„Wir wollten zeigen, dass die Zipser noch da sind – der Stadt, der Presse, dem Land und auch den Fremden!”, motiviert Leopold Langtaler, seit Kurzem neuer Vorsitzender des deutschen Forums in Oberwischau/Vişeu de Sus den Einsatz seines Teams für das diesjährige Zipsertreffen. Unbarmherzig brennt die Sonne auf das weiße Festzelt, das gleich noch abgebaut werden will, genauso wie die Bühne im Stadtzentrum und die beiden Blockhäuschen – auf Zipserisch Pochereistände genannt - in denen traditionelle Backwaren verkauft wurden. Gezittert haben die Veranstalter bis zum Schluss, ob das Wetter hält. Doch der liebe Gott meinte es gut mit ihren ehrgeizigen Plänen, das jährliche Zipsertreffen trotz des Dauerregens der Vormonate erstmals nicht im Kulturhaus, sondern unter freiem Himmel – und damit für alle Bürger von Oberwischau – abzuhalten. So verwandelte sich das Zentrum des maramurescher Städtchens, bekannt für Europas letzte dampfbetriebene Waldbahn, die heute touristische Wassertalbahn, vom Wochenende des 9.- 10. August in einen brodelnden Festplatz: schmissige bayerische Blasmusik, wirbelnde Tanzgruppen, fröhliche Lieder und humorige Gedichte, dargeboten von Groß und Klein, von Einheimischen und geladenen Gästen aus Sathmar/Satu Mare, Baia Mare oder Deutschland...
Zu Ehren alter Flößertradition
Seit 2002 gibt es das auf einer alten Tradition aus dem 19. Jahrhundert beruhende Fest „Droben im Wassertal” wieder, einst als Wettbewerb zur Demonstration traditioneller Flößerkunst gedacht, heute Tanz- und Trachtenparade. Die diesjährige Veranstaltung stand unter dem Motto „Ohne Wurzeln kein Halt” – ein doppeldeutiges Wortspiel, waren doch die deutschen Waldarbeiter zwischen 1775 und 1820 aus Österreich, Bayern und Sachsen sowie aus der slowakischen Zips gezielt in Oberwischau angesiedelt worden, um die Holzbestände des 60 Kilometer langen Wassertals auszubeuten. Erst nachdem 1931 die dampfbetriebene Wassertalbahn gebaut wurde, ging es mit der Flößerei langsam zu Ende. Doch die Wurzeln der alten Zipser leben weiter: Im Brauchtum, in der Sprache und in den Menschen, die sich nicht nur für die Bewahrung ihres Kulturgutes einsetzen, sondern es auch mit neuen Impulsen beleben. „Heute sind die Zipser eine wichtige Quelle für andere `Rohstoffe´– Tourismus zum Beispiel”, bemerkt der deutsche Botschafter, S. E. Werner Hans Lauk, der sich für das zweitägige Programm Zeit genommen hatte und sich eine Fahrt als „Kopilot” in der schnaufenden Dampflok nicht entgehen ließ. Ein positives Signal für die Organisatoren, ist er doch der erste deutsche Botschafter, der das Zipsertreffen bisher wahrgenommen hat. Auch der parlamentarische Abgeordnete Ovidiu Ganţ und DFDR-Präsident Dr. Paul-Jürgen Porr, der in seiner Ansprache den neuen Schwung des lokalen Vorstandes lobte, waren erstmals am Zipsertreffen zugegen.
Weitere geladene Gäste: der Abgeordnete Gheorghe Şimion, der Oberwischauer Bürgermeister Vasile Coman mit Vizebürgermeister Adrian Filip und die DFDR-Kreisleiter Johann Forstenheizler (Nordsiebenbürgen), Stefan Ressler (Sathmar), Ladislaus Kelemen (Salaj) und Walter Übelhart (Maramuresch). Bürgermeister Coman würdigte die Verflechtung der über 250-jährigen Geschichte der Zipser mit seiner Stadt, aber auch die friedvolle Koexistenz der dort lebenden Minderheiten, die diese Region auszeichnet: Juden, Ungarn, Ukrainer, Ruthenen... Gold- und Silbervorkommen im Wassertal – längst ausgebeutet und die Minen geschlossen – hatten dieses bunte Völkchen angezogen. Neben Tourismus als ausbaufähigem Wirtschaftsfaktor wies Coman auch auf über 300 Mineralwasserquellen hin, die dem Städtchen vor 100 Jahren den Spitznamen „die kleine Schweiz des Nordens” einbrachten.
Den Ansprachen folgten musikalische Darbietungen der bayerischen Orchestergruppe „Musikverein Heinrichsheim” (Dirigent Reinhard Reissner), die sich unter der Schirmherrschaft des Neuburger Altbürgermeisters und Landrates Dr. Kessler gerade auf einer Rundreise durch Rumänien befand. Für optische Highlights sorgten unter anderem die Volkstanzgruppen der Siebenbürger Sachsen aus Neuburg an der Donau, der deutschen Juden und der Schwaben aus Sathmar, der lokalen Gruppe „Edelweiss”, aufgelockert von dem fröhlichen Tanz der Kleinen des lokalen Kindergartens Nr. 2. Lieder und humorige Gedichte mit tieferem Sinn wurden von den Kindern der in diesem Jahr erstmals abgehaltenen deutschen Sommerschule vorgetragen. In einem Festzelt am Wassertalbahnhof konnten beide Veranstaltungstage nicht nur für die geladenen Gäste, sondern für alle, die mit den Zipsern feiern wollten, fröhlich ausklingen.
Europas letzte Waldbahn – für Touristen
Am Sonntagmorgen defilierten die Musik- und Trachtengruppen vom Kulturhaus zu Fuß durch die Stadt, wo am Bahnhof der Wassertalbahn etwa 400 Touristen von dem unerwarteten Spektakel überrascht wurden. Höhepunkt des Festprogramms war zweifellos die Fahrt mit der dampfbetriebenen Waldbahn durch das wildromantische Wassertal – ein Stopp zum Wassertanken der Lok an einem kleinen Teich und ein unfreiwilliger Halt zum Druckaufbau im Kessel inbegriffen. In Paltin konnte man ein kleines Museum zur Geschichte der Waldbahn besichtigen oder einfach nur vom schattigen Mittagstisch aus bei einem kühlen Bier die ständig an- und abschnaufenden Züglein bestaunen. Strahlender Sonnenschein, pittoreske Schluchten, grüne Berghänge, Fahrtwind in den Haaren und Musik in der Luft zauberten so manchem Teilnehmer ein glückliches Dauergrinsen ins Gesicht. Oder war es das Gläschen hausgemachter Kräuterschnaps, das man im Zug verteilte?
Wer die Wassertalbahn schon kannte, hatte die Möglichkeit, an einem Ersatzprogramm teilzunehmen: Nach dem Gottesdienst in der katholischen Kirche Sankt Anna lieferten sich die beiden Mannschaften der Forumsmitglieder Oberwischau und der lokalen Tanzgruppe ein heißes Fußballmatch – Ergebnis: 10:10 mit Elfmeter, zugunsten der Tanzgruppe. Auch der Preis war heiß – ein von den Weltmeistern der deutschen Nationalmannschaft signierter Fußball, gestiftet von einem Sympathisanten aus Deutschland. Nach der Rückkehr der Züge marschierten Musiker und Trachtengruppen tapfer durch die brütende Hitze, um in der Kirche ein Konzert zu geben. „Große Unterstützung hatten wir vom Kantor und vom katholischen Pfarrer, die den Chor organisiert hatten. Am ersten Tag der Probe kamen nur sieben Teilnehmer, am letzten ganze 32!” erinnert sich Leo Langtaler schmunzelnd. Nach dem Ausklang der zauberhaften Stimmen aus der Empore ging es erneut ins Festzelt am Wassertalbahnhof. Angenehme Überraschung: die musikalische Untermalung im Hintergrund erlaubte auch eine Unterhaltung.
Kulturfeste statt Bier, Mici und Lärm
Nicht nur der Gründer und ehemalige Vorsitzende des deutschen Forums in Oberwischau, der mittlerweile 84-jährige Augustin Olear, lobt Einsatzbereitschaft und Teamgeist der neuen Forumsvorstandsmitglieder in den allerhöchsten Tönen: „Sie sind jung und begeistert und halten zusammen!” freut sich der zeitlebens politisch und sozial engagierte Rentner. „Zum ersten Mal wurden auch die Alten und Kranken mit dem Kleinbus zum Gottesdienst gefahren”, lobt er, der sich selbst wegen seiner schlechten Füße kaum noch am neu aufgeblühten Gemeinschaftsleben beteiligen kann. „Wir wollten ganz bewusst ein junges Forum”, erklärt der Zipser Pensionsbesitzer Theodor Nagy, dessen Familie vor der Magyarisierung Groß geheißen hatte. Leopold Langtaler ist vor allem vom ehrenamtlichen Einsatz der Mitglieder begeistert. Bestes Beispiel: der ziemlich erschöpfte Vizevorsitzende Alfred Fellner neben ihm, der seit vier Uhr morgens auf den Beinen ist. Nicht ohne Stolz blicken beide bereits auf mehrere gelungene Veranstaltungen in diesem Jahr zurück. „Bei uns kommen etwa zehnmal mehr Leute als bei den Festen der Stadt!” freut sich Langtaler. Es gab einen Kindertag, einen Fasching, die eigene Tanzgruppe wurde in die slowakische Zips geschickt, „und das Zipsertreffen hier, das jedes Jahr beliebter wird”, zählt er auf und fügt an: „Früher gab es vielleicht 50 bis 100 Teilnehmer, außer den Kulturgruppen. Jetzt gibt es an die 50, die bei der Organisation mitgemacht haben, und etwa 500 Besucher.” Nur an Sponsoren mangelt es noch...
Beeindruckt erwähnt Langtaler die Initiative der Deutschlehrerin Ildiko Domboş, in dem bisher kaum genutzten Jugendzentrum der Zipser eine Sommerschule abzuhalten. Weil die Zeit zu knapp war, einen Finanzierungsantrag zu stellen, erklärten sich die Durchführenden kurzerhand bereit, das Ganze ehrenamtlich aufzuziehen. Vier Tage in der Woche von 10-13 Uhr leiteten die Pädagogen Ildiko Domboş und Horst Savatsky zusammen mit Kindergärtnerin Mihaela Savatsky, dem österreichischen Zivildienstleistenden Thomas Mitterecker und der Helferin Nitza Skopetz die Kleinen der Klassen null bis vier im Lesen, Schreiben, Singen, Tanzen und Basteln in deutscher Sprache an. Das Modell begeisterte die Eltern, aber auch viele der kleineren Geschwister wollten unbedingt mit in die Sommerschule, strahlt Ildiko Domboş. „Nächstes Jahr wiederholen wir das Experiment, diesmal getrennt nach Altersstufen”, verspricht sie. Die Basteleien schmücken nun das zuvor triste Jugendzentrum. Die einstudierten Lieder, Gedichte und Tänze wurden mit großem Erfolg auf der Festbühne präsentiert. „Die Einbeziehung von Schule und Kindergarten in das Zipsertreffen ist beispielhaft und neu”, stellt Leo Langtaler fest und ergänzt: „Auch wenn es nicht direkt unsere Aufgabe ist, möchten wir als Forum eine Brücke der Kommunikation zwischen Kindergarten, Grundschule und Gymnasium schaffen.”
Am 6. September wartet dann die nächste Herausforderung auf das Team des deutschen Forums: der sogenannte Ablass – ein zipserischer Begriff für das Kirchweihfest – in der kleinen Schwesterkapelle Sankt Elisabeta der Oberwischauer Sankt Anna Kirche, in Faina im Wassertal. Auch hier fährt man mit der Wassertalbahn, Hunderte von Pilgern werden erwartet. Im Oktober will man dann Kräfte bündeln und sich erstmals an dem bisher von der Pension Nagy alleine organisierten Oktoberfest beteiligen, um diesem eine breitere Dimension zu geben. „Doch nun müssen wir erstmal Bilanz ziehen und unsere Wunden lecken” lacht Leo Langtaler, der sein Team vor allzu vielen Aktivitäten schützen muss. Jeder von ihnen hat schließlich auch noch einen Job! Versprechen will er ansonsten für dieses Jahr nur noch die Aufführung des jährlichen Herodesspiels, ein originaler und weltweit einzigartiger zipserischer Brauch an Weihnachten, wie Augustin Olear verrät. „1816 kam ein Mann namens Asperger Josef aus der Zips, der brachte ein Büchlein mit – in Sensenschrift, also alte gothische Buchstaben!” erzählt er mit leuchtenden Äuglein. 1820 wurde erstmals das Herodesspiel organisiert, eine Art Volkstheater in Zipserisch, man spielt es bis heute in genau derselben Art. „Auch in Sathmar und Baia Mare waren wir schon eingeladen” schwärmt der alte Mann, den die Jungen liebevoll Gusti-Baci nennen. Zu diesem Anlass sollen auch wieder die Pochereistände – zwei schmucke Holzhäuschen zum Verkauf von Selbstgebackenem und Glühwein - in der Stadt aufgebaut werden. „Wir wollen der Stadt zeigen, dass man Feste auch anders feiern kann als mit Bierzelt, Lärm und Mici”, schmunzelt Leopold Langtaler.