Zum Reformationsjubiläum 2017 erschien als 10. Beiheft der „Kirchlichen Blätter“ eine Sammlung siebenbürgischer Beiträge zur „Glaubensgeschichte“, herausgegeben von Hans Klein und Hermann Pitters. Die Thematik der vorgelegten Studien und geistlichen Worte ist überaus breit gefächert und will recht unterschiedliche Aspekte des Lebens der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien in Geschichte und Gegenwart wiedergeben, um dadurch „ihr Profil neu zu suchen“, und dieses nicht allein, sondern zusammen „mit den vielen uns partnerschaftlich und freundschaftlich verbundenen Kirchen und Christen Europas.“ So begründet Bischof Reinhart Guib das Erscheinen dieser Festschrift und deutet damit die ökumenische Blickrichtung unserer Kirche für heute und morgen an. (S.5)
Überblicken wir den gesamten Inhalt des Buches in seiner Vielfalt, so fällt dabei die häufig wiederkehrende Frage nach dem Heute auf. Altbischof Christoph Klein wirft ausdrücklich die Frage nach der Bedeutung der „Reformation für unsere Kirche heute“ auf und führt in sieben Schritten von der Bedeutung der Laien, dem hohen Stellenwert von Schrift und Gesangbuch, über Diakonie als Gemeindedienst hin zu Schule und Bildungswesen. In Siebenbürgen gehört sogar Toleranz zum Erbe der Reformation, welches uns zur gelebten Ökumene führt; das Kulturerbe gehört bis heute zum kirchlichen Leben und ebenso ist aus dem evangelischen Pfarrhaus die immer noch wichtige Rolle der Pfarrfrau nicht wegzudenken. (S.32) Dem entgegen steht der Satz des Bischofsvikars Daniel Zikeli: „Das jahrhundertealte Bild des Pfarrhauses als Gemeindehaus und Gemeindezentrum einerseits und als zusammenstehende Familie andererseits hat sich verändert“. (S.279) - Wolfgang Wünsch weist darauf hin, dass Honterus die Priesterehe anders begründete als Luther, der die Ehe als ein „weltlich Geschäft“ bezeichnet hatte. Honterus sah die Ehe als Sakrament an, das den Priestern nicht vorenthalten bleiben könne. - Thomas Pitters schreibt zur Frage der Reformation heute: „Luther hätte sicherlich den heutigen Papst nicht als Antichrist und die heutige katholische Kirche nicht als Babylon bezeichnet.“ Seit der Reformation hat sich vieles geändert, aber auch heute sind wir mit Luther „nie im Gewordensein, sondern im Werden“. (S. 117.118)
In seiner tief schürfenden Studie „Rechtfertigung aus Glauben bei Paulus und Luther“ stellt Hans Klein fest, dass die frohe Botschaft der Rechtfertigung aus Glauben heute schwer umzusetzen ist, weil das bei jenen vorhandene Sündenverständnis fehlt. „Dass wir selber korrupt sind, tritt kaum in das Bewusstsein“. Das ist eigentlich verwunderlich. Aber „ein Sündenbewusstsein zu verlangen, wäre Gesetzesforderung.“ So kommt er zum Schluss: „Du lebst richtig (gerecht), wenn du dir sagen lässt, dass du Gottes Kind bist und bleibst und niemand und nichts dir diese Gotteskindschaft nehmen kann. Wenn du nur daran festhältst, glaubst.“ Das ist fraglos die Essenz der Rechtfertigungsbotschaft. Dem Leser bleibt jedoch die Frage, ob man diese Botschaft auch ohne erlebtes Sündenbewusstsein annehmen kann. Zuletzt mahnt Hans Klein, gegen die Gefahr anzukämpfen, „dass aus einer Kirche des Wortes eine Kirche der Wörter wird…“ (S.133.134) Das ist gewiss entscheidend. - Daniel Zikeli legt den Finger auf bedenkliche Anzeichen im Leben der Kirche, welche die Pfarrer und die Kirchenleitung heute herausfordern, Hans Bruno Fröhlich sieht Zeichen der Hoffnung in ökumenischen Begegnungen auf Gemeindeebene, Johann Dieter Krauss versucht, in einer Welt der Diesseitigkeit das Reich Gottes zu verkündigen.
Eine hochinteressante Studie legt Hermann Pitters über die Botschaft der Reformation auf dem alten Hermannstädter Altar vor, den er als „ein hochrangiges reformationsgeschichtliches Denkmal mit dokumentarischem Wert“ bezeichnet (S. 187) und dessen Bedeutung als greifbaren Beleg für die Reformation in Siebenbürgen er verständlich darlegt.
Dieser Flügelaltar, kurz vor der Reformation entstanden, erlebte während der Reformation eine tiefgreifende Veränderung, indem die Heiligenbilder nicht nur übermalt, sondern bis auf das Holz gründlich entfernt und durch wohl durchdachte und sinnvoll kombinierte Worte aus dem Alten und Neuen Testament in lateinischer Sprache ersetzt wurden. Allein der Gekreuzigte und was unmittelbar mit ihm zusammenhängt blieb im Bild erhalten. Die reformatorische Botschaft ist klar, die hier zum Ausdruck kommt: Erstens: Christus allein bringt uns das Heil und zweitens: Allein das Wort der Heiligen Schrift verbürgt uns den Weg zu Christus. Kunstgeschichtlich gesehen, war das natürlich ein bedauerlicher Eingriff, auch erlebte der Altar noch eine lange und aufregende Geschichte mehrfacher Veränderungen bis zu seiner Restaurierung 1986. Das alles und noch mehr erfahren wir aus der spannenden Darstellung. - Gleich anschließend daran steht der Beitrag „Protestantischer ‚Bildersturm’ am Beispiel Hermannstadts“ von Frank Thomas Ziegler. Dieser Titel klingt provozierend, doch lesen wir danach, dass es im Reformationsjahrhundert in Siebenbürgen keinen richtigen Bildersturm gegeben hat. Wenn Altäre aus den Kirchen entfernt wurden, geschah dies sachlich und ohne Tumult. Hingegen gab es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts am Kirchenraum der Hermannstädter Stadtpfarrkirche mehrere bedauerliche Eingriffe, die im Sinn des Autors als „Protestantischer Bildersturm“ bezeichnet werden können. Dieser Beitrag ist gut dokumentiert, spannend und ganz gewiss lesenswert.
Auch weitere Beiträge zur kirchlichen Kunst und Kultur ergänzen die Sammlung: Ágnes Ziegler erläutert in ihrem Beitrag die Mittel, mit denen die Kronstädter Gemeinde im 18. Jahrhundert im Inneren der Schwarzen Kirche ihr evangelisches Profil darstellte. Kai Brodersen vergleicht das älteste lutherische Hausgesangbuch, „Enchiridion oder Handbüchlein“ aus Erfurt 1524, mit älteren und neueren siebenbürgischen Gesangbüchern, um deren Anknüpfung an das reformatorische Liedgut festzustellen. Jürg Leutert findet vor allem in den „Dicta“ seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert, aber auch in anderen Neuschöpfungen eine Tradition, an der sich die Kirchenmusik in Siebenbürgen neu ausrichten kann. - Einen umfangreicheren und historisch informativen Beitrag zur sächsischen und deutschen Predigtsprache in unserer Kirche seit Honterus bis zum 19. Jahrhundert bietet Gerhild Rudolf, die zuletzt auch die Frage der Mitbenützung der rumänischen Sprache in unserer Kirche streift.
Den bei Weitem umfangreichsten Beitrag des Bandes stellt die Untersuchung von Psalm 37 durch Peter Klein dar. Der Autor findet die Bedeutung dieses Psalmes für Martin Luther und seine Zeit im Wesentlichen als Tröstung und Zuspruch, für uns und unsere Zeit hingegen sowohl als Ermahnung des Einzelnen, als auch als Ermahnung für die Kirche. In ausführlicher Analyse zeigt er, was im Sinn der alttestamentlichen Weisheitsliteratur ein „Gerechter“ und was ein „Bösewicht“ ist. Den inhaltlichen Höhepunkt findet die Auslegung nicht in der gängigen Frage der Theodizee („Warum lässt Gott den Gerechten leiden, während der Böse triumphiert?“), sondern in der Ausrichtung auf den „Gerechten“, das heißt auf den gläubigen Menschen, der nach Gottes Willen zu leben trachtet und der ermahnt wird: „Warte nicht darauf, dass Gott gegen die Bösen und Reichen zu Felde zieht, um sie zu vernichten! Er tut es nicht. Hoffe du aber auf Gott und vertraue ihm dein ganzes Leben an!“ (S. 166) Konzentrieren sich die Gläubigen in diesem Sinn auf Gott, so stellen die Korrupten und Mächtigen für sie „keine emotionale Anfechtung mehr dar.“
Einen direkten Beitrag zur Geschichte der Reformation in Siebenbürgen stellt der Aufsatz von Hans Klein über Valentin Wagners Ausgabe des Neuen Testamentes in griechischer und lateinischer Sprache von 1557 dar. Diese Ausgabe beweist, wie gründlich auch in unserem Raum im Sinn der Reformation und der humanistischen Bildung gearbeitet wurde. - Gerhard Servatius-Depner schlägt den Bogen von der Reformation in Mediasch zu deren Nachwirkungen im heutigen Mediasch und Johannes Halmen kommentiert Nachrichten aus dem Reformationsjahrhundert in Keisd. - Am Schluss des Bandes berichtet Stefan Cosoroab˛ über die feierliche Pflanzung von zwölf Apfelbäumchen zum Reformationsgedächtnis, von denen zwei zu der Zeit, da er den Artikel schrieb, schon gepflanzt waren: das erste in Rašica/Slowenien und das zweite in Turda-Torda-Thorenburg.
Der ganze Band ist gerade in seiner Vielfalt interessant und lesenswert.