„Wie denken die Menschen übereinander?“

Österreichische Stimmen an einem Hermannstädter Vortragspult

Militärische Facetten sind auch im 2018 gedruckten Sammelband zur 650-Jahr-Feier der Österreichi-schen Nationalbibliothek eine „stoffliche Lücke“, bemerkte Dr. Harald Heppner am Rednerpult der Rumänischen Akademie in Hermannstadt. Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – Trotzdem es „schön wäre, über eine Brücke zu reden, könnte es sein, dass wir bald wieder ein Bollwerk haben“, gönnte sich Dr. Rudolf Gräf Donnerstagmorgen, am 28. September, der jüngsten öffentlichen Vortragsreihe im Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften Hermannstadt/Sibiu vorauszuschicken. Als Direktor des einzigen lokalen Tochterinstituts der Rumänischen Akademie muss ihm der unmittelbar anschließende Dank von Dr. Kurt Scharr, Professor an der Universität Innsbruck, der Tagung „Zwischen Bollwerk und Brücke? Der habsburgische Südosten Europas. Kultur-Raum-Konzepte seit dem 18. Jahrhundert“ im Quartier des erwähnten Hermannstädter Instituts „Schutz und Schirm“ geboten zu haben, aus der Seele gesprochen haben. Der Gast aus der tirolischen Großstadt erinnerte daran, dass man sich noch während der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts im Westen gefragt habe, ob die Zeit des Bedarfs an Professuren für Ost- und Südosteuropa nicht eigentlich abgelaufen sei. 2000 promovierte Dr. Kurt Scharr und 2010 schließlich habilitierte er sich in Innsbruck als Experte für die Geschichte der Bukowina. Und erwartungsgemäß bediente er sich zu Tagungs-Beginn in Hermannstadt eines Zitats von Historiker Lucien Febvre (1878-1956), der seinerzeit den Rhein weder als „deutschen“ noch „französischen“ Fluss zu beschreiben suchte, sondern ihn als ein Hilfsmotiv „transnationaler“ Geschichte erachtete. „Kultur ist nicht an eine Linie gebunden“, punktierte Dr. Kurt Scharr in selbstverständlicher Fortsetzung der Vorstellungen von Lucien Febvre. „Sie überschreitet Linien.“ Atlanten dagegen wären im Allgemeinen „sehr konservativ“ und entsprechend auch die Karte Südosteuropas auf dem Tagungsplakat einem Atlas der Habsburgermonarchie des Jahres 1911 entnommen worden. Ende September 2022 wiederum gab Dr. Mathias Beer, Vorsitzender der in Tübingen registrierten Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südost-europa e.V. (KGKDS), zu Protokoll, auf seiner Reise nach Hermannstadt „dem Krieg in der Ukraine 1400 Kilometer näher gerückt zu sein.“

Historiker Dr. Sorin Radu, Rektor der mit gastgebenden Lucian-Blaga-Universität (ULBS), konnte aus Gründen einer Hochschulsenatssitzung nicht persönlich dabei sein, ließ sich in der Eröffnungsrunde der Tagung jedoch von Dr. Delia Stefenel, Mitglied im Büro und Team der ULBS für internationale Beziehungen, vertreten. Auch Dr. Ioan-Aurel Pop, seines Zeichens oberster Vorsitzender der Rumänischen Akademie und nicht selten für manch unüberlegtes Vortragen im öffentlichen nationalen Raum teils heftig in der Kritik stehend, musste auf physische Anwesenheit zur Stunde des Tagungsbeginns in Hermannstadt verzichten, hatte den Veranstaltern aber pflichtbewusst ein vorab aufgezeichnetes Grußwort in rumänischer Sprache zur Verfügung gestellt, das den Zuhörenden als Video vorgestellt wurde und den klaren Beweis dafür lieferte, dass der Ex-Rektor der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg/Cluj-Napoca (UBB) sich bei Bedarf von tendenziös undemokratischem Interpretieren einer bestimmten Sachlage zu distanzieren weiß. Was Intellektuelle sich zu behaupten erlauben oder nicht, hängt eben auch und vor allem von ihrem jeweiligen Publikum ab.

Historiker und Philosoph Dr. Harald Heppner (Graz, Jahrgang 1950), von 2006 bis 2017 Vorsitzender des Militärhistorischen Beirats der Wirtschaftskommission beim Österreichischen Bundesministerium für Landesverteidigung, hielt einen Vortrag zum Thema „Des Raumdenkens der k. (u.) k. Armeeführung über Europas Südosten (1699-1914)“ und nahm sich trotz genauestem Recherchieren im Vorfeld der Tagung nicht die Freiheit, exakt auf die rhetorische Frage zu antworten, „inwieweit Soldaten und Diplomaten miteinander kommunizierten“. Dass Österreich sich 1775 hingegen die Bukowina „unter den Nagel riss“, um der ihr drohenden Annexion von russischer Seite zuvorzukommen, bestätigte auch Referent Dr. Paulus Adelsgruber während seiner Ausführungen „Zur Wahrnehmung von kulturellen Grenzen am Schnittpunkt dreier Imperien: Bukowina, Moldau und Bessarabien in Reiseberichten (1791-1838)“. Österreichische Literaten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, die mit journalistischem Interesse in den Raum Czernowitz einreisten sowie heute gut und gerne als „Blogger“ gelten würden, mussten schon damals in ihrem Berichten wegen des „Aspekts der Verkaufbarkeit“ Rücksicht auf Stereotypen nehmen.