eine große Hilfe leistet beim Versetzen des Publikums in das Jahr 1939 der Komponist Vasile Şirli. Seine musikalische Untermalung begleitete einen noch Stunden nach der Vorstellung als ein willkommener Ohrwurm.
Die Inszenierung ist zweifelsohne ein Erfolg. Noch kurz vor der Premiere wurde an einigen Szenen gebastelt. Das Bühnenbild, das zum Teil durch den Brand in der Simerom-Halle zerstört war, musste wieder aufgebaut werden. Das Positive an der Arbeit in Hermannstadt/Sibiu sieht der Regisseur in der Zeit: „An anderen Theatern produziert man nur noch kommerzielle Stücke und hat nie genug Zeit. Hier gab es Zeit, damit das Stück wie ein gepflanzter Baum wachsen und gedeihen konnte.“