Eine Stadt etwa 150 Kilometer südöstlich von Berlin. Eine gute Stunde auf der Autobahn. Am Samstag frühmorgens ist Cottbus ziemlich leer. Dieser Eindruck verstärkt sich noch durch die Weite zwischen den Häusern, Ergebnis sozialistischen Planens, der ruinösen Vernachlässigung der Altbausubstanz vor 1989, des Kriegs. Keine Ahnung.
Der Samstagmorgeneindruck passt sehr gut zu dem Lebensgefühl der Helden von „Wenn das Samenkorn nicht stirbt“ („Dacă bobul nu moare“) von Sinişa Dragin. Der rumänisch-serbisch-östereichische Film, wurde am Samstagmorgen auf dem Filmfestival gezeigt, das am letzten Wochenende in Cottbus zu Ende gegangen ist.
Das 21. FilmFestival brachte während der fünf Tage und Nächte ab dem vorangegangenen Mittwoch ganze 140 Produktionen aus über dreißig Ländern Ost- und Mitteleuropas in die ostdeutsche ehemalige Bezirksstadt. Davon dass am Samstagabend der Hauptpreis eines der bedeutendsten Filmfestivals für den osteuropäischen Film vergeben werden wird, ist am Morgen erstmal nichts zu merken. Alles ruhig, um nicht zu sagen leer. Parkplatz neben dem Kino. Doch der kleine Kinosaal wird immer voller. Die Cottbuser Cineasten lassen nicht im Stich.
Der Film, der außerhalb der Wertung läuft, erzählt die verschlungenen Geschichten eines serbischen Vaters, Igorvan, und des rumänischen Vaters Nico. Nico fährt nach Serbien, um die Tochter aus der Prostitution zu holen, und Igorvan nach Rumänien, um den verunglückten toten Sohn zurückzuholen. Ihr Treffpunkt ist die Donau, die in der Geschichte auch die Styx sein könnte.
Neben dem Flussmotiv spielt auch eine Sage über eine versunkene orthodoxe Holzkirche die verbindende Klammer über den Erzählsträngen. Diese Sage erzählt der Banater Schwabe Hans den tragischen Helden und Heldinnen, während er sie mit seinem Fischerboot illegal über den Grenzfluss bringt. Die Geschichten sind stimmig, wirken trotz der Überhöhung nie überkonstruiert.
Die Kameraführung von Dusan Joksimovic ist grandios. Trotzdem zerfällt der Streifen in zwei Teile und schockt am Ende mit harter unerwarteter Brutalität. Leider widerstand man auch nicht ganz der Verlockung der Spezialeffekte. Eine der ganz großen Stärken, und bei den furchtbaren Synchronisationen, die mitunter in Deutschland zu sehen sind, ein absolutes Vorbild, ist die Mehrsprachigkeit des Streifens. Neben dem Deutsch des Geschichtenerzählers wird auch Igorvans Serbisch und das Rumänisch Nicos und der anderen Figuren konsequent englisch untertitelt. Der Effekt der Sprachvielfalt ist wirklich phänomenal, das Gefühl für das rumänisch-serbische Grenzland stellt sich sofort ein.
Nach der Vorstellung geht es hinaus ins Licht. Blinzelnd treten wir unter die inzwischen zahlreicheren Cottbusser und entdecken nach einem kurzen Spaziergang auch die in den letzten Jahren restaurierte Altstadt. Eigentlich doch ganz schön hier. Jedenfalls ist das Filmfestival gut angenommen, wie ein belauschtes Tischgespräch über besorgte Karten für die Abschlussveranstaltung am Samstagabend ergibt. Uns ist es egal, nach der nächsten Vorstellung von starken serbischen Kurzfilmen müssen wir wieder auf die Autobahn Richtung Berlin. Im nächsten Jahr müsste man vielleicht doch Urlaub nehmen, um nach Cottbus zu fahren.