„Ik gihorta dat seggen…“

Buchvorstellung von Joachim Wittstocks „Das erfuhr ich unter Menschen. Romanhafte Chronik siebenbürgischer Schicksale“

Joachim Wittstock

Dr. Rudolf Gräf

Hermannstadt - „Vielleicht wendet sich dereinst ein sachkundiger Sprecher historischer Belange an einen oder gar mehrere Mitmenschen und leitet seine Rede ein mit den Worten einer uralten Dichtung, von der wir seit unseren Schuljahren wissen: `Ik ghiorta dat seggen...` Das hörte ich sagen...von einer Klinik“. Mit diesem Zitat schloss Joachim Wittstock die Vorstellung seines jüngst im Schiller-Verlag erschienenen Romans: „Das erfuhr ich unter Menschen. Romanhafte Chronik siebenbürgischer Schicksale“. Zur Buchvorstellung am Dienstag, den 8. Oktober 2024 hatte das Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt/Sibiu eingeladen.

Die Eröffnung des Abends übernahm Dr. Rudolf Gräf, Direktor des Forschungsinstituts, als Hausherr. In seiner Ansprache bezog er sich auf eine E-Mail des in Rothberg ansässigen Eginald Schlattner, welche derselbe seinem Schriftstellerkollegen Wittstock und den anwesenden Teilnehmern geschrieben hatte. In diesem schreibt Schlattner: „Ich freue mich, dass Joachim Wittstock neuerlich am Sprechen ist. Seine Literatur ist das Kompletteste und Komplexeste, was ein siebenbürgischer Autor zu bieten hat, je zu bieten hatte. Joachim Wittstock bedient souverän und mit Phantasie alle literarischen Genres, von der Gedankenlyrik bis zum Roman als Chronik.“

Die Biografie, aber auch das Werk und die Anerkennungen, in Form von verschiedenen Preisen, der sich der Hermannstädter Schriftsteller während seines Wirkens erfreute, stellte die Germanistin Dr. Andreea Dumitru-Iacob vor, die auch den Abend moderierte.
Von seiner Biografie her leitete auch Joachim Wittstock seine Vorstellung des Romans ein. „Es freut mich, in diesem akademischen Rahmen auftreten zu dürfen, der mir, einem einstigen Mitarbeiter, in älteren Zeiten besser bekannt war und von mir geschätzt, ja sehr gemocht wurde“, erklärte der Schriftsteller.

Ausgehend vom Buchumschlag, auf dem ein Gemälde von Hans Eder zu finden ist, über den Titel des Romans führte Wittstock, anhand ausgesuchter Romangestalten und -zitate, das Publikum entlang der verschiedenen im Roman wiederzufindenden Ebenen. Dabei wies er auch auf die für das Werk ausgesuchte besondere literarische Gattung hin: „Wir haben es also nicht mit einem Roman im klassischen Wortverständnis zu tun, sondern mit einer `romanhaften Chronik` (…) Kein erfabeltes Phantasiegebäude liegt vor. Vielmehr geht es um die Darstellung von räumlich und zeitlich genau bestimmten Handlungen“, um dann weiter zu erläutern: „Ein Abstand zur historischen Abhandlung wurde stets eingehalten. Schließlich war mein Programm literarischer Natur und zielte nicht auf sachliche Erörterung ab.“ Illustrativ für seine angedachte „romanhafte Chronik“ war auch die Tatsache, dass den Anwesenden auf einem Handzettel die wichtigsten historischen Gestalten, die dem Schriftsteller als Vorlage dienten, vorgestellt wurden, wobei auch ihr im Roman wiederzufindendes Konterfei angegeben wurde.

Ausgehend von der realen Geschichte einer Kronstädter Privatklinik, das Sanatorium Dr. Samuel Tartler, und der damit direkt oder indirekt verbundenen Gestalten, zeichnet Joachim Wittstock die bewegte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in Rumänien nach, wobei er einerseits den Biografien und den damit verbundenen geografischen Änderungen folgt, andrerseits akribisch die politischen Veränderungen nachzeichnet, welche ihrerseits die Romangestalten wie „unter einem Rad festhalten“, so Dr. Rudolf Gräf, ihr Handeln bestimmt und sie gerade dadurch sehr glaubwürdig erscheinen lassen. Die Wandlungsfähigkeit seiner Gestalten illustrierte der Schriftsteller im Laufe des Abends anhand der Figuren von Volkmar Decani, Ladislaus Reitermann und Dr. Samuel Tartler. Die mit Zitaten bespickte Vorstellung dieser drei Gestalten, ließ auch diejenigen, welche das Buch noch nicht gelesen haben, erahnen, welche Dichte an Schicksalsgeschehen, -wendungen und -verzweigungen den Leser erwarten. Es ist wie vom Autor beabsichtigt eine „romanhafte Chronik“ über und mit Menschen, die hier dem Leser angeboten wird.

Dieses ist auch aus den Erklärungen Wittstocks zum Titel seines jüngsten Werks ersichtlich. Der Titel ist ein Zitat aus dem „Wessobrunner Gebet“. In seiner vertrauten hochgebildeten Weise führte der Schriftsteller durch seine Überlegungen zu den unterschiedlichen möglichen Leseweisen des Zitats, die von dem besagten Gebet über das Hildebrandslied bis zu Paul Celan führten und ihn am Ende überzeugten, sich doch für die 800 Jahre alte Variante zu entscheiden.
Mit seinem jüngsten Werk schafft Joachim Wittstock ein Röntgenbild einer der schwierigsten Zeiten in der jüngsten rumänischen Geschichte und der damit verbundenen Entwicklungen innerhalb der deutschen Minderheit in Rumänien. Ein Bild, welches anhand der Geschichte eines Hauses in der Kronstädter Altstadt die Höhen und Tiefen unterschiedlichster Schicksale in sich birgt und diese romanhaft als Chronik festhält.