Ein kleiner Glassplitter kann viel Böses anrichten. Umso mehr, wenn er aus dem zerbrochenen Spiegel des Teufels stammt. Trifft ein solcher Splitter das menschliche Herz, gefriert es zu einem Eisklumpen. Kommt er ins Auge, sieht man alles umher nur hässlich und böse. Diese von Hans Christian Andersen ausgedachte Geschichte steht am Anfang der langen Suche, auf die sich das Mädchen namens Gerda begibt, um seinen Freund Kai aus den Händen der Schneekönigin zu befreien. Gerdas langes Abenteuer im kalten Norden wurde am Samstag, dem 15. Dezember, auf der Bühne des Radu-Stanca-Theaters (RST) verdichtet. Kurz vor dem Jahresende führte die deutsche Abteilung „Die Schneekönigin“ in der Regie von Victor Ioan Frunză auf.
Der einsame Lichtstrahl spiegelt sich in einer Scherbe wieder, mit der Kai (Ali Deac) spielt. Es ist ein gefährliches Spiel, denn diese Scherbe verwandelt sein Herz in einen Eisklumpen. Er verstößt seine Spielfreundin Gerda (Iulia-Maria Popa) und läuft weg, um von der eiskalten Schneekönigin (Johanna Adam) ver- und in einem noblen Mercedes-Schlitten entführt zu werden. Doch wie in jedem Märchen, macht sich ein gutes Herz auf die Suche nach dem Verschollenen. Weder Verwechslung und vergebliche Hoffnung noch Gefahren halten die tapfere kleine Gerda von ihrer Suche ab.
Das erste, was den Blick des Zuschauers anzieht, ist eine bis unter die Saaldecke hohe Mauer, die etwas verbirgt. Die Vorstellung läuft zunächst im vorderen Teil der Bühne ab. Die Szenen wechseln einander rasant. Es scheint, als würde ein riesiger Scheinwerfer die Lebensmomente für kurze Zeit beleuchten, um sie danach wieder in die Schattenwelt der Märchen zurückzuschicken. Soeben war es ein idyllisches Bild mit Kai und Gerda in ihrem kleinen Rosengarten. Nun ist es der Schlitten der Schneekönigin, welcher der Eiswüste und dem tobenden Meer weichen muss. Bald ist es ein Schloss, in dem eine glückliche Prinzessin mit ihrem Prinzen lebt, dann ist es eine Räuberhöhle. Und dann stürzt die schwarze Mauer ein. Das von Adriana Grand entworfene Bühnenbild ist majestätisch. Seine ganze Größe wird dem Publikum jedoch erst sichtbar, als das Geschehen das Schloss der Schneekönigin erreicht. Die Kostüme sind jedoch von Anfang an nicht zu übersehen: Ob Königin, Schicksalsfee (Natalie Sigg), Herr Krähe (Daniel Bucher) oder seine zahme Geliebte (Eva Ungvari), alle sind sie einzigartig, interessant und vielleicht ein wenig zu märchenhaft verkleidet.
Eine weitere Überraschung für die Zuschauer stellte die musikalische Gestaltung der Vorstellung dar. Die Musik lieferte Tibor Cári. Mitgesungen haben alle. Kai ergriff zum Schluss sogar eine E-Gitarre und rockte ein wenig ab. Besonders bei den Liedern, die im Schloss der Schneekönigin gesungen wurden, musste man die Ohren spitzen und verstand trotzdem wenig. Die Texte waren auf Latein. Bedauerlicherweise horchte man oft umsonst auf die Worte der Schneekönigin. Da ihre Stimme akustisch verstärkt wurde, um einen Echo-Effekt zu erzeugen, ging die Klarheit der Aussagen verloren. Aber daran wird bis zur nächsten Vorstellung hoffentlich gefeilt.
Die Aufführung „Die Schneekönigin“ gehört eindeutig zu den gelungenen Vorstellungen der deutschen Abteilung des Hermannstädter Theaters. Dazu trägt neben der Leistung von Regisseur Frunză in erheblichem Maß das Ensemble bei. Die heranwachsende Generation der jungen Schauspieler, die von bereits gestandenen Akteuren nicht nur in den Nebenrollen lernen kann, sondern auch mit den Hauptrollen betraut wird, zeigt ihr Können. Übrigens hat die Geschichte von Kai und Gerda ein Happy End. Sie anzusehen, lohnt es allemal.