Emmanuel Tjeknavorian als Solist des Violinkonzerts von Jean Sibelius

Konzertabend im Bukarester Athenäum mit der Philharmonie „George Enescu“

In der ersten Woche des Monats Mai war der junge österreichische Geiger armenischer Herkunft Emmanuel Tjeknavorian in Bukarest zu Gast, zunächst an zwei Abenden mit Darbietungen des Violinkonzerts von Jean Sibelius gemeinsam mit dem Sinfonieorchester der Philharmonie „George Enescu“ unter der Leitung von Horia Andreescu, sodann, ebenfalls im Großen Saal des Bukarester Athenäums, mit Violinsonaten von Leoš Janácek, Richard Strauss und Johannes Brahms, die von der rumänischen Pianistin Cătălina Butcaru begleitet wurden.

Die beiden Sinfoniekonzerte erinnerten an die Gründung der ersten unabhängigen demokratischen Republik Armenien vor einhundert Jahren, und so verstand es sich von selbst, dass das Programm der beiden Konzertabende mit Kompositionen eröffnet wurde, die von einem armenischen Musiker stammten: dem 1903 im georgischen Tbilissi geborenen und 1978 in Moskau gestorbenen Aram Chatschaturjan. Zunächst interpretierte das philharmonische Orchester das berühmte „Adagio“ aus dem zweiten Satz des Balletts „Spartakus“ und gleich im Anschluss daran den noch berühmteren „Säbeltanz“ aus dem Ballett „Gayaneh“. Der rasante kurdische Tanz, dessen musikalische Darbietung nur rund zweieinhalb Minuten dauert, besticht durch die rhythmischen Passagen zu Beginn und am Ende sowie durch seinen lyrischen Mittelteil. In beiden Ballettsätzen ließ das Sinfonieorchester der Philharmonie „George Enescu“ die Vielfalt seiner Klangfarben in einem breiten Klangspektrum irisieren und gleichzeitig die stupende Rhythmik der beiden Stücke aus der Feder Aram Chatschaturjans körperlich fühlbar werden.

Ein kurzer Umbau auf der Bühne des Bukarester Athenäums bereitete den Auftritt Emmanuel Tjeknavorians vor, eines gerade erst 23 Jahre alt gewordenen, aber bereits vielfach prämierten österreichischen Violinvirtuosen armenischer Abstammung. Er ist der Sohn des iranisch-armenischen Komponisten und Dirigenten Loris Tjeknavorian, der sich 1991 nach der Auflösung der Sowjetunion stark für die Unabhängigkeit Armeniens einsetzte. Emmanuel Tjeknavorian gab sein erstes öffentliches Konzert als Violinsolist bereits im Alter von sieben Jahren. Geigenunterricht erhielt er von österreichischen und armenischen Violinisten: von dem Wiener Violinprofessor Gerhard Schulz, der jahrzehntelang Mitglied des Alban Berg Quartetts gewesen war, sowie von Petros Haykazyan und von Artashes Mkrtchyan. Beim letzten Internationalen Jean Sibelius Violinwettbewerb in Helsinki gewann er mit seiner Interpretation des Sibeliusschen Violinkonzertes den zweiten Preis, und so konnte das Bukarester Publikum sich darauf freuen, genau dieser preisgekrönten Interpretation im Athenäum lauschen zu dürfen, zumal Emmanuel Tjeknavorian auf einer Stradivari (Cremona, 1698) spielt, die der Londoner Beare’s International Violin Society gehört.

Bereits in den ersten Takten des Violinkonzertes von Jean Sibelius konnte man nicht nur die weittragende Klangfülle des Instruments, sondern auch das filigrane und präzise Spiel des Instrumentalsolisten genießen, der einen kultivierten, auch in den ausdrucksstarken Passagen niemals ruppigen Ton pflegt. Die zahlreichen und zum Teil heiklen Oktavpassagen des Violinkonzertes wurden von Emmanuel Tjeknavorian in bisher kaum gehörter Reinheit dargeboten. Dem skandinavischen Flair, das an die Weite und Einsamkeit nördlicher Fjorde denken lässt, und dem spätromantischen Stil des Sibeliusschen Konzertes für Violine und Orchester in d-Moll (op. 47) fügte der Solist noch die Süße und Wärme seiner ureigenen Auffassung dieses bedeutenden Violinkonzerts des 20. Jahrhunderts hinzu. Vor allem in den Kadenzen ließ der Solist seine stupende Virtuosität erstrahlen, seine wunderbaren Flageolett-Passagen schufen eine faszinierende Atmosphäre ätherischer Klänge, seine kraftvollen und doch zugleich milde wirkenden Töne auf der G-Saite bis in ihre höchsten Lagen verbreiteten einen Zauber, der auch im ekstatisch überbordenden Finalsatz anhielt.

Nachdem ihn das Publikum im Bukarester Athenäum durch seinen frenetischen Beifall mehrfach auf die Bühne zurückgerufen hatte, ergriff Emmanuel Tjeknavorian zunächst das Wort, um der Gründung der Demokratischen Republik Armenien im Jahre 1918 zu gedenken, sodann an den großen armenischen Komponisten Aram Chatschaturjan zu erinnern, dessen Musik man zu Beginn des Konzertabends bereits vernommen hatte, um schließlich zu seiner Zugabe überzuleiten, die ebenfalls der armenischen Musik huldigte. Die inbrünstige und flehentliche Melodie für Violine solo, die Emmanuel Tjeknavorian dem Bukarester Konzertpublikum schenkte, stammte von dem armenischen Priester, Komponisten, Sänger, Musikwissenschaftler und Musikpädagogen Komitas Vardapet (1869-1935), der heute allgemein als Begründer der modernen klassischen Musik Armeniens gilt.

Nach der Pause konnten die Zuhörer des Konzerts im Großen Saal des Bukarester Athenäums noch Beethovens „Pastorale“, seine sechste Sinfonie in F-Dur (op. 68), genießen. Das fünfsätzige Werk, das Beethoven selbst nicht programmmusikalisch verstanden wissen wollte, bietet ein musikalisches Gemälde des idyllischen Lebens auf dem Lande, was die Bezeichnungen der einzelnen Sätze auch nahe legen: „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“; „Szene am Bach“; „Lustiges Zusammensein der Landleute“; „Gewitter und Sturm“; „Hirtengesänge – Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“. Als Zuhörer lauschte und folgte man im Bukarester Athenäum dem von den Instrumentalisten der Philharmonie „George Enescu“ musikalisch evozierten Murmeln des Wassers, den Rufen von Kuckuck und Nachtigall, dem Grollen des Unwetters, den Donnerschlägen des Sturmes, den Zuckungen der Blitze, bis man am Ende im Gesang der Hirten nach überstandenem Gewitter die Rückkehr zur Idylle des Anfangs miterlebte. Mit diesen wunderbaren Naturlauten und Klängen vom Lande wurden die Konzertbesucher schließlich in die milde Mainacht des großstädtischen Bukarest entlassen.