Es sind 140 Zeichen. Keine Buchstaben, keine Wörter sondern nur 140 Zeichen. Eine Leerstelle kann einem schon einen Strich durch die Rechnung machen. Da werkelt man eine halbe Stunde lang an einem sogenannten „Tweet“, man versucht auf Satzkonstruktion zu achten, sich eine plausible aber auch stilistisch einwandfreie Aussage einfallen zu lassen, die der Zeichenbegrenzung trotzt und schließlich scheitert es an einer lausigen Leerstelle.
Das ist zum Haare Raufen, besonders wenn man so kurz davor war und doch nur knapp daneben. Roman Held könnte Zeilen darüber füllen, wie schwer es ist, sich auf 140 Zeichen zu beschränken. Als Informationsdienst hat sich Twitter längst bewertet. Spiegel Online und Zeit senden schon fast im Sekundentakt telegrafische Meldungen zum aktuellen Tagesgeschehen. Der fragmentarische Telegrafenstil mit den elliptischen Sätzen reicht vollkommen aus. Schließlich kommt es doch eh nur auf den Link an, der zum eigentlichen Artikel führt. Somit erfüllt Twitter für den Journalisten die klassische Teaserfunktion. Und hier galt schon immer die Faustregel: Fasse dich kurz, kürzer als es geht.
Doch was tut der Homme de Lettres, der eine ganze Geschichte in nur 140 Zeichen zusammenreimen möchte? So wie angeblich einst Ernest Hemingway in nur sechs Wörtern: „For sale: baby shoes, never worn“ (deutsch: „Zum Verkauf: Babyschuhe, nie getragen“). Alles halb so schlimm, findet der Twitter-Autor Roman Held und erinnert an Goethes „Wanderers Nachtlied“, das auch nur 139 Zeichen lang ist. Somit hätte sich der größte Dichter der Deutschen auch im Twitter-Universum mühelos zurechtfinden können. Nur ob sich jemand daran 200 Jahre später erinnert hätte, ist eine andere Frage. Roman Held schreibt schließlich seit sechs Jahren auf Twitter. Die meisten seiner Tweets sind allerdings im digitalen Nirvana verschwunden.
Als er eine Sammlung seiner Twitter-Beiträge als E-Book veröffentlichen wollte, musste er über Umwege seine alten Meldungen aufstöbern. „Was unten durchrutscht ist weg“, meint Roman Held über die Tweets am unteren Ende der Veröffentlichungsliste. Doch gerade das macht den Reiz dieser umstrittenen Literatur aus, die noch um Anerkennung ringt. Selbst Roman Held, der seit mehr als einem halben Jahrzehnt auf Twitter Satire schreibt und über 16.000 Follower hat, ist vorsichtig, wenn es darum geht, Twitter und Literatur in einem Satz zu erwähnen. Darum streitet sich die Wissenschaft, meint er.
Der Twitter-Autor selbst plant seinen Abgang. Immer weniger Tweets von Roman Held sind in letzter Zeit erschienen. Möchte er ganz weg, müsste er einfach sein Konto löschen. Fast wie bei Shakespeare könnte man dann spekulieren, ob es denn einen Roman Held gab oder nicht. Nur woran würden sich seine 16.000 Follower dann beziehen, wenn seine Werke mit ihm ins digitale Nichts vergehen. Das ist der Fluch des Internets. „Alles, was vier Sekunden her war, ist vorbei.” Fast schon wie auf dem heutigen Buchmarkt, wo zu viel erscheint und zu wenig bleibt. Naja, zumindest gibt es dort die physischen Relikte in Form von verstaubten Büchern, die keiner absetzen, aber auch nicht loswerden kann. Dagegen wirkt der digitale Tweet wie ein Gespenst, der in unseren Köpfen geisterte.