Am 1. November 1928 um 17 Uhr wurde das erste Rundfunksignal von Radio Rumänien in den Äther hinaus gesendet. Zur Feier dieses 83 Jahre zurückliegenden Ereignisses fand am vergangenen Freitag im Mihail-Jora-Saal des Rumänischen Rundfunks ein Konzert mit dem Nationalen Rundfunkorchester unter Leitung des französischen Dirigenten Julien Salemkour statt.
Julien Salemkour, der an der Musikhochschule Hannover und am Salzburger Mozarteum studiert hat, ist bisher vor allem als Operndirigent hervorgetreten. Er hat zahlreiche Aufführungen an der New Yorker Metropolitan Opera, an der Mailänder Scala, an der Semperoper in Dresden und an der Staatsoper Berlin dirigiert, wo er gegenwärtig als Staatskapellmeister und Assistent von Daniel Barenboim fungiert.
Wie Barenboim während des vergangenen Enescu-Festivals, so trat auch Salemkour am vergangenen Freitag zugleich als Dirigent und Solist in Erscheinung. Hatte Barenboim für das Bukarester Festivalpublikum die Klavierkonzerte Nr. 22 (KV482) und Nr. 24 (KV 491) zu Gehör gebracht, so interpretierte Salemkour für die Zuhörer des Jubiläumskonzertes das Klavierkonzert Nr. 23 (KV 488), das mittlere jener drei Klavierkonzerte, die Mozart von Dezember 1785 bis März 1786 während seiner Arbeit an der Oper „Die Hochzeit des Figaro” komponiert hatte.
Mozarts 23. Klavierkonzert in A-Dur zählt zu seinen berühmtesten und zugleich zu denen, die der Idealvorstellung von einem klassischen Klavierkonzert am nächsten kommen. Edle Einfalt und stille Größe, heitere Ausgewogenheit und ungetrübte Klarheit dominieren in diesem dreisätzigen Werk, vor allem in den fröhlichen Themen des ersten Satzes (Allegro) und im mitreißenden Schwung des letzten Satzes (Allegro assai).
Im Adagio-Mittelsatz hingegen gibt Mozart auch leisem Schmerz und anklingender Tragik Raum, die die Unbeschwertheit der beiden anderen Sätze in einem anderen, fahleren Licht erscheinen lassen. Insbesondere die chromatischen Stellen und die Pizzicato-Begleitung der Streicher im zweiten Satz unterstreichen die von einigen Musikwissenschaftlern propagierte These, dass der Götterliebling, das Wunderkind, das frühvollendete Genie Mozart insbesondere in seinen langsamen Sätzen sich von den an ihn gestellten Erwartungen emanzipiert und zu eigenem und innigem Ausdruck gefunden hat.
Diese in persönlichem Ringen geschaffene Schönheit ist nun keine rein in sich selbst scheinende mehr, sondern eine solche, die ein Gefühl der Ruhelosigkeit und Unbeständigkeit, ja selbst des Gefahrvollen und Unheimlichen in sich aufgenommen hat.
Der zweite Teil des Abends war im sich dem Ende zuneigenden Mahler-Jahr, das an den 100. Todestag des österreichischen Komponisten erinnert, dem sinfonischen Liederzyklus „Das Lied von der Erde” gewidmet, den Gustav Mahler in seinen letzten Lebensjahren komponiert hat. Die Uraufführung des Werkes fand posthum am 20. November 1911 in München unter Bruno Walter statt.
Die Texte der insgesamt sechs Lieder, die abwechselnd von einer Tenor- und einer Altstimme mit Orchesterbegleitung gesungen werden, stammen aus der Gedichtsammlung „Die chinesische Flöte” von Hans Bethge. Auf der Basis einer französischen Übersetzung von Gedichten altchinesischer Lyriker aus der Tang-Zeit (7. und 8. Jahrhundert) hat Bethge deutsche Sprachgebilde von großer poetischer Schönheit geschaffen, die Mahler dann seinerseits noch einmal abgeändert und weitergedichtet hat.
So hat Mahler beispielsweise den Schluss des Liedes „Von der Schönheit”, der bei Bethge so lautet: „In dem Funkeln ihrer großen Augen wehklagt die Erinnerung ihres Herzens”, folgendermaßen umgedichtet: „In dem Funkeln ihrer großen Augen, in dem Dunkel ihres heißen Blicks schwingt klagend noch die Erregung ihres Herzens nach.”
In dem sinfonischen Liederzyklus, den man auch als Sinfoniekantate bezeichnen könnte, dominiert eine Stimmung des Schmerzes, der Trauer, des Abschieds, des nahenden Endes. Im „Trinklied vom Jammer der Erde” taucht dreimal wie ein Menetekel der Satz auf: „Dunkel ist das Leben, ist der Tod.“ Im Lied „Der Einsame im Herbst“ stehen die Verse: „Ich weine viel in meinen Einsamkeiten, der Herbst in meinem Herzen währt zu lange.“
Die Lieder „Von der Jugend“ und „Von der Schönheit“ scheinen auf den ersten Blick der Schwermut zu widerstehen, aber die musikalische Gestaltung der Liedtexte macht deutlich, dass der poetische Zeuge keinen Zugang mehr zu den in sich kreisenden Welten der Jugend und der Schönheit mehr gewinnen kann, dass er vielmehr Jugend und Schönheit nur noch im Modus des Verlustes zu genießen vermag.
Nur im Rausch gelingt es schließlich, sich von der Last des Daseins zu befreien, wie dies im Lied „Der Trunkene im Frühling“ exemplarisch zum Ausdruck kommt: „Wenn nur ein Traum das Leben ist, warum denn Müh und Plag? Ich trinke, bis ich nicht mehr kann, den ganzen, lieben Tag!“
Das letzte Lied der Sinfoniekantate trägt den Titel „Der Abschied“ und besingt den Schmerz dessen, der auf seinen Tod wartet: „Es wehet kühl im Schatten meiner Fichten, ich stehe hier und harre meines Freundes; ich harre sein zum letzten Lebewohl.“ Auch dieser letzte Vers ist von Mahler zu den durch Bethge überlieferten altchinesischen Texten eigenhändig hinzugefügt worden.
So wie die Tonsprache des Orchesters im „Lied von der Erde“ zwischen sinfonischer Klangfülle und kammermusikalischer Intimität, zwischen orchestraler Masse und instrumentaler Kargheit changiert, so erfordert der sinfonische Liederzyklus auch Solisten, deren Stimmen lyrische Subtilität mit ausgreifendem Klangvolumen zu verbinden und in sich zu vereinigen wissen.
In der Mezzosopranistin Ruxandra Donose, die auf den großen Opernbühnen der Welt gesungen und eine beeindruckende internationale Karriere vorzuweisen hat, und im Tenor Marius Vlad Budoiu, der auf den Opernbühnen Rumäniens große Erfolge feiern konnte, hatte der Konzertabend im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks zwei Solisten, die die Jubiläumsveranstaltung zu einem schönen und gelungenen Konzertereignis machten. Der begeisterte Applaus der Zuhörer sprach dabei für sich.