Kaum ein Thema wird so stark politisiert wie Migration. „Das Boot ist voll“ oder „Ausländer raus!“ heißt es oft, wenn Menschen aus Kriegsgebieten oder auf der Flucht vor bitterer Armut, Klimawandelfolgen und Unsicherheit nach Europa strömen - und dabei ihr Leben riskieren. Nur wenige werden politisch verfolgt, dürfen im Zielland auf Asyl hoffen - doch ist es richtig, die anderen als „Wirtschaftsflüchtlinge“ abzutun?
Migration war schon immer Teil unseres Lebens: Kaum jemand hat keine Vorfahren, die nicht von irgendwo vertrieben wurden oder ausgewandert sind. Und manche verschlägt es auch wieder zurück: zirkuläre Migration. Oder gleich zweimal zurück, so wie einige der einst eingewanderten Rumäniendeutschen, die im Kommunismus oder nach der Wende massenhaft das Weite suchten, so mancher aber wurde dort nicht glücklich oder sah neue Chancen im sich wandelnden Rumänien.
Migration ist in der globalisierten Welt etwas Alltägliches, ein gewisser Austausch sinnvoll. Und doch geht sie häufig mit komplexen Problemen einher: Braindrain, fehlende Willkommenskultur, sexuelle oder Arbeitsausbeutung unter Ausnutzung einer Notlage, zerrissene Familien, verwaiste Kinder, religiöse und kulturelle Konflikte, andere Wertesysteme - etwa bei der Frage, wie man Frauen behandelt; anderes Essen, sprachliche Missverständnisse, eine andere Körpersprache - Sicherheitsabstand, Blickkontakte, Berührungen; das Gefühl der Heimatlosigkeit; die Vorurteile und Ängste der Menschen im Zielland: „die nehmen uns unsere Arbeitsplätze, unsere Sozialhilfe, unsere Frauen weg“. Und wenn man doch nicht bleiben kann, leiden die akklimatisierten Kinder bei der Wiedereingliederung.
Selten ist es leicht im neuen Land. Nicht immer wird Heimat daraus. Selbst jene, die sich scheinbar nahtlos anpassen, wollen nicht alle Fäden abschneiden zur alten Heimat. Wie viele Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben, kommen trotz Erfolgsgeschichten gerne zu den jährlichen Heimattreffen? Zeigen ihren Kindern ihre alten Häuser, Kirchenburgen, Schulen. Unmöglich, dass man nicht irgendwas aus dem alten Leben vermisst.
Es ist unerlässlich, sich mit Migration auseinanderzusetzen. Was ist besser: Assimilation im Zielland oder eine multikulturelle Gesellschaft, wie man sie in Rumänien pflegt? Können kulturübergreifende Projekte und Events Migranten und die Gesellschaft, in der sie leben, annähern? Oder Patenschaften und Mentoren an Schulen, Arbeitsplätzen, in Gemeinden? Schaffen Literatur und Oral History zum Thema mehr Empathie?
Wir nähern uns diesem schwierigen Subjekt erst einmal lesend... bevor wir im April zur dritten Diskussionsveranstaltung im Rahmen unserer Eventreihe „Literatur für eine bessere Welt“ einladen (das genaue Diskussionthema wird zeitnah vorgestellt). Die Bücher können Sie ab sofort in der Bibliothek des Bukarester Goethe-Instituts ausleihen!
Sachbücher für Jugendliche:
Christine Schulz-Reiss: „Nachgefragt: Flucht und Integration“
Sachbuch über Flucht und Integration, das sich sowohl historisch als auch aktuell mit Flucht und Vertreibung auseinandersetzt und dabei auch Fluchtursachen nicht aus den Augen verliert. Ein guter Überblick, der auch rechtliche Belange und Vorurteile in den Blick nimmt und einfach erklärt. Das Buch ermöglicht viel Verständnis und behandelt auch Fluchtursachen wie Kolonialismus und wie er Länder auch lange nach seinem Ende noch prägt, z.T. auch mit schwierigen Themen, etwa Ghettos und Kriminalität.
www.sueddeutsche.de/muenchen/starnberg/seefeld-adam-eva-und-die-anderen-fluechtlinge-1.3256245
Ein Blick in die deutsche Geschichte. „Vom Ein- und Auswandern“
Reich illustriertes Sachbuch, dass sich ab dem Kaiserreich mit Ein- und Auswanderungen nach und von Deutschland auseinandersetzt und jeweils auf einer Doppelseite Themen in den Blick nimmt - z.B. die Reichsgründung 1871: ein geschaffenes, vereintes Deutschland, aber manche wären lieber Franzosen geblieben, einige sprachen Polnisch und es folgte eine lange Geschichte an Resentiments gegen Polen, Arbeitsmigranten ,Ruhrpolen‘; Schwabenkinder…; Zwangsarbeit im Ersten und Zweiten Weltkrieg, durch Nazis Vertriebene oder Deportierte aus ihren Heimatländer (z.B. Kriegsgefangene, KZ-Überlebende, Zwangsarbeitskräfte); Migration zwischen den beiden deutschen Staaten, BRD und DDR. 500.000 Gastarbeiter bleiben nach Anwerbestopp; Aussiedler: Rückwanderung nach Jahrhunderten aus Sowjetunion, Polen und Rumänien; ab 2005 Auswanderung aus Deutschland, am beliebtesten in die Schweiz: dort oft fehlender Respekt, wenn man nur Hochdeutsch sprach; 2000: Änderung von „ius sanguinis“ zu „ius soli“ (Wer in Deutschland geboren ist deutsch. Das Buch ist teilweise etwas unkritisch gegenüber Einschränkung von Asyl oder politischen Versäumnissen und bietet nichts zu deutschen Kolonien.
Sachbücher und Essays für Erwachsene:
Sefa Inci Suvak & Justus Hermann (Hg.): „In Deutschland angekommen…“
Einwanderer erzählen ihre Geschichte von 1955 bis heute, Sammlung von Oral Histories des migranten-audio-archivs. 39 Menschen kommen zu Wort, u.a. aus Indonesien, Israel, Indien, Kolumbien, Ex-Tschechoslowakei, Rumänien, Nigeria, Afghanistan… Beschrieben wird z.B. die Geschichte eines jungen Mannes aus dem Kongo (Hianick Kamba): ein Leben mit Duldung, der Angst, immer abgeschoben zu werden und schließlich die Hoffnung auf einen Vertrag bei einem Profi-Fußballverein und damit Bleiberecht; ständiges Warten bei der Ausländerbehörde, um die Duldung zu verlängern, dies alle zwei Wochen, der Sohn muss dolmetschen.
Fatma Aydemir, Hengameh Yaghoobifarah (Hg.): „Eure Heimat ist unser Alptraum“
Der vielbesprochene Band sammelt Essays von 14 Autoren über Alltagsrassismus, Diskriminierung und Nationalismus, aber auch Ideen für die Zukunft, wie ein besseres Zusammenleben möglich werden könnte. Die Titel der Essays zeigen schon die Vielfalt der bearbeiteten Themen auf: „Sichtbar“ (Sasha Marianna Salzmann), „Arbeit“ (Fatma Aydemir), „Vertrauen“ (Deniz Utlu), „Liebe“ (Sharon Dodua Otoo), „Blicke“ (Hengameh Yaghoobifarah) „Beleidigung“ (Enrico Ippolito), „Zuhause“ (Mithu Sanyal), „Gefährlich“ (Nadia Shehadeh), „Privilegien“ (Olga Grjasnowa), „Essen“ (Vina Yun), „Sprache“ (Margarete Stokowski), „Sex“ (Reyhan Sahin), „Gegenwartsbewältigung“ (Max Czollek), „Zusammen“ (Simone Dede Ayivi)
www.deutschlandfunk.de/fatma-aydemir-und-hengameh-yaghoobifarah-eure-heimat-ist-100.html; www.sueddeutsche.de/kultur/fatma-aydemir-hengameh-yaghoobifarah-eure-heimat-ist-unser-albtraum-rezension-1.4374263; www.tagesspiegel.de/kultur/bessere-alternativen-fur-deutschland-5321224.html
May Ayim, Katharina Oguntoye, Dagmar Schultz (Hg.): „Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“
Das Buch „Farbe bekennen“ löste eine Welle des Empowerments aus. Dort wurde der Realität von Afro-Deutschen ein Name gegeben. „Farbe bekennen“ – ursprünglich 1986 erschienen - wird oft als „Gründungsdokument“ und „Standardwerk“ der afrodeutschen Bewegung beschrieben. Mit ihrem Buch versuchten die drei Autorinnen, sich auf die Suche nach ihrer Geschichte zu begeben, gesellschaftliche Zusammenhänge von Rassismus (etwa geschichtlich gewachsene Vorstellungen) offenzulegen und auf die Situation der Afrodeutschen aufmerksam zu machen. Das Buch kann als Mischung aus sozialgeschichtlicher Abhandlung, Oral History (viele Interviews und Gespräche wurden für das Buch geführt) und feministischem Manifest gesehen werden – es beleuchtet das Leben und die alltäglichen Kämpfe von Deutschen afrikanischer oder afroamerikanischer Abstammung.
Gianni Jovanovic & Oyindamola Alashe: „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“
Etwa 70.000 Sinti und Roma leben Schätzungen von 2022 zufolge in Deutschland. Sie gelten - neben Dänen, Friesen und Sorben - als größte der vier alteingesessenen Minderheiten. Der Rom Gianni Jovanovic mag den Begriff „Minderheit“ aber nicht und formuliert es deshalb umgekehrt in seiner Biografie: „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“. „Das Wort ‚Roma‘ ins Deutsche übersetzt, bedeutet Mensch, von hinten gelesen, bedeutet es Amor. Das heißt Mensch und Liebe. Menschliche Liebe im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist etwas, womit wir aufwachsen in unseren Familien.“ Jovanovic lässt uns teilhaben an seinem Leben als schwuler Rom, der zunächst mit einer Frau verheiratet wurde, heute aber mit seinem Traummann zusammenlebt und welchen Vorurteilen und Diskriminierungen, teils sogar Gewalt, er in der deutschen Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt ist.
www.aufbau-verlage.de/blumenbar/im-gespraech/ein-deutscher-rom-und-eine-schwarze-deutsche-mit-einer-idee; www.deutschlandfunkkultur.de/sinti-roma-literatur-100.html
Romane für Jugendliche – aus der ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“:
Julya Rabinowich: „Dazwischen: Ich“ und „Dazwischen: Wir“
adz.ro/artikel/artikel/fremdes-land-mit-zukunft und adz.ro/artikel/artikel/adz-reihe-wertvolle-jugendbuecher-endlich-angekommen
Daniel Höra: „Das Schicksal der Sterne“
adz.ro/artikel/artikel/adz-reihe-wertvolle-jugendbuecher-unter-den-gleichen-sternen
Dirk Reinhardt: „Train Kids“
adz.ro/kultur/artikel-kultur/artikel/adz-reihe-wertvolle-jugendbuecher-im-rucksack-nur-die-hoffnung
Romane für Erwachsene:
Noha Sow: „Die schwarze Madonna. Afrodeutscher Heimatkrimi“
Afrodeutscher Heimatkrimi, der von Noha Sow zunächst vor allem geschrieben wurde, um eine Lücke in der Unterhaltungspalette der deutschen Heimatkrimis zu schließen und ein anderes Repräsentations- und Identifikationsangebot zu ermöglichen. Die Vorfälle in einem kleinen bayerischen Dorf, die die in Hamburg lebende afrodeutsche Kaufhausdetektivin aufklärt, ermöglichen auch ein Nachdenken über die deutsche weiße Mehrheitsgesellschaft, sollen aber auch einfach unterhalten.
Natascha Wodin: „Sie kam aus Mariupol“
Das Buch über ukrainische Zwangsarbeiter und das Aufwachsen als Displaced Person nach dem Zweiten Weltkrieg ist mehr als die Spurensuche der Hauptheldin nach dem Schicksal ihrer Mutter. Diese, aus einer enteigneten großbürgerlichen Familie in Russland stammend, nahm sich noch in der noch jungen BRD das Leben. Natascha Wodin schreibt mit ihrem autobiografischen Roman gegen das Vergessen der ausländischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in deutschen Lagern an. Thematisiert wird auch der Hass im Nachkriegs-Deutschland gegen Menschen russischer Abstammung.
www.taz.de/Neues-Buch-von-Natascha-Wodin/!5387993/; www.deutschlandfunk.de/roman-sie-kam-aus-mariupol-was-kann-ein-mensch-ertragen-100.html;
Aglaja Veteranyi: „Warum das Kind in der Polenta kocht“
Das Kind einer rumänischen Artistenfamilie lebt in zwei Welten, der bunt verklärten von Zirkus und Wohnwagen, aber auch der harten Wirklichkeit des ständigen Unterwegsseins. Voller Illusionen ist die Familie den Verheißungen des Westens gefolgt. Aber je rauer die Erfahrungen, desto grausiger die Geschichten, die sich die Geschwister immer wieder erzählen. Denn um ihre Angst zu vergessen, die Mutter könnte bei einem Auftritt zu Tode stürzen, erfinden sie immer neue Märchen vom Kind, das in der Polenta kocht. Den Schrecken der Wirklichkeit zum Trotz. Zitate: „Das Ausland verändert uns nicht. In allen Ländern essen wir mit dem Mund“; „Traurigkeit macht alt. Ich bin älter als die Kinder im Ausland. In Rumänien werden die Kinder alt geboren, weil sie schon im Bauch der Mutter arm sind und sich die Sorgen der Eltern anhören müssen. Hier leben wir wie im Paradies. Ich werde deswegen trotzdem nicht jünger.“
www.thalia-theater.de/stueck/warum-das-kind-in-der-polenta-kocht-2023
Emilia Smechowski: „Wir Strebermigranten“
Beschreibung, wie es vielen Polen in Deutschland geht, die bei sich eine starke Anpassung an das Land sehen, allerdings wenig Wertschätzung dafür empfinden. Erfolgreich, angepasst, unglücklich - und schließlich endlich sie selbst: Emilia Smechowski blickt zurück auf eine mustergültige Integration, auf eine Rebellion gegen ihre Eltern und die Suche nach ihrem eigenen Lebensweg. Dazu gehört auch die Rückbesinnung auf ihre Wurzeln. 1988 aus dem polnischen Sozialismus nach West-Berlin ausgewandert, hatte es die Familie dort zu Anerkennung und Wohlstand gebracht. Der Preis dafür war der Verlust der polnischen Identität, die Namensänderung und eine „Assimilation im Zeitraffer“.
Olga Grjasnowa: „Gott ist nicht schüchtern“
Sehr drastisches Buch über die Entwicklungen des syrischen Bürgerkriegs und die Erschaffung der Vorstellung von „Flüchtlingen“ im Westen: Für wen gilt Reisefreiheit, für wen nicht? Wer hat die Macht, Grenzen unüberwindbar zu machen? „Gott ist nicht schüchtern“ ist ein Roman über Flüchtlinge aus Syrien und über die Gründe ihrer Flucht. Olga Grjasnowa erzählt von einer Schauspielerin und einem Arzt, die in den Bürgerkrieg und in die Hände von Assads treu ergebenen Schergen geraten. Sie können unter Lebensgefahr fliehen.
www.deutschlandfunkkultur.de/olga-grjasnowa-gott-ist-nicht-schuechtern-vom-irrsinn-und-100.html; www.uni-due.de/literarikon/grjasnowa_werkcharakteristika)
Irena Brezná: „Die undankbare Fremde“
Das Buch erzählt über eine junge Frau, die aus der Tschechoslowakei nach Ende des Prager Frühlings in die Schweiz kommt. Sie spricht kritisch über die „Zwangsheirat“ mit dem neuen Land, für das sich ihre Eltern entschieden haben. Das Buch wird auf zwei Zeitebenen erzählt, einmal zur Zeit der Ankunft und der ersten Zeit in der Schweiz über das Gefühl der Fremde und des nicht-zu-Hause-Seins. Dann zu einem späteren Zeitpunkt, als die Protagonistin für verschiedene Menschen als Dolmetscherin arbeitet und Menschen, die aus verschiedensten Teilen der Welt kommen, bei Ämtern, Ärzten etc. vertritt.
www.brezna.ch/die-undankbare-fremde
Dinçer Güçyeter: „Unser Deutschlandmärchen“
In der Familiengeschichte Güçyeters, über mehrere Generationen erzählt, verschwimmt, was Fiktion und was echt ist. Zugleich geht es um Abgrenzung und Annäherung an die eigene Familie. In poetischer Form erzählt der Autor von seiner Mutter Fatma, die als türkische Gastarbeiterin nach Deutschland kam – das Buch war so erfolgreich, dass sie in ihrem Heimatort inzwischen nach gemeinsamen Selfies gefragt wird. Güçyeter geht noch weiter als klassische Autofiktion: Er schreibt auch mit der Stimme seiner Mutter, in Ich-Form. Ob das nicht anmaßend sei? Das habe er auch befürchtet, sagt Güçyeter. Aber er habe die ersten Seiten auf Türkisch geschrieben, um den muttersprachlichen Rhythmus Fatmas zu finden, und ihr vorgelesen. Seine Mutter habe ihm gesagt: „So war es. Mach damit, was du willst.“ Bei einigen Stellen hieß es dann aber doch: „Vergiss es!“ Szenen, die zwischen ihr und dem Vater bleiben sollten, strich der Sohn.
www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Unser-Deutschlandmaerchen-Geschichte-einer-Einwandererfamilie,guecyeter104.html und www.taz.de/Romane-ueber-die-eigenen-Eltern/!5982682&s=Din%C3%A7er+G%C3%BC%C3%A7yeter/
Shida Bazyar: „Nachts ist es leise in Teheran“
Vier Familienmitglieder, vier Jahrzehnte, vier unvergessliche Stimmen. Aufwühlend und anrührend erzählt Shida Bazyar die Geschichte einer iranisch-deutschen Familie, die ihren Anfang 1979 in Teheran nimmt und den Bogen spannt bis in die deutsche Gegenwart. Von Behsad, dem jungen linken Revolutionär, der in der mutigen, literaturbesessenen Nahid die Liebe seines Lebens findet. Von ihrer Flucht nach der Machtübernahme der Mullahs. Und von ihren Kindern, Laleh, Mo und Tara, die in Deutschland aufwachsen und zwischen den Welten zu Hause sind. Ein bewegender Roman über Revolution, Unterdrückung, Widerstand und den unbedingten Wunsch nach Freiheit.
Saša Stanišic: „Herkunft“
Biografie als Zufall: Saša Stanišic macht sich in seinem flirrenden autobiografischen Roman „Herkunft“ auf die Suche nach den Spuren der eigenen Vergangenheit. Er zeigt dabei, wie fragil biografische Prägungen sind. Bundeskanzler Olaf Scholz zitierte aus dem Roman in seiner Rede vom 28. November 2022 zur Veranstaltung „Deutschland. Einwanderungsland.“ die Passage „Jedes Zuhause ist ein zufälliges: Dort wirst du geboren, hierhin vertrieben, (…) Glück hat, wer den Zufall beeinflussen kann. Wer sein Zuhause nicht verlässt, weil er muss, sondern weil er will.“
Gedichtbände
May Ayim: „blues in schwarz weiss & nachtgesang“
„Mein Stift ist mein Schwert“, sagte die Aktivistin May Ayim anlässlich der Konferenz „African Women in Europe“ in London 1992. Ayim schrieb Gedichte wie „Grenzenlos und Unverschämt“, in denen sie sich mit ihrem Leben als Schwarze in Deutschland auseinandersetzt. Sie forschte zu Rassismus und war Mitbegründerin der Initiative „Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland“, die es bis heute gibt. Ayims Worte und Werke führten nicht nur zur Sichtbarmachung von Schwarzen Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, sondern auch zur Bekanntmachung einer nicht im Mainstream erzählten afrodeutschen Geschichte. Ihre Gedichte sind ein wichtiges Identifikationsangebot für Schwarze in Deutschland und ermöglichen eine andere Auseinandersetzung mit dem Leben in einer weißen Mehrheitsgesellschaft als ein Sachbuch.
Semra Ertan: „Mein Name ist Ausländer. Benim Adim Yabanci“
Zweisprachiger Gedichtband: Deutsch und Türkisch. Semra Ertan war eine politische und lyrische Vorreiterin für ein solidarisches Miteinander. Geboren 1957 in der Türkei, zog sie 1971 zu ihren Eltern in die Bundesrepublik Deutschland. Sie arbeitete als technische Bauzeichnerin, dolmetschte ehrenamtlich bei Ämtern und Behörden und schrieb über 350 Gedichte. Früh erkannte Semra Ertan die zu dieser Zeit in Deutschland weit verbreitete Diskriminierung gegenüber sogenannten Gastarbeitern und übersetzte diese kollektiven Erfahrungen in poetische Werke. Sie versuchte, die Mehrheitsgesellschaft auf die Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Für die Veröffentlichung ihrer Gedichte fand sie keinen Verlag. Um ein letztes Zeichen gegen Rassismus und Ausgrenzung zu setzen, verbrannte sich Semra Ertan am 26. Mai 1982 auf St. Pauli an der Ecke Simon-von-Utrecht-Straße / Detlev-Bremer-Straße. Sie verstarb zwei Tage später am 28. Mai. Bei den jährlichen Gedenkveranstaltungen zu Semra Ertan lesen viele Menschen ihre Gedichte. Dabei zeigt sich, wie diese Gedichte heute noch für viele Menschen eine Stimme sein können, in denen sie sich selbst und ihre Erfahrung mit Rassismus in Deutschland wiedererkennen können. Auch wenn Semra Ertan viel über die Erfahrungen von Arbeitsmigranten und deren Familien geschrieben hat, hat sie auf vielen Ebenen berührende Text verfasst. Zu Liebe, zum immer wieder Mut fassen, zu politischem Aktivismus.
www.semraertaninitiative.wordpress.com/
Jeweils ein Exemplar der Bücher wird auf der Veranstaltung im Goethe-Institut verschenkt!