Der Bankettsaal „Tenpei“ im Tokioer Kichijyoji Dai-ichi Hotel könnte nicht unscheinbarer sein. Rund 600 Journalisten haben sich dort im September eingefunden, wo die Wände so weiß sind, wie der buschige Bart und die glatt zur Seite gekämmten Haare Hayao Miyazakis. Als der 72-Jährige den Saal betritt, blitzen Hunderte Kameras auf: Alle wollen den historischen Moment einfangen. Schließ-lich möchte der Mann, der von „Die Zeit“ als „Übervater des Animationsfilms“ gepriesen wurde, das Ende einer Ära ankündigen. Nie wieder wird Hayao Miyazaki im Regiestuhl Platz nehmen. Mit seinem jüngsten Animationsfilm „Kaze Tachinu“ oder „The Wind Rises“ nimmt er Abschied und zwar diesmal wirklich, wie er es den anwesenden Journalisten versichert.
Denn er hat schon mehrmals seinen Rücktritt bekannt gegeben, nur um dann noch einen weiteren Geniestreich aus dem Ärmel zu zaubern. Schon nach „Das wandelnde Schloss“ kokettierte Miyazaki mit dem Gedanken an den Ruhestand. Doch dann folgte 2008 „Ponyo“ und 2011 „From Up on Poppy Hill“. Jedes Mal wurden seine Filme von Kritikern gefeiert und auf internationalen Filmfestspielen mit Preisen überschüttet. Auch „The Wind Rises“ gilt als bester Animationsfilm des vergangenen Jahres. Obwohl sein Abschiedswerk durchaus für Kontroversen im Heimatland sorgte. Denn anders als viele seiner bisherigen Langfilme bleibt „The Wind Rises“ überraschend realitätsnah. Darin schildert Miyazaki das Leben des Flugzeugkonstrukteurs Jiro Horikoshi sowie die Lebensverhältnisse im industriellen Japan der 1920er und 1930er Jahre, die alles andere als leicht waren: Das große Erdbeben von 1923, eine schwere Tuberkulose-Epidemie, die Weltwirtschaftskrise sowie der Aufschwung der Faschisten zeichneten die zwei Jahrzehnte vor dem Zweiten Weltkrieg.
Ultrarechte warfen dem Regisseur vor, er würde mit seinem Film eine „anti-japanische“ Haltung propagieren wollen. Als Verräter schimpften sie ihn, woraufhin Miyazaki konterte und meinte, er wolle lediglich einem brillanten Ingenieur ein würdiges Denkmal setzen und ihn aus den Händen der Ultrarechten entreißen.
Unschlagbares Team
Ihm stets zur Seite ist noch immer Toshio Suzuki. Ohne den inzwischen 65-Jährigen hätte es das Zeichentrickfilmstudio „Studio Ghibli“ nicht gegeben. Es war Suzuki, der sich als junger Herausgeber des Anime-Magazins „Animage“ dafür einsetzte, dass Miyazakis zweiter Langfilm „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ überhaupt entstehen konnte. Damals wurden Animes ohne eine Comicvorlage kaum produziert. Suzuki musste an viele Türen klopfen, um die nötige Finanzierung zusammenzukriegen, wurde aber jedes Mal abgelehnt. Schließlich griff er auf einen Plan B zurück: Suzuki veröffentlichte den Manga „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ als Serie in „Animage“, bis schließlich 1985 auch der Film in den japanischen Kinos anlief. Beide, sowohl der Film als auch der Comic, wurden große Erfolge und die Arbeit daran ebnete den Weg für eine der fruchtbarsten Kooperationen in der Geschichte des japanischen Animationsfilms. Mit dem Erfolg von „Nausicaä“ wurde Studio Ghibli gegründet. Und aus dem bis dahin als Journalist arbeitenden Toshio Suzuki einer der erfolgreichsten Produzenten Japans.
Doch der Weg dahin war noch lang, obwohl vorhersehbar. Denn mit Miyazaki als Hausregisseur und dem gelegentlichen Mitwirken Isao Takahatas produzierte das Zeichentrickfilmstudio eine Reihe von Klassikern, die nicht nur in Japan hoch angesehen sind.
Japans Walt Disney
Der Erfolg seiner Filme bescherte Miyazaki im Westen den Beinamen „Japans Walt Disney“. Eine Bezeichnung, die ihm keinen Gefallen erweist, besonders, weil sich der Stil sowie die Geschichten seiner Filme sich deutlich von den Produktionen des amerikanischen Zeichentrickfilmstudios unterscheiden. Miyazaki führt nicht nur Regie, er schreibt auch die Geschichten. Früher überwachte er den gesamten Schaffensprozess, schaute sich jede Animationsfolie persönlich an, was mit fortschreitendem Alter immer schwieriger wurde. Bis „Prinzessin Mononoke“ wurden die Filme per Hand gezeichnet. Der Einsatz von Computeranimationen geschah in den Filmen seit „Prinzessin Mononoke“ minimal. Für „Ponyo“ verzichtete er ganz auf Computer und kehrte zurück zu den Wurzeln.
Der 1997 erschienene Animationsfilm „Prinzessin Mononoke“ war bis 2001 der erfolgreichste Film, der je in japanischen Kinos lief. Mit einem Umsatz von 18,65 Milliarden Yen verdrängte Miyazakis Meisterwerk selbst „Titanic“ vom ersten Platz. Erst „Chihiros Reise ins Zauberland“ schaffte es, „Prinzessin Mononoke“ zu übertreffen. Es war das Nachfolgeprojekt des Regisseurs, das ihm auch den Goldenen Bären auf der Berlinale 2002 sowie den Oscar 2003 einbrachte. Damit festigte Miyazaki seinen Ruf als Meister des Animationsfilms.
Zwar konnten seine Nachfolgeprojekte an den kritischen und kommerziellen Erfolg der beiden Rekordhalter nicht herankommen, trotzdem bleiben seine Filme Meisterwerke, die das Potenzial haben, große Klassiker zu werden. Darum also die Enttäuschung, als Hayao Miyazaki seine große Ankündigung machte. Doch ganz aus dem Geschäft will er sich dann doch nicht zurückziehen. Mindestens zehn Jahre will er noch bei Studio Ghibli die eine oder andere Aufgabe übernehmen. Unter anderem will er sich um das hauseigene Museum des Studios kümmern.