Auch der „Neue Weg“ kommt vor

Ist alles mit Vorsicht zu genießen?

Michaela Nowotnick
Die Unentrinnbarkeit der Biographie
Der Roman „Rote Handschuhe“ von Eginald Schlattner als
Fallstudie zur rumäniendeutschen Literatur
Böhlau Verlag Köln Weimer Wien


Ich habe mich gefreut, als ich vor einiger Zeit die Berliner Literaturwissenschaftlerin Michaela Nowotnick direkt kennengelernt habe. Sie ging schon ihrem zweiten Projekt nach: Nachlässe und Archive im Familienbesitz, dabei habe ich ihr Talent bewundert: Sie hat auch mich dazu gebracht, zu Hause die Schubladen zu öffnen, an die ich 20 – 30 Jahre nicht mehr herangegangen war.
Wir haben damals auch über ihre Doktordissertation gesprochen, über die „Handschuhe“ von Eginald Schlattner. Ich sagte: Wenn das als Buch erscheint, wird es wieder einen Auflauf geben. Sie meinte: Ich werde es überstehen.
Als erstes ist es nicht genug zu schätzen, dass sich eine Germanistin aus Berlin unserer Regionalliteratur widmet, da wir doch eine Randerscheinung sind und unsere hiesigen Germanisten meist höhere Ziele anstreben.
Es war aber auch ein dankbares Thema, denn in der Dissertation ist die Zeit drin, in der der Roman spielt und dann die Zeit, in der er geschrieben wurde.

Eginald Schlattner hat neun Jahre lang an dem Roman „Rote Handschuhe“ gearbeitet, von 1991 bis 2000, der Roman ist 2001 bei Zsolnay in Wien erschienen. Mitten in der Arbeit formulierte er das Hautproblem in einem Brief an seinen Verleger:
„Das Schlimmste an WEI ist, dass ich vielen von den echten, noch lebenden Personen eins auswischen will (...) bzw. mich reinwaschen will in diesem verhängnisvollen „Drang zur Unschuld“, und gerade darum Glaubwürdigkeit verspiele. Oder anders: Ich steh nicht mehr daneben, wie im HAHN, sondern mittendrin als rachsüchtiger kleiner Zwerg“.
Diese Erkenntnis und zwei Lektorinnen halfen dem Autor, dass aus den zahlreichen Fassungen bis zuletzt ein Roman wurde. Das war einmal Dr. Edith Konradt, die von hier stammt und die damals bei einer Zeitschrift „Halbasien“ in Berlin arbeitete. Sie hat die Fassung, die vom Berliner Aufbau Verlag lektoriert worden war, noch einmal durchgekämmt und dem Autor Vorschläge gemacht. Dann Brigitte Hilzensauer vom Zsolnay Verlag, die das Lektorat von allen drei Schlattner-Romanen betrieben hat und die zuletzt sowohl den Autor als auch den Verlag zu ungewöhnlichen Erfolgen geführt hat.
Im Roman kommt das Preisausschreiben vor, das der „Neue Weg“ veranstaltet hatte, die Preisverleihung fand am 1. Juli 1956 im Theatersaal auf dem Amzei-Platz statt. Eginald Schlattner war dabei mit einem Trostpreis für seine Erzählung „Gediegenes Erz“ ausgezeichnet worden. Auch die Chefredakteure Anton Breitenhofer und Ernst Breitenstein werden im Roman namentlich genannt. Kulturgeschichtlich gesehen hatte dieses Preisausschreiben folgende Bedeutung: Man konnte nach ihm nicht mehr eine so miserable und verlogene Literatur hochhalten wie vorher, man musste sich für Bücher einsetzen, die dem Leser etwas geboten haben.

Im Oktober 1956 fand jedoch der Volksaufstand in Budapest statt, der damals Konterrevolution hieß und der zeitweilig seine Folgen hatte.
Eine davon war auch der Kronstädter Schriftstellerprozess, dessen Hauptverhandlung am 15. September 1959 vor dem Militärgericht Stalinstadt stattgefunden hat, und von dem „Rote Handschuhe“ in großen Teilen handelt.
Wurde aber eine Verbindung hergestellt zwischen dem Preisausschreiben und diesem Prozess?
Direkt nie, man hätte dem „Neuen Weg“ nachträglich auch nur vorwerfen können, dass er Leute von ihrer stillen Beschäftigung weggeholt und an die Öffentlichkeit gebracht hatte.
Während der Ereignisses selbst hat sich die Zeitungsleitung bemüht, soviel Unglück als möglich fernzuhalten von der Zeitung selbst und von weiteren Autoren. Nach der Rehabilitierung der Schriftsteller hat der „Neue Weg“ jedem davon, der nur wollte, eine Möglichkeit zur Veröffentlichung geboten, das wollten aber nicht mehr alle.
In der Dissertation von Michaela Nowotnick kommen alle Skandale im Zusammenhang mit dem Roman und dessen Rezeption vor. Sie sind besonders saftig ausgefallen, weil sie auch auf die unterschiedlichen Ansichten der Ausgewanderten und der Hiergebliebenen zurückgehen.
Die Dissertation ist mit verhaltenem Humor geschrieben. Das kommt am besten zur Geltung,wenn die Autorin Erfindungen oder sonstige Übertreibungen in Biografien findet und dann in Klammern feststellt: „Nicht überprüfbar“ oder „Mit Vorsicht zu genießen“.


Hans Liebhardt