Zukunft dank Mitteleuropa

Radu-Alexandru Nicas Geschichte des deutschen Theaters Hermannstadt

Wie beim Zahnarzt seien die Termine am Vormittag im Habitus-Kulturzentrum angesetzt, meinte der bekannte Theaterkritiker und -historiker George Banu humorvoll Sonntagmittag. Besondere Achtung schenken Constantin Chiriac, der Direktor des Internationalen Theaterfestivals Hermannstadt/Sibiu, und sein Team nämlich dem Begleitprogramm zu den Theater-, Tanz- und Musikdarbietungen des Festivals und die Dialoge zu Theater- und Kulturfragen, Pressekonferenzen mit den Künstlern, Buch- und Zeitschriftenvorstellungen finden alle in den beiden Räumen des Zentrums unter der katholischen Kirche statt. Sonntagmittag fanden auch Ausstellungseröffnungen statt, sodass Gastgeber, Moderatoren, Beteiligte und Publikum mit Terminüberlappungen zu kämpfen hatten. Dennoch war die Präsentation des Buches „Nostalgia Mitteleuropei. O istorie a teatrului german din Sibiu“ (Die Nostalgie Mitteleuropas. Eine Geschichte des deutschen Theaters in Hermannstadt) von Radu-Alexandru Nica sehr gut besucht.

An Hand dieses Buches könne man den Theaterhistoriker Radu-Alexandru Nica entdecken, sagte George Banu. Dokumentiert hat er die Geschichte eines Theaters und zwar sowohl was dessen Gebäude angeht als auch die Höhen und Tiefen seiner Truppe. Die Geschichte dieses kleinen, lokalen Theaters platziere der Autor des Buches in die Nostalgie nach jenem Geist, der im plurikulturellen Habsbur-gerreich geherrscht habe, so Banu. Für den Literaturkritiker Andrei Terianu war überraschend am Buch, wie sehr sein Autor das Temperament des Regisseurs disziplinierte und eine wissenschaftliche Arbeit verfasste. Ausgewertet wurden bereits gedruckte Quellen aber auch Archive und Manuskripte und im Buch auch die soziologische und politische Problematik der deutschen Minderheit gestreift.

Ferner habe Nica über das Spannungsfeld reflektiert, in dem sich die deutsche Bühne Hermannstadt als Theater einer Minderheit jedoch Sprechbühne in einer der großen europäischen Theatersprachen befindet. Verblüffend, so Terianu, sei die vorgeschlagene Lösung des Theatermannes auf die gegenwärtigen Probleme: Den Minderwertigkeitskomplex abzulegen und eine dem zeitgenössischen deutschen Theater synchron geschaltete Bühne zu werden.

Das soeben erschienene Buch zur Geschichte der deutschen Bühne in Hermannstadt ist Teil der Promotion, die Radu-Alexandru Nica an der Universität der Künste in Neumarkt/Târgu Mureş im Oktober 2010 verteidigt hat. Das Buch erschien im Eikon Verlag als Nummer 1 der Kollektion ArtReSearch in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum für Theaterschaffen „Vlad Mugur“ der Fakultät für Theater und Fernsehen an der Babeş-Bolyai-Universität in Klausenburg/Cluj. Der in diesem Band nicht veröffentlichte Teil sowie Studien über die Dramatik bei den Siebenbürger Sachsen sollen in einem weiteren Band publiziert werden.

Er habe das Buch aus Dankbarkeit seiner Familie gegenüber geschrieben, sagte Radu-Alexandru Nica. Mütterlicherseits ist er Vertreter der vierten Generation einer der deutschen Bühne in Hermannstadt verbundenen Familie der deutschen Gemeinschaft. Seine Mutter ist die Schauspielerin Renate Müller-Nica, der Großvater Wilhelm Müller war von 1961 bis 1969 der Verwaltungsdirektor des Theaters. Auch wollte er die Grundlagen dessen bekannt machen, was seine Kontinuität heute im Internationalen Theaterfestival erlebt, sagte Nica.  
 
Was das Buch des 1969 geborenen Regisseurs und Theaterhistorikers angeht, so umfasst dieses von der Geschichte der deutschen Minderheit in Rumänien ausgehend die unterschiedlichen Entwicklungsetappen des Theaters in Siebenbürgen aus der Zeit des Mittelalters bis zur Gegenwart. In den Prämissen reflektiert der Autor, der an den deutschen Bühnen in Hermannstadt und Temeswar/Timişoara aber auch in Deutschland, Großbritannien und Polen inszeniert hat und an den Theaterhochschulen in Klausenburg und Neumarkt lehrt, über die Überlebenschancen des deutschsprachigen Theaters in Rumänien angesichts des verschwindend kleinen deutschsprachigen Publikums.

Seiner Ansicht nach müssen Tradition und Geschichte verstanden und angenommen werden und als Grundlage für einen Neuanfang dienen, wobei auf die provinzielle Selbstgenügsamkeit und das osteuropäische Selbstmitleid verzichtet werden und der Anschluss an den zeitgenössischen deutschsprachigen Raum in Europa gefunden wird. Zugespitzt formuliert: Es muss mehr Theater und nur subsidiär deutsch sein (S. 22). „Go west!“ hat Nica die Schlussfolgerungen betitelt. Mitteleuropa braucht nicht Utopie zu bleiben.