Seit nahezu einem Vierteljahrhundert ist für die Bürgerinnen und Bürger Rumäniens die Vorfreude auf das Weihnachtsfest mit der Erinnerung an die letzte Hinrichtung auf rumänischem Boden verbunden: Am Weihnachtstag des Jahres 1989 wurde das Diktatorenpaar Nicolae und Elena Ceauşescu nach kurzem Prozess von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und unmittelbar darauf erschossen. „Drei Tage bis Weihnachten“ lautet denn auch der harmlos daherkommende und euphemistische Titel des jüngsten Films von Radu Gabrea, der in der Vorweihnachtszeit des vergangenen Jahres seine rumänische Premiere feierte.
Radu Gabreas neuester Film gehört zur Gattung des Dokudramas, die Elemente des Dokumentar- sowie des Spielfilms miteinander vermischt. Das kann dadurch geschehen, dass Szenen aus historischen Filmdokumenten mit einer mehr oder weniger geschichtstreuen Filmhandlung kombiniert werden, dass die Schauspieler dokumentarische Filmszenen nachstellen oder dass der Regisseur Ereignisse, die sich zugetragen haben oder zugetragen haben könnten, erstmals ins Bild setzt. Oft kommen im Dokudrama auch Zeitzeugen zu Wort, die aus historischer Distanz über die vergangenen Geschehnisse berichten oder dazu Stellung nehmen.
Je höher der dokumentarische Anspruch, je komplexer die Montage aus Nachrichtenbild, Zeitzeugeninterview und Filmhandlung, je größer die historische Distanz zum dokumentierten, erzählten oder reflektierten Ereignis, desto notwendiger wird die Rolle eines erklärenden, erläuternden, geschichtswissenschaftlich fundierten Kommentars.
In Radu Gabreas Film reduziert sich dieser Kommentar auf die gelegentliche Einblendung dürrer schriftlicher Mitteilungen. So wird der Zuschauer beispielsweise darüber informiert, dass bis heute keiner der Terroristen, die an den Kampfhandlungen der rumänischen Revolution beteiligt gewesen sein sollen, historisch identifiziert werden konnte. Wer dieses Gerücht jedoch gestreut hat und mit welchem Interesse, wer an Stelle der Terroristen tatsächlich geschossen hat, was an Theorien bisher darüber zutage gefördert wurde, davon schweigt Radu Gabreas Film.
Stattdessen wird der Zuschauer, gleich dem Ehepaar Ceauşescu, das nicht weiß, was und wie ihm geschieht, in einen revoltierenden Urzustand des Nichtwissens versetzt, als befände er sich mitten im Taumel der Revolution von 1989. Vielleicht ist es der naive Glaube des Regisseurs, die Bilder mögen sich selbst erklären, indem sie für sich sprechen, vielleicht ist es eine Kapitulation vor dem Umstand, dass die Ereignisse von 1989 historisch und politisch immer noch nicht aufgearbeitet sind, in jedem Fall nimmt ein solcher Film im Rumänien der Gegenwart und noch dazu von einem rumänischen Regisseur wunder.
Selbst in den geschichtswissenschaftlich zum Teil angreifbaren Fernsehsendungen des Discovery Channel History, der Dokudramen am laufenden Band produziert, ist die Bemühung vorhanden, Hintergründe aufzuzeigen, Zusammenhänge darzulegen oder aus der historischen Distanz Bewertungen vorzunehmen. In Radu Gabreas Film gehen solche legitimen Fragen, die immerhin den Zusammenbruch eines politischen Systems und einer über zwanzig Jahre währenden persönlichen Herrschaft betreffen, in den verwirrten und ungläubigen Blicken der Eheleute Ceauşescu unter, die von Victoria Cociaş und Constantin Cojocaru grandios gespielt werden.
Deren großartige schauspielerische Leistungen machen den Film, wenngleich nicht zu einem politisch aufklärenden, historisch lehrreichen und intellektuell befriedigenden Werk, so doch wenigstens zu einem künstlerischen Ereignis. Wie es Constantin Cojocaru gelingt, Nicolae Ceauşescus Stimme nachzuahmen, seine Haltung und seinen Gestus zu imitieren, die Irritation in seinen Blicken wiederzugeben, die Wutausbrüche des Diktators zu mimen und diese dann wieder in Resignation zusammenfallen zu lassen, das ist den Leistungen eines Anthony Hopkins als Nixon oder einer Meryl Streep als Margaret Thatcher in vergleichbaren Hollywood Biopics durchaus ebenbürtig.
Man wird Zeuge, wie die Ceauşescus vom Dach des ZK-Gebäudes mit einem Helikopter aus Bukarest wegfliegen, wie sie sich nach der Landung verdattert in der Landschaft wiederfinden, mit Pkws durch die Gegend kutschiert werden, von Menschen gejagt, permanent zur Flucht genötigt, wie ihre Versuche scheitern, das Heft wieder in die Hand zu bekommen, wie sie schließlich nach Târgovişte gebracht werden, wo sie gefangen gehalten und exekutiert werden, wobei der Film die finale Szene mit schwarzer Leinwand und Geräuschen aus dem Off bestreitet: man hört Ceauşescu die Internationale singen und dann die tödlichen Gewehrsalven.
Der tote „Conducător“, der sich zeitlebens in unzähligen Porträts als Manifestationen eines megalomanen Personenkults verewigen ließ, wird am Ende nicht mehr gezeigt.
Auch wenn Radu Gabreas Film nach dem Drehbuch von Grigore Cartianu die letzten Tage des Ehepaares Ceauşescu historisch detailgetreu aufarbeitet und mit dokumentarischem Pathos auf Zelluloid bannt, so wirken doch die Gespräche des Diktatorenpaars mit Vertretern der einheimischen Bevölkerung über Lebensmittelknappheit, Rationierungen, Kälte in den Wohnungen, generelle Verarmung und andere Auswirkungen ihrer Herrschaft gerade in dieser Ausnahmesituation aufgesetzt und plakativ.
Dass ein einfacher Milizmann den realen Ertrag der nationalen Weizenernte genauer anzugeben weiß als der Staatspräsident, exkulpiert den kommunistischen Führer, der offenbar durch seine Entourage diesbezüglich in Unwissenheit gehalten wurde. Dass sich Ceauşescus Versuche, mit den Schaltzentralen der Macht nach seiner Flucht aus Bukarest wieder in Kontakt zu kommen, derart zögerlich zugetragen haben mögen, verwundert.
Als es dem Diktator gelingt, im Büro einer botanischen Anstalt an ein Telefon zu kommen, von dem aus er die Kaserne in Piteşti erreichen könnte, um den Oberbefehl über die Armee wieder zu erringen, genügt die einmalige Aufforderung eines Milizmanns, um Ceau{escu von seinem Vorhaben abzubringen. Das ist nicht plausibel, auch wenn es historisch wahr sein mag.
Ein Urteil darüber gestattet Radu Gabreas Film freilich nicht.
Unklar bleibt, warum Radu Gabrea den Film über die letzten Tage der Ceauşescus erstens überhaupt und zweitens gerade zum jetzigen Zeitpunkt gedreht hat. Dass Staatsmänner auch nur Menschen sind, ist uns nicht neu, und dass Todesgefahr dieses Menschliche unmenschlich auf die Spitze zu treiben vermag, wissen wir spätestens seit Bernd Eichingers Film „Der Untergang“ mit Bruno Ganz als Hitler.
Vielleicht hätte Gabrea besser daran getan, ein Dokudrama aus einem Spielfilmguss zu drehen, anstatt sich einer intellektuellen Mischform zu bedienen, die hinter ihren eigenen Ansprüchen zurückbleibt. Die Zuschauerzahlen werden darüber Auskunft geben, ob das rumänische Publikum Radu Gabreas Film überhaupt sehen will. Dem Rezensenten ist dies in Bukarest erst beim dritten Anlauf gelungen: Die ersten beiden Versuche scheiterten am Nichtzustandekommen der erforderlichen Mindestanzahl von fünf Kinobesuchern pro Vorstellung.