Wer etwas von Poesie hält, wer zudem vom Lebensschicksal und von den Gedichten Georg Hoprichs (1938-1969) einiges weiß, wird beim Vorbeifahren an Thalheim/Daia oder beim Verweilen in dieser Ortschaft sich des Dichters erinnern. Vielleicht geschieht solches nicht immer und auch nicht in stets gleichbleibend reger Intensität, doch fehlt es meist nicht an einem stillen gedanklichen Bezug. Mir jedenfalls geht es so, aber es gibt auch andere, bei denen sich ein solcher Automatismus einschaltet.
Zu ihnen gehört der in Rostock lebende Theologe Jens Langer, der, aus familiären Gründen, relativ häufig im Harbachtal unterwegs ist. Er fragte einmal – es war im Januar 2012 – brieflich an, ob es denn möglich wäre, Georg Hoprichs Thalheimer Elternhaus kenntlich zu machen, womit er das Anbringen einer Gedenktafel meinte. Diese Idee, dieser Einwurf von außen, hat nach und nach Gestalt angenommen, wobei Dr. habil. Jens Langer den Vorgang allmählicher Vergegenständlichung in Gedanken und brieflichen Äußerungen stets begleitete.
Er und auch andere Mitmenschen, mit deren Interesse für eine Gedenktafel in Thalheim gerechnet werden konnte, wurden – zwar nicht immer mit der nötigen Konsequenz – über einzelne Schritte in dieser Sache informiert. Zunächst mussten manche Lücken in unserem Wissen über Georg Hoprich geschlossen werden. Auch galt es, Unsicherheiten, verursacht durch unerwartete Wendungen in der nun einmal in Gang gekommenen Aktion, zu überwinden und realistische Entscheidungen zu treffen, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Auskünfte über das Elternhaus des Dichters, den Standort und die gegenwärtige Besitzlage sowie über familiäre Umstände erhielten wir von Dr. Stefan Sienerth, dem Herausgeber der ersten Auswahl aus der schriftstellerischen Hinterlassenschaft Georg Hoprichs („Gedichte“, Kriterion Verlag, Bukarest, 1983). Sienerth bat seinerseits den jüngeren Bruder und den Sohn des verstorbenen Autors um Informationen, er wandte sich also an den in Herford lebenden Germanisten Hans Hoprich – den wir hier begrüßen – und an den in Heidelberg wohnhaften Physiker Dr. Wieland Hoprich. Aufschluss über biografische Details gewährte uns auch der Schriftsteller Eginald Schlattner (er hat zeitweilig Georg Hoprichs Nachlass aufbewahrt) wie auch der emeritierte Germanistikprofessor Dr. Gerhard Konnerth.
Bei der praktischen Ausführung des Projekts durften wir mit viel Verständnis und tatkräftiger Hilfe rechnen, wofür auch an dieser Stelle ein herzlicher Dank an alle beteiligten Personen und Institutionen ausgesprochen sei. Der Schäßburger Bildhauer Wilhelm Fabini zeichnete den Entwurf, besorgte die Marmorplatte und ließ unter seiner Obhut die Tafel von einer Steinmetzfirma beschriften.
Das Demokratische Forum der Deutschen in Hermannstadt/Sibiu, geleitet von Dr. Hans Klein, machte die Ausführung der Tafel, auch ihre Finanzierung, zur eigenen Sache. Der Hermannstädter Kirchenbezirk, dem Dechant Dietrich Galter und Bezirkskirchenkurator Andreas Huber vorstehen, genehmigte bereitwillig, dass die Tafel im Zuständigkeitsbereich des Bezirks angebracht werde, und sorgte dafür, sie an der Mauer zu fixieren.
Das Bürgermeisteramt von Rothberg/Roşia, dem Thalheim verwaltungsmäßig zugeordnet ist, hat die Gedenkveranstaltung gutgeheißen, Bürgermeister Valentin Aldea bekundete nun, wie auch sonst, wohlwollende Aufgeschlossenheit. Da er durch ein gegenwärtig ablaufendes Gemeindefest verhindert ist, hier anwesend zu sein, entsandte er seine Gattin, Frau Elena Aldea, auf den Thalheimer Kirchberg. Wir freuen uns, dass Herr Friedrich Schneider, Vorsitzender der Heimatortsgemeinschaft Thalheim, in unserer Mitte ist.
Die Evangelische Akademie Siebenbürgen, vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden Dietrich Galter und den Programmleiter Roger Pârvu, nahm die feierliche Einweihung in ihr Programm auf, genauer: in die Veranstaltungsreihe „Hermanns literarisches Stadtcafé“. Und wenn wir zum Abschluss der Georg Hoprich gewidmeten Zusammenkunft im Pfarrhaus verweilen können, in dem von Schweizer und bundesdeutschen Stiftungen getragenen Kinderheim, dann ist das der Geschäftsführerin der Einrichtung, Frau Iris Moser, zu verdanken. Auch der Burghüterin, der Touristen bereitwillig Einlass gewährenden Frau Mariana Dan sei für ihre heute und auch sonst bewiesene Einsatzbereitschaft gedankt.
Warum die Tafel nicht am Geburtshaus, sondern an der Kirchenwand angebracht wurde, hängt wohl mit der Distanz zwischen dem Wort der Dichtung und dem Wort alltäglicher Wirklichkeit zusammen. Es ist ein vermutlich vorwiegend gefühlsmäßig erfasster Abstand, welcher der Logik und der Praxis gutnachbarlicher Beziehungen über ethnische Grenzen hinweg eigentlich widerspricht. So wurde aus dem ins Auge gefassten weltlichen Standort ein geistlicher, doch tut das wohl dem Anliegen, des Dichters zu gedenken, keinen Abbruch, im Gegenteil – Kirche und Friedhof sind Orte der Sammlung, der Einkehr.
Der geistigen Einkehr ist das Wort des Dichters dienlich. Das ließe sich anhand mancher Beispiele aufzeigen, wir wollen uns mit einem einzigen Beleg begnügen. Als am 22. September 1991 die Thalheimer evangelische Kirche von der Gemeinde nach länger währender Renovierung wieder bezogen wurde, hatte ich im Namen des Bezirkskonsistoriums eine kurze Dankansprache zu halten. Nach anlassbedingten Einschätzungen und zeitbezogenen Appellen las ich einige Strophen aus Georg Hoprichs Gedichten. Pessimistisches klang auf, doch auch der Ausdruck seelischer Gefasstheit.
Die Verse auf seinem Grabstein kamen damals zu Gehör: „Aus Stillsein ging die Flamme auf, / Die Wirrnis wurde Lebenslauf, / Der Irrtum leitete das Spiel, / Der Tod war das geschmückte Ziel.“ Auch jene Gedichtzeilen, die in die Gedenkplatte eingegraben sind, wurden vorgetragen: „Übt die Geduld und lasset euch nicht fallen! / Erhabener als Licht und offne Wege / Ist euer Schicksal – Offenbarung allen – / Geheimnis, Kraft zum Sein und göttlich rege.“
Die Umstände haben es so gefügt, dass Georg Hoprichs Grabplatte heute gleichsam verdoppelt wurde: Die Tafel an der Kirchenwand bietet fast die gleichen Daten wie der nur wenige Schritte entfernte, bereits etwas verwitterte Gedenkstein.
Und doch – welcher Unterschied! Existenzielle Zwänge nötigten die Familienangehörigen, die Stätte herkömmlicher Beerdigung zu bezeichnen, und sie taten es, ohne den üblichen Aufwand zu scheuen. Sie sahen sich gar veranlasst, über die Norm hinaus noch ein übriges zu leisten, Porträt und Dichterwort wurden aufgeboten. Das gegenwärtige Geschehen ergab sich aus anderen Veranlassungen, wie im Lauf der letztvergangenen Stunde bereits angeklungen oder ausgesprochen wurde: Zu den zweifellos auch jetzt mitschwingenden existenziellen Begründungen unseres Handelns kommt, von größerer Freiheit getragen, das künstlerisch-literarische Motiv hinzu. Nicht weil wir der Sitte genügen müssen wie damals, sondern weil wir uns, dem Dichter zuliebe, aus freien Stücken seinem Andenken widmen.
Mag sein, dass damit auch eine Nebenabsicht verbunden ist; verbunden sein kann. Verdoppelungen, ja ein drei- und mehrfaches Erinnern an eine Künstlerpersönlichkeit gewähren noch keine Garantie dafür, der Gewürdigte werde, auf lange, schier unbegrenzte Sicht, von weiten Kreisen gelesen und gerühmt. Solches erfolgt nur in seltenen Fällen, die Regel ist ein Hinschwinden der Aufmerksamkeit, eine Verminderung der Teilnahme. Woran uns aber besonders liegt, ist, dass –unabhängig von Erfolg oder Misserfolg – die schöpferische Bemühung, das Ringen um den passenden Ausdruck, das mühevolle Durchgestalten eines Entwurfs unsere Achtung und ungeteilte Zustimmung erwecken mögen. Der Aufblick zu der heute enthüllten Gedenktafel darf, ja muss uns wohl den Impuls eingeben, anhand eines leidvollen Lebenswegs sowie anhand des mit dem Namen Georg Hoprich verbundenen lyrischen Werks ganz allgemein den Dichter, den Dichter als solchen, als Typus, vor uns zu sehen, den mit Hingabe um Schaffensziele kämpfenden Menschen.