Top-Ereignis in der Europäischen Kulturhauptstadt 2023

Constantin-Brâncuși-Ausstellung kann im Kunstmuseum besichtigt werden

„Piatră de hotar“ ist das letzte Werk der 1907 in Craiova begonnenen Kuss-Serie des Künstlers.

Doina Lemny vom Centre Pompidou in Paris hat die Constantin-Brâncuși-Ausstellung in Temeswar kuratiert.

„Măiastra“ ist eine Serie von Constantin Brâncuși, in der der Bildhauer zwischen 1910 und 1918 mehrere Vögel aus Bronze oder Marmor geschaffen hat. | Fotos: Zoltán Pázmány

Die Vorbereitungen liefen in den letzten Tagen auf Hochtouren, sodass einen Tag vor der Eröffnung der Ausstellung für die eingeladenen Journalisten Museumsdirektor Filip Petcu, Absolvent der deutschen Nikolaus-Lenau-Schule, mit einem kleinen Teil seines Teams bis spät in der Nacht im Museum verweilte, um die letzten Details vorzubereiten. Die Ausstellung „Brâncuși: Rumänische Quellen und universelle Perspektiven“ ist nämlich eines der Top-Ereignisse im Europäischen Kulturhauptstadtjahr in Temeswar/Timișoara und eine Premiere für ganz Rumänien. Schließlich wurde seit 50 Jahren keine Brâncuși-Ausstellung mehr hierzulande organisiert. Constantin Brâncuși, 1876 in Hobița, Kreis Gorj, geboren, gilt weltweit als prägender Bildhauer der Moderne, gemeinsam mit Auguste Rodin, den er persönlich kannte. Die Ausstellung in Temeswar ist dank der Zusammenarbeit mehrerer Organisationen zustande gekommen: das Nationale Kunstmuseum in Temeswar als Gastgeber, die Art-Encounters-Stiftung, der Temescher Kreisrat als Hauptfinanzierer und das Französische Institut in Rumänien. Hauptsponsor des Events ist „Banca Transilvania“. 

„´Die Welt kann durch Kunst gerettet werden´, hatte Constantin Brâncuși gesagt, und ihr Zweck ist es, die Menschen durch einfache visuelle Wahrnehmung näher zu bringen. Dies ist eine der Ideen, die hinter den Bemühungen des Temescher Kreisrates stehen, eine kulturelle Infrastruktur nach internationalen Standards aufzubauen. Wir haben mehr als 2 Millionen Euro in die Umgestaltung des Nationalen Kunstmuseums in Temeswar investiert, derzeit der einzige Ort in der Region, der wertvolle Exponate beherbergen kann“, sagte der Vorsitzende des Temescher Kreisrats, Alin Nica. Es war der Geschäftsmann und Vorsitzender der Art-Encounters-Stiftung, Ovidiu Șandor, ein großer Kunstliebhaber und -kenner, der 2019 die Idee hatte, eine Brâncuși-Ausstellung in Temeswar zu veranstalten. Er sprach diesbezüglich mit der Museographin und Forscherin am Centre Pompidou in Paris, wo sich auch das Atelier von Constantin Brâncuși befindet, Doina Lemny, und die Idee nahm allmählich konkrete Formen an. Doina Lemny selbst betonte bei der Ausstellungseröffnung, dass sie ein fabelhaftes Team zur Seite hatte, um die Ausstellung auf die Beine zu stellen. „Ich habe realisiert, dass wir etwas Außergewöhnliches, etwas Großartiges für das Kulturhauptstadtjahr schaffen müssen, etwas, was genauso im Kollektivgedächtnis bleiben sollte. (…) Nur durch solche Großveranstaltungen kann die Gemeinschaft aktiviert werden“, betonte auch der Kreisratsvorsitzende Alin Nica. Ovidiu Șandor, Kommissar der Ausstellung, scherzte noch bei der Pressekonferenz: „Hätte ich gewusst, was die Veranstaltung einer solchen Ausstellung voraussetzt, hätte ich damals meinen Mund gehalten“. 

Kuratorin Doina Lemny erklärte, dass es sich bei der Ausstellung nicht um eine Retrospektivausstellung handelt. „Eine solche kann nicht veranstaltet werden, denn die Werke sind überall auf der Welt verstreut, sie sind sehr fragil und schwer zu befördern. Wir wollten einfach nur Brâncuși nach Hause, nach Rumänien bringen“,  sagte sie.

Die Ausstellung „Brâncuși: Rumänische Quellen und universelle Perspektiven“, die bis zum 28. Januar 2024 im Nationalen Kunstmuseum am Domplatz besichtigt werden kann, zeigt rund einhundert Werke (Skulpturen, Fotografien, Archivdokumente, Filmmaterial), die einen Überblick über das Schaffen und das Leben von Constantin Brâncuși geben, aber auch den großen Bildhauer zum ersten Mal in einen rumänischen Kontext stellen. Die Expo zielt darauf ab, die Besonderheit des Künstlers zu veranschaulichen, der es geschafft hat, reine Formen zu schaffen, frei von jeglichem Einfluss. Durch den Dialog, den er mit dem Material aufnimmt und der es ihm ermöglicht, die Essenz von Wesen und Objekten zu extrahieren, überschreitet Brâncuși alle geografischen, historischen, formalen und geschlechtsspezifischen Grenzen, was ihm einen besonderen Platz einräumt, der irgendwie keiner künstlerischen Strömung zuzuordnen ist. Doina Lemny betonte, dass sowohl der Bildhauer Constantin Brâncuși, wie auch der Komponist George Enescu schon immer in Rumänien angesehen waren, auch in sozialistischen Zeiten, und „nie angegriffen wurden“. „Die Ausstellung hebt bestimmte Aspekte hervor, die die Verbindung des Künstlers mit seinem Heimatland, mit der rumänischen Kunst und Literatur hervorrufen, und überlässt es dem Publikum, diese subtilen Beziehungen nach seinen eigenen Intuitionen und Gefühlen zu entdecken. Daher ist es nötig, wichtige Etappen seines Schaffens zu präsentieren, wobei der Schwerpunkt auf der ersten Periode liegt, die die Spuren seiner Ausbildung in Rumänien trägt, sowie auf dem Dialog, den er durch die Teilnahme an verschiedenen künstlerischen Veranstaltungen ständig mit seinen Landsleuten führt“, erklärte die Kuratorin. Aus einer ersten Schaffenszeit ist auch das Werk „Ecorșeul“ zu sehen, das die Ausstellung sozusagen eröffnet. Es ist seine Abschlussarbeit 1902 an der „Nationalen Schule für Schöne Künste“ in Bukarest. 

Die Expo führt die verschiedenen Etappen von Brâncușis künstlerischem Weg vor Augen: von den Werken, die unter dem Einfluss seiner Ausbildung an der Bukarester Hochschule entstanden sind, bis hin zu seiner Konfrontation mit Auguste Rodins Skulptur und seiner radikalen Entscheidung, das Modellieren aufzugeben und die Methode des direkten Schleifens anzuwenden – was seine symbolische Rückkehr zu den primitiven Künsten markiert und gleichzeitig den Weg in die Moderne eröffnet. Im Dialog mit den Skulpturen ist auch eine einzigartige Auswahl an Fotografien und Aufnahmen, die der Künstler geschossen bzw. gefilmt hat, ausgestellt. Museumsexperte Alexandru Babușceac vom Kunstmuseum Temeswar führte schon am Donnerstag eine Journalistengruppe durch die Ausstellung. Bei der Besichtigung ist besonders darauf zu achten,  nicht allzu nahe an die Exponate zu treten, sonst wird das Sicherheitssystem aktiviert. Man darf zwar fotografieren und filmen, jedoch – verständlich – ohne Blitz und Lichter. Besondere Exponate – wie etwa die Skulptur „Piatră de hotar“, Teil einer längeren Kuss-Serie des Autors – können u. a. in der Ausstellung bewundert werden. „Piatră de hotar“ aus dem Jahr 1945 ist das einzige Werk mit historischer Bedeutung, wie Kuratorin Doina Lemny preisgab. „Es drückt die Traurigkeit des Künstlers aus, der den Verlust von Territorien bedauert“, sagte sie.  

Die Ausstellung konnte dank mehrerer Leihgaben des Nationalmuseums für moderne Kunst in Bukarest, des Centre Pompidou in Paris, der Tate Gallery in London, der Guggenheim Foundation, des Nationalmuseums für Kunst in Bukarest und des Kunstmuseums in Craiova sowie von Privatsammlungen zustande kommen. Begleitet wird sie von einem Katalog in rumänischer und englischer Sprache, der von Doina Lemny koordiniert wurde und 16 Essays von rumänischen und ausländischen Fachleuten umfasst, sowie 190 Abbildungen von Skulpturen, Zeichnungen und Fotografien von Constantin Brâncuși, u.v.m. Der von der Art-Encounters-Stiftung herausgegebene Band, der am Samstag vorgestellt wurde, ist der ideale Leitfaden für alle, die ein tieferes Verständnis für die Welt des Bildhauers gewinnen wollen. Er kann auf der Website der Ausstellung (brancusi-2023.info), auf der Website der Buchhandlung „La Două Bufnițe“ (ladouabufnite.ro), in anderen Buchhandlungen in Rumänien sowie im Nationalen Kunstmuseum in Temeswar erworben werden. Eintrittskarten zur Ausstellung können auf der Internetseite der Ausstellung gekauft werden. Ein Ticket für Erwachsene kostet 88 Lei (100 Lei, wenn man alle Ausstellungen des Kunstmuseums besichtigen möchte), Rentner zahlen 55 Lei und Studierende 22 Lei, wobei Kinder freien Eintritt genießen. Jeden dritten Mittwoch im Monat kann das Kunstmuseum in Temeswar kostenlos besichtigt werden.