Scheidender Kulturmanager erhebt schwere Vorwürfe

Chris Torch: Temeswarer Kulturhauptstadt-Projekt vor dem Scheitern

Temeswar (ADZ) – Der scheidende künstlerische Leiter des Temeswarer Kulturhauptstadt-Vereins, Chris Torch, dessen Vertrag am Montag ausgelaufen ist, hat in einem offenen Brief schwere Vorwürfe gegen die Stadtverwaltung und die Verantwortlichen des Kulturhauptstadt-Projekts erhoben. Seit Februar 2017 hatte der aus Schweden stammende Kulturmanager Torch die Vorbereitungen für das Jahr 2021 künstlerisch geleitet und mehrere Projekte umgesetzt, die zur sogenannten „Start-up“-Phase zählen sollten. Einige davon waren sehr umstritten, wie zum Beispiel die Aufführung der schwedischen Zirkustruppe „Cirkus Cirkör“, als mehrere ahnungslose Bürger in Erwartung einer klassischen Zirkusshow mit Kleinkindern hingegangen waren, jedoch eine Vorstellung mit Konzentrationslagern und Flüchtlingen zu sehen bekamen. Dies trug wesentlich zu dem Anfang 2018 offen ausgetragenen Streit in der Temeswarer Kulturszene bei.

Nun sagt Torch, dass das ganze Kulturhauptstadt-Vorhaben an akutem Geldmangel leidet und die Stadtverwaltung alle Chancen auf eine entsprechende Entwicklung des Projekts verweigert. Es gehe um einen engen Finanzrahmen und um politisches Geschacher, man habe alle Ideen und Projekte des Vereins einfach nur torpediert. Unter diesen Umständen konnte Torch mit seinem Team nur Bruchteile dessen umsetzen, was von Anfang an geplant war. Die Temeswarer Zivilgesellschaft und die unabhängige Kulturszene der Stadt seien äußerst fragil und erfreuen sich keinerlei strategischer Unterstützung. In Temeswar würde es kein konstruktives Gleichgewicht zwischen den Initiativen und Ideen der Zivilgesellschaft und den Kulturinvestitionen der öffentlichen Hand geben, setzte Torch seine Kritik fort. Sechs große Probleme habe er identifizieren können, an diesen drohe das ganze Vorhaben bereits in der Vorbereitungsphase zu scheitern. In erster Linie mangelt es an finanziellen Ressourcen und an der finanziellen Planungssicherheit. Dann würden Kommunalpolitiker und Leiter von Kulturinstitutionen immer wieder widersprüchliche öffentliche Erklärungen abgeben. Drittens würden dieselben immer wieder dies und jenes versprechen und sich an keines ihrer Versprechen halten, so dass keine langfristige Zusammenarbeit mit Künstlern und Partnern aus dem Ausland zu gestalten sei. Das zur Verfügung stehende Personal sei unterbezahlt, von einer effizienten Personalpolitik sei man weit entfernt. In letzter Linie würden die Vorstandsmitglieder des Kulturhauptstadt-Vereins die finanzielle Absicherung des Projekts ununterbrochen beschwören, obwohl sie und keine anderen die Schuld an dem akuten Geldmangel tragen würden.

Drei Haushaltsjahre seien seit seiner Ankunft in Temeswar vergangen, doch dem Verein fehle weiterhin eine stabile wirtschaftliche Basis. Ursprünglich geschmiedete und durchaus umsetzbare Pläne seien nun zu schönen Träumen geworden. Einige konnten verwirklicht werden, doch den Großteil musste man auf die lange Bank schieben. Aus all diesen Gründen bestehe nun die ernste Gefahr, dass die Europäische Union der Stadt Temeswar den Titel einer Europäischen Kulturhauptstadt entzieht und ihr den mit 1,5 Millionen Euro dotierten Melina-Mercouri-Preis nicht mehr gewährt. Der zuständige Prüfungsausschuss habe mit Entsetzen festgestellt, dass die rumänischen Behörden und die Projektverantwortlichen sich in wenig überzeugenden Erklärungen verheddern und sich an keines ihrer Versprechen halten, so Torch.
Die Vorsitzende des Kulturhauptstadt-Vereins, Simona Neumann, bedankte sich bei Chris Torch für die geleistete Arbeit und würdigte dessen Einsatz. Man werde nun zwei Stellen ausschreiben, es gehe um einen Programmleiter und einen künstlerischen Berater. Torch sagte, er wisse nicht, ob er sich bewerben werde, in Temeswar wolle er vorerst aber bleiben. Wer ernste Absichten habe, werde jedoch kein solches Angebot annehmen können, bis die zuständigen Behörden und das Leitungsgremium des Kulturhauptstadt-Vereins ihre Rollen nicht ernst nehmen. Der rumänische Kulturbetrieb, auch auf lokaler Ebene, sei mutlos und von persönlichen Interessen gekennzeichnet. Zu viele laute Stimmen würde er hören, doch einen Willen zur Zusammenarbeit könne er nicht sehen, so das Fazit von Torch.


Bis Redaktionsschluss gab es keine weiteren Stellungnahmen zur Kritik des scheidenden künstlerischen Leiters, weder des Bürgermeisteramtes, noch des Leitungsgremiums des Kulturhauptstadt-Vereins.