1974 –„Dieses Spiel war das Größte, was ich in meiner Karriere erlebt habe“

Handballlegende Werner Stöckl, ein gebürtiger Reschitzaer, wird 70 und spricht über seine Karriere

Als Rentner verbringt Werner Stöckl viel Zeit im Schrebergarten und hat eine Leidenschaft für gute Weine entwickelt.

Archivfoto von der Weltmeisterschaft 1974
Fotos: privat

Über 170 Male spielte er in der rumänischen Nationalmannschaft, wurde Weltmeister und nahm einmal Bronze und einmal Silber bei den Olympischen Spielen für Rumänien ein. Leicht war der Weg dorthin für den am 28. Juni 1952 in Reschitza geborenen Handballer nicht und das Ende seiner internationalen Handballerkarriere in Rumänien ist traurigerweise einem paranoischen, kommunistischen Regime zu verdanken. Über die Eckpunkte, aber auch seine Gegenwart sprach mit Werner Stöckl ADZ-Redakteurin Astrid Weisz.

Herr Stöckl, wann haben Sie das erste Mal einen Handball in die Hand bekommen?

Ich habe mit zwölf Jahren das Handballspielen in der Schule begonnen, wo unser Lehrer Reinhard Gottschling, ein ehemaliger Profihandballer, auf mich aufmerksam wurde. Er war unser Sportlehrer, hat uns viel über Handball erzählt und uns auch an diesen Sport he-rangezogen. Ich ging in die Schule Nummer eins, oben, in Reschitza, bis zur zehnten Klasse. Dann bin ich nach Bukarest umgesiedelt. Gottschling war auch mein Trainer in der Sportschule Reschitza. Ich war überall, auch später in den Vereinen und wo ich gespielt habe, fast immer der Jüngste. Das war manchmal gut, manchmal auch schlecht. Aber die Motivation, den Älteren immer zu beweisen, dass man auch als junger oder als noch nicht so bekannter Spieler was kann, das hat sehr gut getan.

Wie kamen Sie zum Sportclub Steaua in die Hauptstadt?

Nach Bukarest kam ich 1969, als Herr Gottschling zu der Zeit einen gut befreundeten, auch ehemaligen Handball-Weltmeister traf, den Otto Tellmann, und ihn auf mich aufmerksam machte. Der war zweiter Trainer bei Steaua Bukarest. Im Sommer bekam ich eine Postkarte von Tellmann, der mich nach Predeal in das Trainingslager von Steaua Bukarest einlud. Ich ging hin und bin bei Steaua Bukarest geblieben.

Was haben Ihre Eltern davon gehalten?

Mein Vater ist recht früh gestorben, da war ich sieben. Meiner Mutter ging es zu Hause auch nicht so gut. Ich habe noch eine Schwester gehabt und eigentlich war sie erleichtert, dass ich in gute Hände kam und als Junge weiter den Sport betreiben kann, den ich begonnen habe.

Es dauerte nicht lange, dann konnten Sie mit Steaua Bukarest schon erste Erfolge verzeichnen.

Ich war ein gutes halbes Jahr in der zweiten Mannschaft, das war 1970, wo die Rückrunde der Weltmeisterschaft begonnen hat. Die meisten von Steaua Bukarest waren in der Nationalmannschaft. Sie wurden Weltmeister und wir, die zu Hause geblieben sind, haben viel trainiert. Als sie zurückkamen, waren manche auch verletzt, so gab es die Chance, dass man in der ersten Mannschaft spielen konnte. Mit Steaua Bukarest wurde ich in diesem Jahr, 1970, erstmals rumänischer Meister. Von da an ging es aufwärts.

Welche besonderen Siege konnten Sie mit Steaua Bukarest denn erringen?

Die ersten Siege waren die Landes-Meisterschaften, die wir gegen Dinamo Bukarest, ein harter Gegner, immer gewonnen haben. Als Meister spielten wir in den Europa-Meisterschaften. Da haben wir oftmals im Halbfinale bis manchmal auch im Finale mitgespielt. Das erste Finale 71 in Dortmund haben wir gegen Gummersbach leider um ein Tor verloren. Bis 77 waren wir immer dabei, als wir mit Steaua Bukarest Europameister wurden, in Sindelfingen gegen CSK Moskau. Mit Steaua wurde ich elf Mal rumänischer Meister. Das war damals ein Rekord. Bei den meisten Spielen gingen wir als Sieger hervor, lediglich gegen Dinamo Bukarest oder irgendwann Baia Mare mussten wir Niederlagen einstecken. Das waren aber vielleicht nur eins oder zwei Misserfolge in einer Meisterschaft.

Nicht wenige Steaua-Spieler wurden in die Nationalmannschaft geholt. Sie waren auch dabei und durften mit 20 Jahren bei den Olympischen Spielen in München mitspielen. Wie war das?

In München schafften wir es, 1972 die Bronzemedaille zu holen. Nach der Weltmeisterschaft 1970 hatten wir auf mehr gehofft. Doch es hatte einen Generationenwechsel gegeben und darauf waren wir nicht vorbereitet. Und in Montreal wurden wir 1976 Vize-Olympia-Meister. Wir erlitten eine bittere Niederlage gegen die UdSSR. Es war die größte Enttäuschung meiner Karriere. Wir waren hohe Favoriten und dachten schon, dass es auch klappt. Die ganze Mannschaft war mit diesem Ergebnis, obwohl es eine Silbermedaille war, nicht zufrieden. Wir wurden eigentlich ausgetrickst, denn in den Trainingsspielen davor und auch in paar Turnieren waren wir der russischen Mannschaft immer hoch überlegen. Im Olympia-Finale haben sie ihr Spiel total umgestellt, überhaupt das Abwehrspiel und dafür waren wir nicht vorbereitet. Das kann passieren.

Welches ist der Sieg oder das Spiel, das Ihnen besonders freudig in Erinnerung geblieben ist?

Das kann nur eins sein: Das Finale der Weltmeisterschaft 1974 in Berlin, das wir gegen die DDR-Mannschaft mit 14 zu 12 gewonnen haben. Wir wurden Weltmeister im Lande der Organisatoren. Die DDR hatte schon  1970 in Paris gegen Rumänien verloren und hoffte nun auf Revanche. Die gönnten wir ihnen jedoch nicht. Dieses Spiel war das Größte, was ich in meiner Karriere erlebt habe.

Auf Landes- und Europaebene feierten Sie mit Steaua, wie auch mit der Nationalmannschaft weiterhin Erfolge, bis es gegen Ende der 70er einen Einschnitt in Ihrer Handballer Karriere gab. Was war denn geschehen?

1978-79, als Steaua Bukarest immer bei den Neujahrsturnieren in Deutschland mitmachte, da kam der Trainer und sagte, dass wir keinen Pass bekommen hätten (die Pässe wurden ja immer eingezogen). Ich und der Mannschaftskollege Tudosie sind dann zu Hause geblieben und haben zu Hause Weihnachten und Neues Jahr gefeiert. Diesen ersten Schlag, so kann man sagen, haben wir ganz gut verkraftet. Aber als es sich nachher ständig  herausstellte, dass ich über längere Zeit nicht ausreisen durfte und dadurch auch die internationale Karriere Richtung Ende geführt wurde, war es schon nicht mehr schön.

Wie ging es für Sie mit diesem Reiseverbot in Rumänien weiter?

Ich habe nur im Inland gespielt oder manchmal noch in kommunistischen Ländern, wo man nicht viel machen konnte. Ich war auch noch in der Vorbereitung für die Olympischen Spiele. In Moskau habe ich die ganze Vorbereitung gemacht. Und irgendwann, als die Olympischen Spiele sich genähert haben und ich gemerkt habe, dass auch das nicht klappen sollte,  habe ich der Nationalmannschaft Adieu gesagt und fertig. Bei Steaua Bukarest war ich noch bis 1981, als ich mich entschlossen habe, auszureisen. Ich musste austreten und drei Jahre abwarten, bevor ich einen Ausreiseantrag überhaupt stellen durfte. Denn bei Steaua waren wir ja fast alle als aktive Offiziere angestellt und um keine militärischen Sachen im Ausland preisgeben zu können, gab es diese Regel. Ich bin dann nach Hermannstadt zu Carpa]i Mîr{a, stieg damit in die erste Liga auf und blieb da bis 1984, als ich einreichte. Die nächsten 2,5 - 3 Jahre habe ich noch hier und da bei kleineren Mannschaften gespielt, denn einen Job bekam ich ja nicht mehr, bis ich 1987 mit meiner Frau ausgereist bin. Das war schon eine nicht schöne Zeit, schwer nicht, aber nicht schön.

Konnten Sie in Westdeutschland noch als Handballer tätig werden?

Oktober 1987 bin ich ausgereist, kam nach Karlsruhe und bin bis jetzt dort wohnhaft, in der Nikolaus-Lenau-Straße – der Zufall lässt mich das Banat nicht ganz verlassen. 87 bis 88 habe ich nochmal Bundesliga gespielt, nach drei Jahren, in denen ich kaum richtig trainiert hatte. Beim TuS-Hofweier habe ich die Chance bekommen und noch ein Jahr gespielt. Dann habe ich noch in der zweiten Liga bei TSV Rintheim gespielt und auch noch zwei Jahre trainiert. Als Trainer war ich noch in der Schweiz bei Schaffhausen und im Raum Baden-Württemberg, um Karlsruhe bei 2.- und 3.-Ligisten bis Landesliga. Ich habe einen Job bekommen, als Sport-Therapeut in der größten psychiatrischen Klinik in Wiesloch. Ich bin ja diplomierter Sportlehrer, denn ich hab im Fernstudium 1974 auch mein Diplom in Bukarest gemacht. In Wiesloch war es eine staatliche und sichere Stelle, was viel einfacher war, als als Trainer, wo man ständig rumreisen musste. So habe ich dann auch das Trainieren gelassen. Ich hab noch ab und zu aus Spaß in einer Old-Boys-Mannschaft mitgespielt, aber irgendwann muss man es auch mal gut sein lassen.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihren ehemaligen Kameraden hier in Rumänien?

Natürlich, ich hab immer Kontakt gehabt, auch nachdem ich die Mannschaft verlassen habe und auch nach der Ausreise. Wenn ich in Bukarest bin, dann treffen wir uns, so Radu Voinea, Birtalan, Ga]u usw. Ich hatte noch Kontakt zu Roland Gunesch und Christian Dieter, der auch bei Steaua Bukarest gespielt hat, zu Günter Speck, der in Freiburg lebte. Mit der Zeit, im Alter verliert sich das aber. Es ist schön, noch von den alten, guten Zeiten zu erzählen, überhaupt jetzt, wo der Handball in Rumänien in einem totalen Chaos versinkt, wo keine Leistung mehr ist. Der Verband und der Präsident wissen auch nicht, was Leistungssport heißt und wie viel Gutes man machen kann. Zu unserer Zeit waren Handballhallen supervoll, die Jugend kam, alle wollten Handball spielen. Ich war im März in Bukarest, als Rumänien gegen Mazedonien gespielt hat: Die Dinamo-Halle war halb leer. Es ist schon traurig, so was zu sehen.

Man hört Ihre Enttäuschung heraus. Allerdings sind Ihre Leistungen unverkennbar und Sie wurden ja auch zum Ehrenbürger Ihrer Geburtsstadt Reschitza, und von staatlicher Seite 1974 als Hervorragender Meister des Sports (Maestru emerit al sportului) sowie mit dem Sportpreis zweiter Klasse (Meritul Sportiv Cl. a II-a) 2009 ausgezeichnet. Was halten Sie von diesen Ehrungen?

Wenn ich ehrlich sein soll, nicht viel, weil diese Ehrungen, diese Treffen mit der politischen Klasse, eigentlich für sie, nicht für uns waren. Wir wussten, was wir erreicht haben, welche Erfolge wir mit der Handball-Mannschaft gefeiert haben. Es ist lediglich Publicity für die Politiker, dass sie sich mit diesem oder jenem Star getroffen haben. Für den Sport tun aber die meisten nichts. Sie sind nur politisch interessiert, an der Führung zu sein. Wenn man so was macht (A.d.R – eine Sportlegende zu würdigen), muss man auch einen Schritt weitergehen und auch etwas verbessern.