Die kleinen Wünsche und Sehnsüchte von Knie oder Schulter

Die österreichische Choreografin Saskia Hölbling über zeitgenössischen Tanz

In „exposititon corps“ stellt die Tänzerin Saskia Hölbling ihren Körper auf der Bühne aus.

Fragt man nach Begleitung für einen Besuch eines zeitgenössischen Tanzstückes, muss man oftmals allerlei Überredungskunst aufwenden, um nicht alleine losziehen zu müssen. Zwar sind Veranstaltungen wie die „austrian dance days“ vom letzten Wochenende keineswegs schlecht besucht, trotzdem bleibt diese Art der darstellenden Kunst oft eher ein Phänomen mit einem kleinen aber treuen Publikum.

Saskia Hölbling, 40, gründete 1995 in Wien die Tanzkompanie DANS.KIAS und gilt in Österreich als eine der bedeutendsten Choreografinnen für zeitgenössischen Tanz. Im Rahmen der „austrian dance days“ wurde sie vom Österreichischen Kulturforum Bukarest eingeladen, mit ihrer Performance „exposition corps“ das rumänische Publikum zu begeistern. Im Interview für die ADZ mit Lucia Schöpfer erklärt Saskia Hölbling, was zeitgenössischer Tanz ist und warum es sich lohnt, auch mal eine solche Performance dem klassischen Ballett vorzuziehen.

 

Frau Hölbling, die genaue Bezeichnung für ihre Kompanie DANS.KIAS ist „Verein für physische Kommunikation in der darstellenden Kunst“. Das klingt nach einer Mischung aus Breitensportverein, PR-Agentur und Theater. Was ist ein Verein für physische Kommunikation in der darstellenden Kunst?

Ich muss dabei auch immer schmunzeln. Aber ich hab mir gedacht, worum geht es mir eigentlich: Physische Kommunikation in der darstellenden Kunst. Das klingt jetzt ein bisschen hochgestochen vielleicht, aber womit wir kommunizieren im zeitgenössischen Tanz ist einfach der Körper.

Der ganze Körper ist integraler Bestandteil dieser Kommunikation. „Physische Kommunikation“ ist genauer wie der Begriff Tanz, weil mit Tanz geht man in einer Art vorgebrachtem Muster. Da muss man immer gleich erklären: Nein, es ist nicht Ballett, nein es ist nicht Revuetanz oder sonst irgendwas. Es ist halt darstellende Kunst. Ich würde es jetzt wahrscheinlich ein bisschen einfacher beschreiben.

Zeitgenössischer Tanz ist kein Ballett und kein Revue- oder Musicaltanz, das ist bekannt. Aber was verbirgt sich dann dahinter? Ist eine Definition möglich?

Ich glaube, der große Unterschied zum Ballett, zum Revuetanz oder zum Modernen Tanz ist, dass diese Arten ein Vokabular lehren, das auf der Bühne wiedergegeben wird, bestimmte Schrittfolgen. Im zeitgenössischen Tanz wird man aber diese Bewegungsabläufe nicht so eins zu eins auf der Bühne sehen. Die Bewegungen werden von Stück zu Stück neu erfunden.

Es ist auch anders als im Theater, wo man quasi schon einen Text hat: Man macht den Stoff von dem oder dem Autor. Bei uns ist es eben so, dass es dieses Theaterstück, den Text nicht gibt, sondern nur ein „Thema“ und wir müssen unser eigenes Stück erst mal schreiben. Es ist nichts da, keine Musik, kein Text, kein sonst irgendwas. Es gibt ein Thema und dann beginnt man mit dem Körper zu recherchieren. Was ist mein Vokabular, was sind die Bilder, und was ist das ganze Stück?

Kann man also Ihre Stücke ähnlich wie einen Text lesen? Eine Bewegung ist ein Wort, ein Bewegungsablauf ein Satz und diese bilden einen Zusammenhang?

Da muss man aufpassen. Wenn man schon diesen Vergleich zwischen Literatur und Tanz anstellen will, würde man im zeitgenössischen Tanz wohl eher in die Poesie hineingehen. Die Bilder, die entwickelt werden, sind nicht konkret. Man kann nachher nicht eine leichte Nacherzählung machen, so wie beispielsweise im Handlungsballett. Das Tanztheater wie bei Pina Bausch beispielsweise ist schon abstrakter, es arbeitet viel mit Bildern. Im zeitgenössischen Tanz spielen diese Bilder beschränkt eine Rolle. Es geht viel um den Körper.

Bei meiner Arbeit arbeite ich mit unterschiedlichen Gedächtnisschichten im Körper. Das heißt, die  Assoziationen, die man hat, durch das, was man sieht, sind nicht nur bildhafte Assoziationen, sondern oft eher als Zustände zu beschreiben, die man durchlaufen kann, also Assoziationen im weitesten Sinne.

Wie kann man das Phänomen des Körpers auf der Bühne beschreiben? Was ist ein Körper auf der Bühne? Kann man ihn vielleicht mit dem Stück Ton, das bearbeitet wird, erklären?

Also wenn man sagt, der Körper ist ein Tonklotz, der bearbeitet wird, dann funktioniert das insofern nicht, weil wir keine tote Materie sind. Also die Sache, mit der wir arbeiten, ist eine total lebendige Materie, das sind wir. Aber trotzdem hab ich die Erfahrung gemacht, dass nicht ich mit meinem subjektiven Erinnerungsvermögen, Erfahrungsschatz auf der Bühne stehe, sondern entweder der Körper oder sie. Eine gewisse Distanznahme finde ich also gut.

So wie ich den Körper verstehe, muss man die Logik der Aufrichtung durchbrechen. Wenn man sich in andere Positionen oder Konstellationen des Körpers begibt, dann beginnt etwas anderes zu denken. Dann denkt mal ein Knie oder eine Schulter und entwickelt ein Eigenleben.

Das ist nicht  als wäre der Kopf und das Gehirn das Zentrum des Denkens, sondern als wären die Dinge, wie bei einfacheren Organismen, über den ganzen Körper verteilt, und jeder hat sein kleines Denken, seine kleinen Wünsche und Sehnsüchte. Es ist unheimlich spannend, als Tänzer in diese Vorstellung hineinzugehen, aber ich bin überzeugt davon, dass diese Zeichen nicht kodiert bleiben, sondern dass sie sehr wohl lesbar sind.

Unser normales Vehikel, die Sprechsprache, sagt eigentlich gar nichts. Wir sitzen uns jetzt gegenüber und da gibt es zusätzlich zu den Worten irrsinnig viel, was körpersprachlich auch mitgeteilt wird. Ein Klassiker sind die Worte „Ich liebe dich“. Wenn man nur diese drei Wörter nimmt, ist eigentlich gar nichts gesagt. „Ich liebe dich“ kann genauso heißen „Ich hasse dich“.

Das hängt total von der Situation ab, das hängt davon ab, wie es gesagt wird und von wem und in welchem Zusammenhang. Und dazu ist der Körper wichtig. Also ist der Körper Träger dieser Sätze. Und im Tanz beleuchten wir das, was hinter den Worten steht, genauer.

Und wie funktioniert dieses Beleuchten dann?

Das geschieht auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen, über verschiedene Zustände. Es gibt Leute, die abstrahieren total. Mir persönlich geht es um die Innenräume, die nicht innen drinnen stecken bleiben, sondern die sich veräußern. Die sich im wahrsten Sinne des Wortes ausdrücken.
Beim zeitgenössischen Tanz, dadurch dass er jetzt passiert, ist es einfach so, dass es zu viele verschiedene Richtungen gibt, man kann ihn einfach nicht über einen Kamm scheren.

Zeitgenössischer Tanz ist ein subkulturelles Phänomen, das oft nur einen kleinen Publikumskreis anspricht. Sehen Sie das auch so?

Also meiner Meinung nach ist es so: Jeder Mensch hat einen Körper, und mit dem geht er Zeit seines Lebens um, und mit diesem Verständnis, einen Körper zu haben, hat man auch unbedingt die Möglichkeiten, zeitgenössischen Tanz aufzunehmen. Das ist meine Grundüberzeugung.

Das Einzige, was man machen muss, ist nicht mit vorgefertigten Meinungen zu kommen, sondern sich das Ganze einfach mal anzuschauen.