„Bitte, Gott, tu etwas! Gott, bitte! Ich muss das Ticket erwischen! Ich verspreche, dass ich dieses Mal in die Kirche gehe und etwas Geld spenden werde. Ich verspreche, dass ich 100 Lei der Kirche spenden werde, aber bitte hilf mir, zu gewinnen!“ - so das Anflehen eines pathologischen Wettspielers, der aber letztendlich, wenn er verliert, feststellen muss, dass Gott wohl keinen Fußball schaut. Der Kampf gegen die Sucht nach Glücks- und Sportwetten, aber auch allerlei Süchte, die sich Hand in Hand entwickeln, ist Gegenstand einer Theateraufführung in Temeswar/Timișoara.
Der Verein „Stindart“ hat ein Theaterstück im Zusammenhang mit dem Kulturhauptstadtprogramm 2023 entwickelt, das auf fesselnde Weise auf die Sucht nach Sportwetten aufmerksam macht. Die Theateraufführung „Dumnezeu nu se uită la meciuri“ („Gott schaut sich keine Spiele an“) in der Regie von Anda Drăgan nach einem Text von Teo Spătaru wurde bisher in mehreren Glaubensgemeinschaften in Temeswar gespielt – da-runter in der römisch-katholischen Pfarrei in der Elisabethstadt/Elisabetin, in der Piaristenkirche und in der jüdischen Synagoge der Innenstadt. Nach jeder Vorstellung wurden Vertreter der Gemeinschaften sowie Fachleute und Zuschauer zu einem offenen Gespräch zu diesem Thema eingeladen. Soziale Folgen der Sucht, die Auswirkung auf junge Menschen und Behandlungsmöglichkeiten – all dies steht im Mittelpunkt des Dialogs. Die jüngste Vorstellung und Gesprächsrunde fand in der Haftanstalt „Popa Șapcă“ in Temeswar statt.
„Mein Leben ist ein Fußballspiel“
„Mein Name ist Hazard, ich bin 39 Jahre alt und mein Leben ist ein Fußballspiel, das in der Nachspielzeit verloren ging“: So lautet das Bekenntnis der Hauptfigur, gespielt von Aszalos Géza. Die Gestalt hat eine tragische Geschichte: Ein Schicksal, das seit der Kindheit vom Vater, einem unverbesserlichen Glücksspieler, bestimmt wurde. Hazard wuchs zu einem süchtigen Erwachsenen heran. Die kritische innere Stimme (gespielt von Bogdan Spiridon) sagt ihm „Du bist ein Verlierer“, um ihn dazu zu bringen, seine Sucht im Morgengrauen zu stillen. Hazard weigert sich zunächst, da er zu wissen scheint, dass er sein Schicksal ohnehin nur aufschiebt.
Studien zeigen, dass zwanghafte Spieler immer größere Beträge einsetzen müssen, um die gleiche Befriedigung zu erhalten. Dies zerstört ihre psychische und finanzielle Gesundheit. So leicht es ist, mit dem Glücksspiel anzufangen, so schwer ist es, damit aufzuhören. Bei zwanghaften Spielern können Symptome wie Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Angstzustände und sogar Depressionen auftreten. All das wird von den beiden Schauspielern akribisch und mitfühlend dargestellt.
Sportwetten hatten in den letzten zehn Jahren die höchste Wachstumsrate aller Glücksspielformen und machen etwa 43 Prozent des Online-Wettmarktes aus. Der Dramatiker Teo Spătaru weiß selber, wie es ist, in den Bann der Glückspiele zu geraten. „Ich habe als Teenager zusammen mit meinen Klassenkameraden angefangen zu spielen. Sozial, sozusagen. Ich liebe Fußball und es war eine Freizeitbeschäftigung, mit der ich mir etwas Geld dazuverdienen konnte. Das ist die gängige Auffassung, dass Wetten eine einfache Form des Zusatzeinkommens sind. Ich bin nicht ganz so weit gekommen, dass ich süchtig geworden bin, dabei zu stehlen, zu lügen oder andere illegale Handlungen zu begehen, um meine Sucht zu finanzieren, aber ich weiß, wie es sich anfühlt, sich vor der Öffentlichkeit, Freunden und Familie zu verstecken“, erzählt der 34-Jährige.
Wetten – keine harmlose Leidenschaft
Nach jahrelangem Spielen hat Teo Spătaru begriffen, dass es keine harmlose Leidenschaft ist. „Selbstbewusstsein, ein fester Wille und auch das Schreiben können bei der Befreiung von dieser Sucht helfen“, betont Teo Spătaru vor seinem Publikum nach der Vorstellung von „Dumnezeu nu se uită la meciuri“. Vor ihm sitzen Menschen, die unter den Folgen der Sucht am meisten zu leiden haben. Mit Fragen und Bekenntnissen, mit der Hoffnung auf Veränderungen und vor allem mit der Kraft, mitfühlend auf diejenigen zu schauen, die die Last der Süchte tragen – so verlief gerade die Theateraufführung in der Temeswarer Haftanstalt. Die Vertreter des Stindart-Vereins wurden einen Monat nach der offiziellen Premiere der Theateraufführung speziell in die Temeswarer Strafvollzugsanstalt eingeladen. Vor 45 Häftlingen und Angestellten der Institution wurde nun die Vorstellung ausgetragen. Sie schmunzeln, lachen laut, diskutieren oder sprechen intuitiv Sätze aus der Vorstellung schon im Voraus – der Aufführungssaal ist lebendig. Die heutigen Zuschauer erkennen sich selber in der Erzählung, die ihnen vorgestellt wird. „Draußen habe ich jahrelang an Glücksspielgeräten Geld verloren, gelogen, gestohlen und Illegalitäten begangen“, sagt ein Mann aus dem Saal im Anschluss an die Vorstellung. „Ich war der Besitzer eines Spielsaals. Ich habe so viel Geld dabei verloren, dass ich vor Stress angefangen habe, zu trinken. Dann bin ich betrunken Auto gefahren. Nun sitze ich deswegen im Gefängnis, seit zwei Monaten“, erzählt ein anderer. Ein weiterer Zuschauer spricht über die Habgier als Sucht.
Sucht: Folgen und Behandlungsmöglichkeiten
An der Seite des Dramatikers Teo Spătaru stehen als Gäste die Psychologin und Koordinatorin des Zentrums für Prävention, Evaluierung und Drogenberatung Temesch/Timiș, Mariana Iridon, und der römisch-katholische Pfarrer in der Elisabethstadt, Istvan Barazsuly. Gemeinsam sprechen sie über die sozialen Folgen der Sucht, die Auswirkung auf junge Menschen und Behandlungsmöglichkeiten. „Wenn ich Gott bitte, mir zu helfen, Geld zu gewinnen und Er mir nicht ´hilft´, bedeutet das nicht, dass Er mir nicht beisteht – Gott funktioniert nicht so. Wenn wir uns an Ihn wenden, um uns den Weg zu zeigen, auf unserem Weg zur Heilung, so wird er uns bestimmt beistehen“, sagt Pfarrer Istvan Barazsuly, der in seiner Tätigkeit viele Familien kennengelernt hat und weiterhin kennenlernt, die aufgrund von Sportwetten und Glücksspielen auseinandergehen. Der Pfarrer engagiert sich für diese, möchte Teil eines Heilungsprozesses sein.
Die Psychologin Mariana Iridon vom Temescher Antidrogenzentrum ist den Zuschauern aus der Temeswarer Haftanstalt nicht unbekannt. Die Fachfrau steht hier periodisch den Inhaftierten mit psychologischer Beratung zur Seite. „Es fällt vielen von Ihnen nun leichter, zu sagen, ja, ich habe ein Problem, ich bin mir dessen bewusst. Aber das geschieht hier, hinter den Gittern. Die wahre Herausforderung wird wieder da draußen sein, denn die Versuchung wird weiter existieren. Wie kann man diese im Griff behalten? Man muss im Inneren arbeiten, denn Süchte aller Art in unserem Leben sind eine Möglichkeit, dem Schmerz des Alleinseins zu entkommen. Sie sind eine vorübergehende Lösung, die wir - zugegebenermaßen schnell und bequem - finden, um einen dauerhaften Schmerz zu überwinden: ein Trauma oder die Flucht vor uns selbst. Die Sucht ist ein Zeichen, ein Signal, ein Symptom des Leidens. Sie ist eine Sprache, die zu uns von einer Schwierigkeit spricht, die verstanden werden muss. Süchte haben ihre Wurzeln immer im Schmerz, sie sind in der Tat emotionale Betäubungsmittel. Ohne die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse und ohne emotionale Bindung zu den Menschen in unserer Umgebung ist die Sucht für jeden von uns ein offenes Tor“, sagt die Psychologin Mariana Iridon.
Wertschätzung als Heilmittel
Das Gegenteil von Sucht ist nicht Abstinenz, sondern die Verbindung mit anderen Menschen. „Liebe ist und bleibt das Gegenmittel für jede Sucht. Sich wertgeschätzt zu fühlen ist äußerst wichtig, denn wenn sich jemand wertgeschätzt fühlt, wird er sich auch um sich selbst kümmern“, setzt die Psychologin fort.
Im Anschluss an die Diskussion antwortet auch Pfarrer Istvan Barazsuly auf die Frage „Sieht sich denn Gott Spiele an?“: „Er braucht dies nicht zu tun, denn Gott hat die Fußballspiele erfunden.“ Bei den Tipps des Pfarrers ging es um Dankbarkeit für die Dinge, die wir in diesem Augenblick haben, aber auch um Veränderungen, die jetzt beginnen sollten - mit Fokus auf die Gegenwart.
Das Projekt ist Teil des nationalen Kulturprogramms „Temeswar - Europäische Kulturhauptstadt Europas 2023“ und wird durch das Förderprogramm „Grow Timișoara 2023“ mit Mitteln aus dem Staatshaushalt über das rumänische Ministerium für Kultur finanziert. Die Inszenierung mit starker Thematik soll demnächst auch in anderen Glaubensgemeinschaften sowie in Schulen und Zentren für Kinder und Jugendliche vorgestellt werden, so die Vertreter des „Stindart“-Vereins.