”Nicht das Vergessen über die Erinnerung siegen lassen“

Berliner Friedensbibliothek und Antikriegsmuseum am Huetplatz

Hermannstadt – Sage und schreibe 24 Ausstellungen haben die Friedensbiblio-thek und das Antikriegsmuseum der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz auf Anfrage zu verleihen, und fast alle davon waren schon in der evangelischen Stadtpfarrkirche Hermannstadt/Sibiu zu Gast. Weil Kilian Dörr die Leitung des Stadtpfarramtes bereits 1999 antrat, dürfte das jährlich neue Angebot der Friedensbiblio-thek und des Antikriegsmuseums am Huetplatz/Piața Huet bald aufgebraucht sein. Aber die Inhalte bleiben haften. Rose Ausländer, Hauptperson der Gast-Ausstellung „Dennoch Rosen“ im Sommer 2020 im hellen Chorraum der innen wie außen rundum renovierten Kultstätte, ist auch in einigen Zeilen der Bilderreihe „Verschwundene Welt. Aufnahmen, Gedichte und Texte zur verlorenen Welt des Ost-Judentums“ wiederzufinden. Zu Beginn der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts bat das Berliner Büro des American Jewish Joint Distribution Committee den Fotografen Roman Vishniac (1897-1990), Reisen in osteuropäische Ghettos zu unternehmen und das Leben der dort internierten Juden für die Nachwelt festzuhalten.

Der in einem Nachbarort von Sankt Petersburg geborene Fotograf in Selbstausbildung und studierte Biologe hatte am Schluss seiner Berufsfahrten nach Polen, Litauen, Lettland, Ungarn, in die Ukraine und die Tschechoslowakei versteckt 16.000 schwarzweiße Negative geschossen, die in den Jahren 1935-1939 entwickelt wurden. Nur 2000 konnten bald darauf gerettet werden. Es sind Porträts von technisch und gestalterisch bester Qualität. Viele davon können bis Ende September 2021 auf Wander-Schautafeln in der Sakristei der evangelischen Stadtpfarrkirche Hermannstadt besichtigt werden. Die Friedensbibliothek und das Antikriegsmuseum Berlin haben selbstredend eine deutlich sprechende Auswahl der verfügbaren Fotos aus dem Nachlass von Roman Vishniac getroffen, dem 1940 die Emigration in die USA geglückt war. Der Zweck dieser Expo besteht nicht darin, nachtragend in alten Wunden zu rühren. Sie steht jedoch auf einer Liste mit weiteren 23 Ausstellungen, unter denen sich Überschriften wie „Die gefährlichste Krankheit“, „Das Gesicht des Anderen“, „Mutter Teresa und die Armut des Westens“ oder „Das Geheimnis der Versöhnung ist Erinnerung“ ausmachen lassen.

Beatrice Ungar, Chefredakteurin der „Hermannstädter Zeitung“, hat die Begleittexte in die rumänische Sprache übersetzt. Elie Wiesel, Paul Celan und Selma Meerbaum-Eisinger kommen darin zu Wort. Sogar Briefzeilen von Heinrich Himmler, aber auch eine retrospektiv binnenkritische Stellungnahme aus dem Tagebuch des evangelischen Pastoren D. Kurt Scharf sind hier rings um die Mittelsäule der Sakristei am Hermannstädter Huetplatz in der Sprache der deutschen Minderheit und dazu auch jener der Mehrheitsgesellschaft Rumäniens zu lesen. „Eine Zivilisation, die sich ausschließlich dem Nützlichen widmet, unterscheidet sich im Grunde nicht von der Barbarei.“, lautet ein aphoristischer Spruch von Rabbiner Abraham Joshua Heschel (1907-1972), der ebenfalls vor Ort dem Zweck von Rückblick auf eine dunkle Zeitgeschichte dient. „Es ist die Teufelei des Bösen, dass es demjenigen, der guten Willens ist, nur die Wahl lässt, schuldig zu werden, indem er sich ihm unterwirft, oder schuldig dadurch, dass er ihm widersteht“, hatte Thomas Mann noch am 29. Mai 1944 in einer Rede kritisiert, die von der British Broadcasting Corporation (BBC) in deutscher Sprache ausgestrahlt wurde: „Mitschuldige zu haben ist alles, was der Schuldige begehrt (…) damit er und die Seinen es nicht allein gewesen sind.“