Fast ist der geneigte Leser versucht zu sagen: Endlich! Mit dem neuen Band der Reihe „Über Siebenbürgen“ kommen nun die Kirchenburgen des Burzenlandes an die Reihe. Dazu zählt auch Tartlau/Prejmer, eine der größten, bekanntesten und wohl schönsten Kirchenburgen Siebenbürgens über-haupt, die das Cover ziert. Aber auch sonst sind es äußerst prominente Orte und deren Burgen, die hier bei dieser Region natürlich zum Zuge kommen, wie etwa Zeiden/Codlea, Honigberg/Hărman oder Rosenau/Râşnov. Anselm Roth und der Luftfotograf Ovidiu Sopa bieten mit dem neuen Band aus ihrer Reihe nun einen buchstäblichen Über-Blick über das Burzenland und nachgerade „himmlische Ansichten“ von Kirchenburgen der Region.
Zwölf Orte und deren historische Burgen werden in Bildern präsentiert: Zeiden, Wolkendorf/Vulcan, Rosenau, Neustadt/Cristian, Weidenbach/Ghimbav, Marienburg/Feldioara, Rothbach/Rotbav, Nußbach/Măieruş, Brenndorf/Bod, Petersberg/Sânpetru, Honigberg und Tartlau.
Um es gleich vorwegzunehmen: Der Band kann es mit den Vorgängern nach technischer und formaler Gestaltung sowie Qualität und Auswahl der aufgenommenen Fotos durchaus wieder aufnehmen. Wobei bei diesem Band nicht nur die eindrucksvoll elegischen wie teilweise betörenden Luft- und Außenbilder der Kirchenburgen zu gefallen wissen, sondern dieses Mal auch besonders eindrucksvolle, tiefe Würde und große Geschichte ausstrahlende Innen- und Detailbilder zu bestaunen sind. So etwa die Innenräume der Kirchen von Wolkendorf (S. 21), Neustadt (S. 31), Weidenbach (S. 37), Nußbach (S. 52), Brenndorf (S. 58) und Petersberg (S. 63). Natürlich darf hier auch ein Bild der Schwarzen Kirche in Kronstadt/Braşov nicht fehlen (S. 7).
Ausgesprochen hilfreich und instruktiv ist die geschichtliche Einführung des Kronstädter Historikers Thomas [indilariu zur Region („Das Burzenland“; S. 5-9), die nicht nur als Einleitung zu diesem Band, sondern gleichzeitig als eine äußerst konzentrierte Darstellung der politischen und kirchlichen Geschichte des Burzenlandes gelesen werden kann. Er weist darauf hin, dass es ein formiertes Burzenländer Kirchenkapitel bereits ab 1295 gibt, zunächst mit Marienburg als Versammlungsort, ab 1380 in Kronstadt.
Hochinteressant sind seine Hinweise, dass nach neuesten Forschungen und Ausgrabungen Marienburg bereits vor Eintreffen der Ordensritter von deutschen Siedlern bewohnt war und Kronstadt ebenfalls vor der Zeit des Deutschen Ordens entstand, und zwar im Kontext der Anwesenheit des Prämonstratenserordens ab etwa 1200. Die Führungsrolle im Burzenland ging später von Marienburg auf Kronstadt über. [indilariu schildert die wechselvollen politischen und administrativen Strukturen, in die das Burzenland eingeordnet war, von den Anfängen über die Verwaltungseinteilung Siebenbürgens durch Kaiser Joseph II. von 1786 in elf Komitate und das 1876 eingerichtete Komitat Brassó bis zum Kreis Kronstadt im Zuge der letzten Verwaltungsreform von 1968.
[indilariu erwähnt das bis heute kultivierte „Konkurrenzverhältnis“ zwischen Hermannstadt und Kronstadt und den stets hohen Entwicklungsstand auch der ländlichen Teile des Burzenlandes. So weist der Zensus von 1930 die Region als diejenige Territorialeinheit mit der geringsten Analphabetenquote aus: zwischen null und zehn Prozent. Die staatlich gelenkte Forcierung der Agrar- und Industrieentwicklung habe in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg das historische Burzenland zu einer „demographischen Wachstumszone Rumäniens“ werden lassen, manche Dörfer stiegen zu Städten auf. Der massive Bevölkerungszuzug von Menschen aus anderen Landesteilen, vor allem aus der Moldau, habe aber auch das ethnische Gefüge nachhaltig verschoben und eine zunehmende Distanz einer großen Mehrheitsbevölkerung gegenüber den kulturhistorisch gewachsenen Strukturen der Region bewirkt.
Der Schlussfolgerung des Kronstädter Historikers kann vorbehaltlos zugestimmt werden, wenn er feststellt: „Entscheidend für den Erfolg der Bemühungen um den Erhalt des materiellen kulturellen Erbes des Burzenlandes ist daher die Frage, wie sehr es gelingen wird, durch Maßnahmen zu Erhalt und Sicherung dieses Erbes der Mehrheitsbevölkerung auch Gelegenheit zu geben, sich mit diesem Erbe zu identifizieren – kein einfaches, aber ein unerlässliches Unterfangen.“
Es sind auch bei diesem Rundflug wieder höchst aussagekräftige und außergewöhnliche, beeindruckende und bemerkenswerte wie auch stimmungsvolle Bilder entstanden, die nicht nur dem Auge offen Sichtbares abbilden, sondern selbst Stimmungen und viel Atmosphäre einfangen. Prächtige und hervorragend sanierte Kirchen und deren Innenräume, wie etwa die Beispiele in Neustadt, Tartlau, Honigberg und Petersberg, kontrastieren dabei mit den traurigen Impressionen aus Rothbach. Kurz und bündig informiert Anselm Roth in seinen Begleittexten wieder über Orte und Baugeschichte.
Neben aller Poesie und Schönheit, der Stimmung und Pracht der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen, die hier wieder sehr deutlich wird, pflegt der Band trotzdem keine falsche nostalgische Ästhetik, sondern enthält dem Leser auch solche berührenden Schauplätze und Anblicke des Verfalls wie in Rothbach nicht vor. Und auch manche Kuriosität wird im Bild von oben festgehalten, wie etwa die in ihrer Authentizität höchst umstrittene Nachbildung der Burg von Marienburg, die neben der Kirchenburg auch gezeigt wird. Dabei laden drei Bilder wirklich zum Schmunzeln ein, führen sie doch das Kuriosum der Kläranlage unmittelbar neben der künstlich nachgebildeten Burg vor (S. 43–46). Für Freunde und Fans der Kirchenburgen ist auch dieser neue Band ein Gewinn und ein Muss gleichermaßen.