Margarethe von Trottas Spielfilm „Hannah Arendt“, der im Herbst vergangenen Jahres auf dem Internationalen Filmfestival von Toronto Weltpremiere und im Januar dieses Jahres Deutschlandpremiere hatte, ist seit Kurzem auch in Rumänien (mit rumänischen Untertiteln) zu sehen. In Margarethe von Trottas neuestem Oeuvre wird nicht nur Deutsch gesprochen. Da der Film schwerpunktmäßig in Amerika spielt, wohin sich die deutsche politische Theoretikerin und Publizistin jüdischer Abstammung vor den Nationalsozialisten geflüchtet hatte, und da auch Jerusalem, wohin Hannah Arendt als Berichterstatterin über den Prozess gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann gereist war, ein wichtiger Schauplatz des Filmes ist, sind die Sprachen des Films neben Deutsch auch Englisch und Iwrit.
Abgesehen von New York und Jerusalem ist im Film „Hannah Arendt“ auch Marburg in Rückblenden präsent, wo die 1906 in Linden bei Hannover geborene und in Königsberg und Berlin aufgewachsene deutsche Jüdin sich als Studentin in den Philosophieprofessor Martin Heidegger verliebte und mit ihm eine Beziehung begann, eine Tatsache, die erst nach Hannah Arendts Tod 1975 publik wurde. Heidegger ist auch in Margarethe von Trottas Film ein Fixpunkt für Hannah Arendt: als Lehrer, als Geliebter, als politischer Gegner (Heidegger hatte sich in seiner Rede zum Antritt seines Rektorats an der Universität Freiburg 1933 zu Adolf Hitler bekannt) und als verstörender Schweiger, der seinen politischen Irrtum später niemals öffentlich eingestand.
Margarethe von Trottas Film ist ein Diskussionsfilm, ein Film, in dem nicht Handlung und Aktion, sondern Rede und Gespräch dominiert. Hierbei wird deutlich, dass ein Film, in dem diskutiert und gedacht wird, nicht minder spannend und ebenso mitreißend zu sein vermag wie ein Action-Thriller. Die Schauplätze sind dabei sekundär: ein Wohnzimmer, ein Büro, ein Landhaus, ein Hörsaal, ein Campus, ein Restaurant, ein Gerichtssaal. Wichtiger sind die Themen des Films: Existentialismus, Imperialismus, Nationalsozialismus, Totalitarismus, Zionismus, Antisemitismus – allesamt Lebensthemen der philosophischen und politischen Theoretikerin Hannah Arendt.
Die Themen und Inhalte werden in „Hannah Arendt“ jedoch nicht nur in den geäußerten Gedanken und Wortwechseln, sondern vor allem auch in den Gesichtern der Schauspieler lebendig. Die Casting-Entscheidung für Barbara Sukowa als Hauptdarstellerin ist mutig und zugleich glücklich zu nennen, weil dadurch von vornherein auf eine Rollenbesetzung qua äußerer Ähnlichkeit verzichtet wurde. Die sinnlichen Lippen und der große Mund der Philosophin, die schmalen Lippen und der kleine Mund der Rolleninterpretin, die vorbleckende obere Zahnreihe der Publizistin und ihr kauender Redegestus, die eher verhalten wirkende Sprachgebärde ihrer Darstellerin – allein die Frisur und die obligatorische Zigarette der Kettenraucherin sind bei Hannah Arendt und ihrer Interpretin identisch: Sie bilden gleichsam den Rahmen und die äußere Einfassung für das menschlich bewegende Geschehen, das sich in Gesicht und Mimik der Darstellerin vollzieht.
Auch die Besetzung weiterer wichtiger Rollen ist als höchst gelungen zu bezeichnen. Axel Milberg hat sein Borowski-Gesicht aus den „Tatort“-Folgen abgelegt und gibt Arendts zweiten Ehemann Heinrich Blücher einfühlsam, verständnisvoll und fast ein wenig zu abgeklärt. Julia Jentsch glänzt in der Rolle der Mitarbeiterin, Freundin und Weggefährtin Lotte Köhler, als guter Geist, seelische Stütze und Gestalt gewordene Diskretion. Michael Degen verkörpert bravourös den Zionisten Kurt Blumenfeld, den eine lebenslange Freundschaft mit Hannah Arendt verband: Bewegend der Moment, wie er sich auf dem Sterbebett von der Freundin abwendet, weil sie die Rolle der jüdischen Führer beim nationalsozialistischen Holocaust zu kritisieren gewagt hatte.
Des Weiteren ist Ulrich Noethen in der Rolle des jüdischen Brigadekämpfers, Sozialphilosophen und Gnosisforschers Hans Jonas lobend zu erwähnen, wie auch die amerikanischen Rollendarsteller, die Redakteure des Magazins „The New Yorker“, die College Fellows an Arendts universitärer Wirkungsstätte sowie Janet McTeer als die Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Arendt-Freundin Mary McCarthy allesamt überzeugen. Gelungen auch die Auftritte von Klaus Pohl als Martin Heidegger, der im Film sowohl mit Barbara Sukowa als auch mit Friederike Becht (grandios in der Rolle der siebzehnjährigen Hannah Arendt) in den Dialog des Denkens und Liebens tritt.
Zwei Gestalten der Zeitgeschichte werden zudem durch historische Filmaufnahmen vom Jerusalemer Eichmann-Prozess ins Leinwandgeschehen mit einbezogen: der in einem Glaskäfig sitzende Angeklagte Adolf Eichmann selbst, der als zuständiger Referatsleiter für die administrative Durchführung der sogenannten Endlösung der Judenfrage im Reichssicherheitshauptamt tätig gewesen war, sowie der Chefankläger in diesem Gerichtsprozess, Gideon Hausner.
Genauso wichtig wie der Eichmann-Prozess ist aber für die Regisseurin (das Drehbuch stammt von ihr selbst in Zusammenarbeit mit Pam Katz) die Darstellung von dessen Folgen für die darüber nachdenkende und berichtende Hannah Arendt, die für ihre Thesen von der Banalität des Bösen, vom Massenmörder Eichmann als Hanswurst, vom mangelnden jüdischen Widerstand, besonders aber für ihre Kritik an den Judenräten mit Beleidigungen, Verunglimpfungen, ja Morddrohungen überzogen wurde.
Der berühmte Satz aus ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem“ (1963) – „Die Rolle der jüdischen Führer bei der Zerstörung ihres eigenen Volkes ist für Juden zweifellos das dunkelste Kapitel in der ganzen dunklen Geschichte“ – ist auch heute noch ein Skandalon, das zu Diskussionen Anlass gibt, weil hier Opfer angegriffen und beschuldigt werden.
Sehr schön kommen in „Hannah Arendt“ auch die Unterschiede zwischen deutscher und amerikanischer Mentalität zum Ausdruck. Die Amerikaner wundern sich, wie sich Juden aus Deutschland so intensiv und engagiert mit Fragen der deutschen Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzen können, reagieren aber allergisch, wenn eine Frau, die auf der Seite der Opfer steht, die im Holocaust Umgekommenen der Passivität und des Fatalismus bezichtigt. Hannah Arendt selbst verdankt ihr Überleben jedoch gerade dieser aktiven Kraft zum Widerstand. 1940 floh sie aus dem südfranzösischen Internierungslager Camp de Gurs, viele ihrer Mithäftlinge wurden dagegen durch die vom Eichmann-Referat organisierten Transporte in die Konzentrations- und Vernichtungslager Osteuropas deportiert.
„Hannah Arendt“: Ein zum Nachdenken anregender Film, ein bewegender und lehrreicher Film, ein Film der historischen und politischen Bildung, der das Grauen des Holocaust in den Hörsälen amerikanischer Universitäten und in den Wohnzimmern der in die USA und nach Israel Geflohenen wieder aufleben lässt!