Wessen Bedarf an Wiener Melodien mit dem weltweit im Fernsehen ausgestrahlten Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, diesmal unter der Leitung des lettischen Dirigenten Mariss Jansons, noch nicht gedeckt war, der konnte eine Woche danach im Bukarester Athenäum einem Konzert mit Gesangssolisten sowie dem Chor und dem Orchester der Philharmonie „George Enescu“ beiwohnen und sich dabei nochmals in Neujahrsstimmung versetzen lassen, wozu der blasse, aber blinkende Christbaum in der linken Bühnenloge des Athenäums ebenfalls seinen Teil beitrug.
„Johann Strauss“ stand lapidar auf der Programmankündigung des Athenäums-Konzertes, neben dem Namen des in Bukarest gerne gehörten und immer gebührend gefeierten Dirigenten Yin Wang und dem Namen Iosif Ion Prunners, der für die Einstudierung des Chores verantwortlich zeichnete, aber, entgegen sonstiger Gewohnheit, beim Schlussbeifall nicht auf der Bühne erschien. Gerne hätte man vorher gewusst, ob am 8. Januar im Athenäum Werke des Vaters oder des Sohnes gleichen Namens aufgeführt werden, doch man musste sich an diesem Konzertabend wohl überraschen lassen.
Eine Überraschung stellte bereits der Auftritt des Orchesters, und später auch des Chores, dar, denn die Instrumentalistinnen und Vokalistinnen der Philharmonie „George Enescu“ waren in bunte Abendroben gekleidet, während die Herren beider Klangkörper im traditionellen Schwarzweiß auftraten. Die Philharmonie war sozusagen in Balltracht erschienen, wozu auch passte, dass zwei der insgesamt fünf Gesangssolisten des Konzertabends (Eliza Băleanu und Ionuţ Popescu) auf der Bühne gemeinsam einen Walzer tanzten, nachdem sie zuvor das „Wiener Blut“ besungen hatten.
Jeder der beiden Konzertteile wurde mit einer Ouvertüre eröffnet, der erste mit der Ouvertüre zur Operette „Der Zigeunerbaron“, der trotz aller politischen Korrektheit immer noch so heißen darf, der zweite mit der Ouvertüre zur Operette „Die Fledermaus“, wodurch dann auch schnell klar wurde, dass es beim Neujahrskonzert der Philharmonie „George Enescu“ in erster Linie um den Sohn Johann Strauss ging. Das Konzert insgesamt brachte ein abwechslungsreiches und kurzweiliges Programm, in dessen Verlauf nach den genannten Ouvertüren nicht nur verschiedene Walzer, sondern auch Märsche, Polkas und ein Csárdás zu Gehör gebracht wurden, ganz zu schweigen vom lebendigen Wechsel zwischen Instrumental- und Vokalmusik, welche letztere noch aufgefächert wurde in Solonummern bis zur Quintettbesetzung mit und ohne Begleitung des Chores.
Selbstverständlich erwartet das Publikum von Neujahrskonzerten, darin von den Wiener Philharmonikern geschult, immer auch humoristische Einlagen, um das Neue Jahr mit Witz und Esprit einzuläuten, was dem Dirigenten des Bukarester Konzertabends Yin Wang besser gelang als dem wenig humoraffinen Mariss Jansons beim Wiener Matineekonzert. So durften die Streicher beim Erklingen des „Ägyptischen Marsches“ ihre Kehlköpfe ebenfalls vibrieren lassen; so durfte der Chor, bei der Darbietung der Polka „Tritsch-Tratsch“ zur Statisterie verdammt, wenigstens nebenher und doch ostentativ ausgiebig tratschen und darin der Nestroyschen Posse „Der Tritschtratsch“, die bei der Straussschen Polka Namenspate stand, nacheifern; So verließ auch Yin Wang während der Schnellpolka „Perpetuum Mobile“ unter gespielten Drohungen zeitweilig die Bühne, um bald darauf reumütig wieder dorthin zurückzukehren, während das „Perpetuum mobile“ des Orchesters von alldem unbeeinträchtigt weiterlief; und schließlich durfte das Publikum auch verschiedentlich mitklatschen, selbstverständlich unter fachkundiger Anleitung des Dirigenten Yin Wang.
Eine tragende Rolle kam beim Bukarester Neujahrskonzert der in Wien tätigen Opernsängerin Eliza Băleanu zu, die den Reigen ihrer Auftritte mit dem „Zigeunerlied“ der Saffi aus Strauss’ Operette „Der Zigeunerbaron“ eröffnete. Ebenfalls solistisch war Eliza Băleanu mit dem Csárdás Rosalindes „Klänge der Heimat“ aus Strauss’ Operette „Die Fledermaus“ zu hören, während sie gemeinsam mit Ionu] Popescu das Duett des Grafen und der Gräfin mit dem Titel „Wiener Blut! Wiener Blut! Eigner Saft voller Kraft, voller Glut!“ aus Strauss’ Operette „Wiener Blut“ zu Gehör brachte. Weitere Gesangsnummern aus der Operette „Die Fledermaus“, u. a. „Ein Souper“, „Mein Herr Marquis“ und „Brüderlein und Schwesterlein“, rundeten den vokalen Teil des Konzerts ab, wobei dem Champagner-Lied „Im Feuerstrom der Reben“ insofern besonders gehuldigt wurde, als mit ihm als zweiter Zugabe das zweieinhalbstündige Konzert im Bukarester Athenäum seinen berauschenden und überschäumenden Abschluss fand.
Natürlich konnte neben der Schnellpolka „Unter Donner und Blitz“, bei der die große Trommel den Donner und die Tschinellen den Blitz hörbar machten, das vielleicht berühmteste Werk Johann Strauss’ nicht fehlen: der Walzer „An der schönen blauen Donau“, der in Bukarest nicht, wie sonst oft üblich, in der Orchesterfassung, sondern als Chorwalzer erklang. Hier konnte man sich ein weiteres Mal an der sinfonischen Auffassung erfreuen, die Yin Wang dem Reigen der Wiener Melodien angedeihen ließ und mit der er den Klangreichtum der Straussschen Musik instrumental und vokal mit Hilfe der Philharmonie „George Enescu“ gekonnt zur Entfaltung brachte. Mit dem Erklingen der ersten Zugabe, des berühmten „Radetzky-Marsches“, schien dann zum guten Schluss des Konzertes der Vater Johann Strauss Einspruch erheben und doch das letzte Wort behalten zu wollen, wenn da nicht die bereits erwähnte zweite Zugabe des Sohnes Johann Strauss gewesen wäre, mit der Yin Wang die erhitzten Bukarester Feiergäste in die kalte Luft der Winternacht entließ.