Der am Starnberger See bei München liegende Ort Tutzing wurde im 11. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt. Seit 1949 dient das dortige an Geschichte und Kunst reiche Schloss mit seinen wunderschönen Parkanlagen der Evangelischen Akademie Tutzing und ist ein Forum der Begegnung, Bildung, Kultur und Ruhe.
Es erwies sich somit als idealer Ort für die 17. internationale Hofmannsthal-Tagung, wo sich namhafte Germanistinnen und Germanisten, junge Doktorandinnen und Doktoranden, Mitglieder der Hofmannsthal-Gesellschaft und Literaturinteressierte in einem traumhaft schönen Ambiente versammelten, um drei Tage lang über das Leben und Werk des österreichischen Schriftstellers zu referieren und zu diskutieren.
Tutzing, von dem Hofmannsthal 1909 seinem Vater in einem Brief berichtet, war für ihn vor allem, aber nicht nur für seine Landschaft wichtig. Hier traf er mehrmals die Ehepaare Bruckmann und Goloubew, besuchte Gitta Heymel und Richard Kühlmann, sprach mit Richard Strauss und Max Reinhardt über die „Ariadne“ und den „Jedermann“.
Das Thema der Tagung war Hofmannsthals Lyrik und beleuchtete diesen in den letzten Jahren eher vernachlässigten Bereich aus neuer poetologischer und kulturhistorischer Sicht. Dabei wurde der Stellenwert der Lyrik in Hofmannsthals Gesamtwerk neu analysiert und definiert.
Die drei Arbeitsgruppen, geleitet von Prof. Dr. Bernhard Böschenstein (Corseaux), Dr. Anna-Katharina Gisbertz (Mannheim) und Prof. Dr. Luigi Reitani (Udine) zusammen mit Dr. Peter Waterhouse (Wien) stellten unter Beweis, welchen Beitrag Hofmannsthals Gedichte zu den Formen und Funktionen des Lyrischen um die Jahrhundertwende leisteten, wie der Dichter mit dem literarischen Erbe umging und wie sich das Lyrische auf das spätere epische und dramatische Werk auswirkte. Dabei wurde auch auf Gedichtübersetzungen von Michael Hamburger ins Englische sowie von Elena Croce und Leone Traverso ins Italienische eingegangen.
Die breite Palette der Vorträge reichte von den Formen lyrischer Subjektivität (Prof. Dr. David Wellbery – Chicago) zur poetischen Verfahrenswiese in der frühen Lyrik Hofmannsthals (Prof. Dr. Wolfram Groddeck – Zürich), von Hofmannsthals Symbolismus im Vergleich mit Mallarmé (PD Dr. Angelika Jacobs – Hamburg), von Hofmannsthals lyrischer Poetik der Vorgeschichte (Prof. Dr. Ralf Simon – Basel) zu seinen Ghaselen (Prof. Dr. Dieter Burdorf – Leipzig), von Vergangenheit und Vergänglichkeit (Prof. Dr. Sandro Zanetti – Zürich) zu Formen der Anomie in Hofmannsthals Lyrik (Prof. Dr. Friedmar Apel – Bielefeld).
Besonders anregend waren die Vorstellung von Dissertationsprojekten zu Hofmannsthals Werk sowie die rege Diskussion danach. Antonia Eder (Genf), Björn Märtin (Berlin), Marion Mang (Wien), Konstanze Heininger (München), Katharina Schneider (Wien) und Olivia Varwig (Wuppertal) bewiesen mit ihren Projekten, dass Hofmannsthal höchst aktuell und die Exegese seines Werkes lange noch nicht abgeschlossen ist.
Vielversprechend klang auch Dr. Claudia Bambergs (Frankfurt am Main) Vorstellung des Buchprojekts zu Hofmannsthals Biografie „Hofmannsthal. Orte“, das eine Zusammenarbeit zwischen dem Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biografie in Wien und dem Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main darstellt.
Die einfühlsamen Vertonungen von Hofmannsthal-Gedichten durch Johannes D. Schendel (Bariton) und Hilko Dumno (Klavier), eingeführt von Philipp Werner, sowie das Gespräch mit den Schriftstellern Thomas Rosenlöcher (Beerwalde, Dresden) und Peter Waterhouse, moderiert von Prof. Dr. Luigi Reitani, rundeten das wissenschaftliche Programm der Tagung ab.
Aus dem Bericht von Prof. Dr. Heinz Rölleke, dem Präsidenten der Hofmannsthal-Gesellschaft, ging hervor, dass die Kritische Hofmannsthal-Ausgabe in 42 Bänden mit den auf 25.000 Druckseiten aufgenommenen 800 Werken und Plänen Hofmannsthals die umfangreichste einem Dichter gewidmete, „die zügigste und effizienteste Ausgabe“ sein wird, so die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
Zum Abschluss der Tagung wurde über die elektronische Erschließung der Kritischen Ausgabe referiert (Dr. Konrad Heumann und Armin Hoenen – Frankfurt am Main).
„Großer See, weite Thäler, ferne Bergketten, Laub- und Nadelwald, dazwischen offenes Land, alte Dörfer, Klöster, schöne Bauernhöfe“ schrieb Hofmannsthal 1909 an den Vater und ahnte dabei nicht, dass das malerische Tutzing als Veranstaltungsort für die Hofmannsthal-Forschung so perspektivenreich sein würde.