Das Bukarester Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst beherbergt derzeit eine Wanderausstellung, die seit 1995 durch die ganze Welt tourt und zuletzt im Hermannstädter Brukenthal-Museum zu sehen war. Gewidmet ist diese Ausstellung, die noch bis Ende Januar in Bukarest besichtigt werden kann, der avantgardistischen Kunstrichtung namens Fluxus, die Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts von dem litauisch-amerikanischen Künstler George Macunias in New York begründet wurde und wenig später auch in Deutschland Fuß fasste. Zu den bekanntesten Vertretern von Fluxus in Deutschland zählen Joseph Beuys, Wolf Vostell, Nam June Paik und Dieter Roth.
„Eine lange Geschichte mit vielen Knoten – Fluxus in Deutschland 1962-1994“ lautet der Titel der jetzt in Bukarest zu sehenden Wanderausstellung, die von der Deutschen Botschaft in Bukarest, dem Bukarester Goethe-Institut, dem Institut für Auslandsbeziehungen und dem Bukarester Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst gemeinsam organisiert wurde. Bei den über dreihundert Exponaten handelt es sich, neben Plastiken, Skulpturen, Zeichnungen, Collagen und Installationen, auch um Plakate, historische Diagramme, Film- und Tondokumente, Bücher, Zeitschriften, Partituren, Fotos und Videoaufzeichnungen, die einen umfassenden Überblick über mehr als drei Jahrzehnte dieser provokativen Aktionskunst in Deutschland gewähren.
Eine Kunstform, die, wie der Dadaismus oder der Futurismus, den abgeschlossenen Werkcharakter des Kunstwerks negiert und ihn durch provokante Aktionen, Happenings und Improvisationen zu sprengen trachtet, in ein Museum zu verbannen, ist natürlich ein Widerspruch in sich. Im Museum nämlich wacht das Aufsichtspersonal streng darüber, dass der Abstand zwischen Betrachter und Kunstwerk eingehalten wird und dass die Grenzen zwischen Besucher und Kunstobjekt nicht verschwimmen oder verfließen.
So wirken beispielsweise die beiden Aktionsstücke Arthur Köpckes aus dem Jahre 1969, die in der Bukarester Ausstellung gezeigt werden, geradezu paradox. Beide beinhalten explizit eine Aufforderung an den Betrachter, die folgendermaßen formuliert ist: „sie nehmen nur teil, wenn sie dieses aktionsstück, dieses prinzip fortsetzen, sonst: sind sie nur ein zugucker.“ Wer jedoch gemäß dieser Aufforderung versuchen wollte, aktiv zu werden und auf das eine Aktionsstück, auf dem bereits vier Roth-Händle-Packungen haften, weitere leere Zigarettenpackungen zu kleben, wird genauso scheitern wie derjenige, der auf dem anderen Aktionsstück in die noch freien Adressfelder weitere Anschriften einzutragen versucht: dicke Plexiglasscheiben hindern den Betrachter daran, im Sinne des Fluxus selbst in Aktion zu treten und Kunst zu schaffen, indem er ihre scheinbare Abgeschlossenheit provokativ negiert.
Um der Musealisierung von Fluxus entgegenzuwirken, haben die Kuratoren und Ausstellungsmacher die Leipziger Performance- und Medienkünstlerin Diana Wesser engagiert, die fünfzehn Übungen entworfen hat, um, wenn nicht aktiv mit den Exponaten in Kontakt zu treten, so doch wenigstens das Ausstellungsgebäude und die Schausäle im Rahmen kollektiver Performances zu erproben. Einige der Titel der von ihr vorgeschlagenen Übungen lauten: unsichtbar werden, eine Wand erblühen lassen, das Tier in dir entdecken, eine Skulptur werden, bleiben (wo du bist), wieder ein Kind werden, auf nichts warten. Man spürt hier deutlich die Nähe zur Zen-Kunst und zu meditativen Praktiken, die auch in die Praxis von Fluxus Eingang gefunden haben.
Wer also das Glück hat, in den Ausstellungsräumen eine Affenherde krakeelen zu hören oder Museumsbesucher inklusive Aufsichtspersonal auf einem Bein durch den weißen Stucksaal des Museums hüpfen zu sehen, wird sich an der zufälligen Teilhabe dessen erfreuen, was Fluxus als Kunst zu sein beansprucht. Den vollen Genuss einer Fluxus-Aktion kann der Betrachter dann mittels eines Videofilms erahnen, der ein „cream piece“ betiteltes Happening Ben Pattersons aus dem Jahre 1982 festhält: Zwei über und über mit Schlagsahne beschmierte Nackte, ein Mann und eine Frau, liegen ausgestreckt auf einem Tisch und die Ausstellungsbesucher sind aufgefordert, mit Zunge und Lippen und ohne Zuhilfenahme der Hände die Liegenden von der süßen weißen Fracht zu befreien.
Wolf Vostell geht in seiner 1972 entstandenen Bildfolge „Desasters“ noch weiter: Er betoniert Körperteile nackter Menschen – Handgelenk, Oberschenkel, Scham, Gesichtshälfte – schlichtweg ein und dokumentiert diesen Akt der Begegnung von Haut und Beton mittels Fotografien und Videoaufzeichnungen. Im Vergleich dazu wirkt seine Collage „Jaune Star Oil“ aus dem Jahre 1961 mit Zigaretten und Papier als Grundelementen eher harmlos.
Überwältigt ist man in der Bukarester Ausstellung vom Ideenreichtum der Fluxus-Künstler. Tomas Schmits „Schreibmaschinengedicht“ aus dem Jahre 1964 beispielsweise kommt mit einer einfachen schematischen Zeichnung einer Schreibmaschinentastatur und mit dem Satz „Nummern bezeichnen Reihenfolge!“ aus. Wer das Gedicht lesen will, muss es in Gedanken erst einmal selbst schreiben, indem er den auf den einzelnen Tasten angebrachten Nummern folgt und so den Text Buchstabe für Buchstabe sukzessive zusammensetzt.
Ganz anders verfährt Gerhard Rühm, der als Mitbegründer der Wiener Gruppe und als Verfasser von Lautgedichten und visueller Poesie bekannt wurde. Sein Werk „rühm’s schablone für zeitungsleser“ aus dem Jahre 1964 besteht aus einem schwarzen Fotokarton, in den die vier Buchstaben RÜHM in dünnen Linien eingeschnitten sind. Die schmalen Ausschnitte geben den Blick auf eine darunter liegende Zeitung frei, von der man lediglich bruchstückhaft winzige Relikte, niemals aber den Sinn des Ganzen erfassen kann.
Wolf Vostells Skulptur „Fluxus-Piano-Lituania“ (1994) versteht sich als Hommage an den 1978 verstorbenen Fluxus-Gründer George Maciunas. Auf ein schwarzes Klavier, auf dem vier verschnürte Koffer liegen, sind drei Einkaufswagen mit je einem weiteren Koffer drapiert. Der Notenhalter ist von einem Einweckglas mit Staubtuch besetzt, an die Klaviatur ist ein Feldtelefon montiert. Ab und zu leuchten grelle Lampen auf, als habe man soeben eine Lichtschranke durchschritten und dabei Lichtalarm ausgelöst.
Die Bukarester Ausstellung dokumentiert auch die große Nähe des Fluxus zur Musik, angefangen von John Cages 1952 in Woodstock uraufgeführtem Werk „4’33““ über die Zertrümmerung eines Klaviers durch Joseph Beuys im Rahmen eines Happenings aus dem Jahre 1963 bis hin zu verschiedenen Notenblättern, etwa den zehn „Incidental Music for Yo-Yo Ma“ betitelten Partituren von Emmett Williams für den weltberühmten chinesisch-amerikanischen Cellisten.
Aktueller denn je ist Joseph Beuys’ „Fernseh-Filz mit rotem Pflasterkreuz“ (1966), sehenswert die Aufzeichnung seines Klavierduetts mit Nam June Paik im Rahmen einer Düsseldorfer Fluxus-Soirée aus dem Jahre 1978, bedenkenswert sein Werk „Ich kenne kein Weekend“ (1972) mit einer Flasche Maggi Würze und der Reclam-Ausgabe von Kants „Kritik der reinen Vernunft“.
Dieter Roth schließlich besticht mit seinem „Karnickelköttelhasen“ (1972/87), einer Kleinplastik aus Hasenexkrementen in Hasenform, oder mit seiner „Literaturwurst“ aus dem Jahre 1967. Die Wurst, deren Material aus zerknüllten Romantexten besteht, trägt die Aufschrift: „Mein Name sei Gantenbein / Max Frisch / Roman.“ Wie die Romanfigur Gantenbein sehend wurde, nicht weil er sah, sondern weil er sich blind stellte, so muss man sich wohl auch den Fluxus-Werken nähern: Als sei man blind, um sehend zu werden.