20 Lebensjahre ungeschriebener Bücher auf dem Altar der siebenbürgischen Tradition geopfert

Rezension des Buches „Hans Bergel. Immer auf Rumänien zurückblickend“ und Hommage

Anlässlich des ersten Todestages des siebenbürgischen Schriftstellers und Menschenrechtlers Hans Bergel gedachte seiner Dr. habil. Cosmin Budeancă, Historiker am Institut für die Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus und das Gedenken an das rumänische Exil (IICCMER) und Chefredakteur der Zeitschrift „Memoria. Revista gândirii arestate“ (Erinnerung. Zeitschrift des verhafteten Denkens) durch ein Buch, welches biografische Forschungen aus den Unterlagen des Geheimdienstes Securitate und ein transkribiertes Gespräch der beiden in Gröbenzell bei München aus dem Jahr 2012 enthält. „Hans Bergel. Privind mereu spre România“ („Hans Bergel. Immer auf Rumänien zurückblickend“) ist als Hommage auf den siebenbürgischen Schriftsteller entstanden und wurde im Kulturhaus „Friedrich Schiller“ in Bukarest vorgestellt. 

Das Buch ist dieses Jahr mit einem Vorwort von Dr. Florian Kührer-Wielach, Leiter des Instituts für Kultur und Geschichte der Deutschen in Südosteuropa in München (IKGS), und einem Nachwort von Ana Blandiana, Schriftstellerin, Menschenrechtlerin, Vorsitzende der Stiftung „Academia Civică“ und mit Unterstützung des Film- und Geschichtsfestivals Rosenau/Râșnov sowie des Vereins Mioritics erschienen. 

Es beginnt mit den Aufzeichnungen der Geheimpolizei über Hans Bergel, seine Eltern Erich und Katharina, seine Geschwister Hildegard, Ortwin und den Dirigenten Erich Bergel sowie über die erste Ehefrau des Schriftstellers, Susanne (geb. Schunn). Die Charakterisierungen Hans Bergels und seiner Familie, wie sie aus den Unterlagen der Securitate hervorgehen, bilden Cosmin Budeancă zufolge nur einige Stücke des Puzzles seiner komplexen Persönlichkeit.

Im zweiten Teil lässt der Autor – diesmal in der Position eines Interviewers – Hans Bergel selbst erzählen. Die knapp einhundert Seiten der Transkription des  dynamisch wirkenden Gesprächs mit vielen Anekdoten fesseln. Ergänzend stellt der Autor eine Tonaufnahme des Interviews vom 7. September 2012  (www.revistamemoria.ro/hans-bergel-privind-mereu-spre-romania-page/) zur Verfügung.

Er wäre jetzt 98

Im kommenden Monat wäre Hans Bergel 98 Jahre alt geworden. Er wurde 1925 in Rosenau als Sohn eines Grundschullehrers geboren  und besuchte das deutsche Gymnasium „Johannes Honterus“. Mit 16 Jahren musste er seine Ausbildung an einer rumänischen Schule fortsetzen, nachdem er sich 1942 von der nationalsozialistischen Ideologie, welche damals einen gewissen Einfluss auf die deutsche Minderheit ausübte, öffentlich distanzierte. Bergel war während des Vortrags eines deutschen Gastredners über die Rassenideologie plötzlich aufgestanden, hatte laut gerufen, „Ich höre mir diesen Unsinn nicht mehr an!“, und den Raum verlassen. Dieses Ereignis hat der Schriftsteller in seinem großteils autobiografischen Roman „Wiederkehr der Wölfe“ geschildert. So „war ich stets unter Rumänen. Es fiel mit nicht schwer (…), weil ich dort Freunde wiedertraf, mit denen ich seit Jahren zusammen Schi im Postăvarul-Gebirge gelaufen habe“, gab Bergel an. Danach besuchte er das Pädagogische Gymnasium in Hermannnstadt/Sibiu. 

Bote des Widerstands

Nach dem Einmarsch der Roten Armee 1944 wurde sein Vater inhaftiert. Auf Bitte eines Freundes aus dem Skiclub, des Rechtsanwalts Nicolae Ceapa, wird der jugendliche Bergel zum Boten des antisowjetischen Widerstandes im Fogarasch- und Mühlbacher Gebirge. „Ich war in einem Alter, in dem ich immer positiv aufs Angebot eines Abenteuers antwortete.“ „Mir wurde klar, was für Leute den antisowjetischen Widerstand bildeten. Alle waren Christen, die wollten mit den Atheisten nichts zu tun haben. Chapeau! (…) So viel gefälschte Literatur wurde über sie geschrieben...von früheren Securitate-Beamten unter anderen Namen“.

Hans Bergel sollte 1945 zusammen mit vielen anderen Angehörigen der deutschen Minderheit in die Sowjetunion verschleppt werden. Es gelang ihm jedoch, aus dem Sammellager in Hermannstadt zu fliehen. Eine Sennhütte im Zibin-Gebirge diente ihm ein Jahr lang als Zufluchtsort. 1946 legte Bergel „auf abenteuerliche Weise“ das Abitur ab und war bis 1948 als Grundschullehrer im Kreis Alba und als Trainer der Organisation Volkssport Hermannstadt tätig. 

Dreimal verurteilt

1948 floh er aus dem kommunistischen Rumänien, wurde in Budapest festgenommen und an die rumänischen Behörden ausgeliefert. Wegen seiner Verwicklung mit dem antisowjetischen Widerstand wurde er schon länger von der Geheimpolizei verfolgt. „Die wussten nicht, dass mich die Geheimpolizei suchte…und ich saß in `Sicherheit` im Knast. Heute kann ich darüber lachen. (…) Keiner war auf die Idee gekommen, mich dort, im Militärgefängnis in Temeswar, zu suchen“. Kurz danach brach er aus dem Gefängnis aus und wurde in Kronstadt zum Militär eingezogen. „...und ich war wieder versteckt, denn in der Armee haben sie mich nicht gesucht“, lacht Bergel auf.

Aus den Unterlagen der Securitate geht hervor, dass Bergel im folgenden Jahrzehnt zweimal verurteilt wurde,  dass er als Leistungssportler beim Sportclub der Armee in Bukarest wirkte, den Nationalmeistertitel beim Staffellauf erlangte und Rekorde bei der Leichtathletikmeisterschaft aufstellte. Zudem unterrichtete Bergel als stellvertretender Lehrer an der Berufsschule in Heltau/Cisnădie und arbeitete als Trainer in zwei Sportclubs in Kronstadt. Er studierte  Kunstgeschichte und Philosophie an der Universität Bukarest und musste 1957, als er Kulturredakteur bei der „Volkszeitung“war  –  ein Organ  des Regionalparteikomitees und des Regionsvolksrates Kronstadt (damals  Stalinstadt), wegen der Pressearbeit gezwungenermaßen die Parteihochschule „Ștefan Gehorghiu“ besuchen. 

Laut Anmerkungen der Securitate aus dem Frühjahr 1959 schien Hans Bergel zu der Zeit  seinen Lebensunterhalt als Schriftsteller und Instrumentalist am Musiktheater „Gheorghe Dima“ in Kronstadt zu verdienen. 1952 heiratete Bergel die Malerin Susanne Schunn, die ihm drei Kinder gebar.

Die Anfänge seiner literarischen Tätigkeit seien auf seine Schuljahre in Hermannstadt zurückzuführen, als er Gedichte und Kurzgeschichten schrieb, erfahren wir aus seinem Dossier. Ab 1954 erscheinen seine Beiträge in der Vorgängerzeitung der ADZ „Neuer Weg“ und in der Zeitschrift des Schriftstellerverbandes „Neue Literatur“. 

Nachdem er die Novelle „Fürst und Lautenschläger: eine Erzählung aus dem Siebenbürgen des 17. Jahrhunderts“, „Die Straße der Verwegenen. Erzählungen“ und das Jugendbuch „Die Abenteuer des Japps“ im Jugendverlag veröffentlichte, wurde er Mai 1959 verhaftet und im „Schriftstellerprozess“ anhand des Zeugnisses von Eginald Schlattner zusammen mit vier anderen wegen „ideologischer Untergrabung“ des sozialistischen Regimes „durch das Schreiben von Werken mit Doppelinterpretation“ zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. In den nächsten drei Jahren erlebt Bergel den Terror mehrerer kommunistischer Gefängnisse, lernt einen freigeistigen Hirten kennen, der ihm als Inspirationsquelle für die wild tanzende Schäfergestalt im späteren Roman „Tanz in Ketten“ dient, und rät seiner Frau, sich um ihrer Kinder willen von ihm scheiden zu lassen. 

1962 wird er  entlassen und zusammen mit anderen politischen Ex-Häftlingen in die Bărăgan-Tiefebene in ein Arbeitslager verschleppt, darunter Corneliu Coposu, Vorsitzender der ehemaligen Nationalen Bauernpartei (PNȚ), mit dem er sich anfreundet. Der Erlass Nr. 310/1964 zur Begnadigung der knapp 3500  politischen Häftlinge (Intellektuelle, Staatsleute, Bürgerliche, Adlige und Kleriker aller Konfessionen) stellte auch Bergels Freiheit wieder her und er heiratete Susanne Schunn erneut.

„Zuvor dachte ich nie, aus Rumänien auszuwandern. Da hatte ich mich wohl gefühlt, aber in dem Moment, wenn die persönliche Freiheit problematisiert wird, da ändern sich die Sachen. (…) Als ich ´68 auswanderte, hatte ich nicht mehr den Eindruck, die Heimat zu verlassen. (…) Uns wurde alles weggenommen! (…) nicht nur unser materieller Besitz, sondern auch unser sächsischer geistlich-geschichtlicher Raum. (…) Ich habe diesen Vorgang der Entwurzelung in allen Bereichen des Daseins bis hin zum psychischen und spirituellen erlebt (…) Von derselben Tragödie waren auch die Rumänen betroffen! Sie sind aus ihren jahrhundertealten Wurzeln ausgerissen worden, genauso wie die Sachsen.“

Karriere in der BRD

1968 gestattete man Hans Bergel dank der Fürsprache von Günther Grass die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland. Seine Familie wartete schon seit Jahren auf ihn in der BRD. Von seiner Ehefrau war er über zehn Jahre getrennt, was zu der Entfremdung und endgültigen Scheidung der beiden führte. Sein Glück fand Bergel erst einige Jahre später wieder durch die Vermählung mit der norddeutschen Apothekerin Elke Raschdorf.

Als produktiver Schriftsteller, Dichter, Essayist und Autor von weit über 50 Büchern, als engagierter Journalist von Tausenden Artikeln sowie als Sachwalter siebenbürgisch-sächsischer, südostdeutscher und allgemeiner südöstlicher Kultur hat sich der Menschenrechtler Hans Bergel einen Namen weit über die Grenzen Rumäniens und Deutschlands gemacht. 

Von 1970-1989 war er Chefredakteur der „Siebenbürgischen Zeitung“, die er zu einem politischen Instrument formte, und Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks. Zudem wirkte er mehrere Amtszeiten als stellvertretender Bundesvorsitzender der siebenbürgischen Landsmannschaft und als Mitherausgeber der „Südostdeutschen Vierteljahresblätter“ beziehungsweise „Spiegelungen“ des Südostdeutschen Kulturwerks (der Vorgängerinstitution des IKGS). 20 Lebensjahre ungeschriebener Bücher habe Bergel auf dem Altar der siebenbürgischen Tradition geopfert.

Der Überwachung der Securitate hat Bergel auch im Westen nicht ausweichen können. Die rumänische Geheimpolizei zielte darauf ab, seine als staatsfeindlich empfundenen kritischen Artikel und Bücher sowie seinen ständigen Einsatz für die Genehmigung der Auswanderungsanträge seiner rumäniendeutschen Landsleute und den diplomatischen Druck auf die kommunistischen Behörden zu verhindern und ihn als öffentliche Figur zu diskreditieren. 

„Hans Bergels Kampf für die Achtung der Menschenrechte war nie gegen Rumänien oder die Rumänen, sondern gegen das kommunistische Regime gerichtet“, meint Dr. Florian Kührer-Wielach im Vorwort. Gegenüber der rumänischen Kultur war Bergel immer freundlich gesinnt und bezeichnete sich als „der Sohn zweier Kulturen“ in seiner Rede bei der Verleihung der  Ehrendoktorwürde 2001 an der Universität Bukarest. Dies erklärte er im Interview mit Dr. Budeancă, neben seiner siebenbürgisch-sächsischen Kultur sei er auch mit der rumänischen aufgewachsen, habe Freunde in den Reihen der Rumänen. 

Ferner sei Bergel nach Dr. Kührer-Wielach immer dagegen gewesen, dass andere sein Schicksal bestimmen. In seinem journalistischen und literarischen Werk hat er das Thema der Freiheit – seiner Freiheit als Individuum und Schriftsteller, jener seiner Landsleute und Europas – nie außer Sicht gelassen. Der Leiter des IKGS macht jedoch darauf aufmerksam, dass das Buch nicht ohne Vorsicht gelesen werden darf, zumal die Berichte der Geheimpolizei mit der Absicht zur Verfälschung der Tatsachen geschrieben waren.

Bergels literarische und journalistische Karriere runden zahlreiche Literaturpreisverleihungen, darunter zweimal der Georg-Dehio-Preis für Kultur und Geisteswissenschaften, der Andreas-Gryphius-Preis, der Preis des rumänischen Schriftstellerverbandes – Filiale Kronstadt, das Bundesverdienstkreuz am Bande, der rumänische Kulturverdienstorden im Rang eines Offiziers usw. ab.

Das Nachwort des Buches stammt von Ana Blandiana, u. a. Initiatorin des Projekts zur Gründung der Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und des Widerstands in Sighet. Bergel war dort jährlich Gastredner im Rahmen der Vortragsreihe und hat sich dabei mit Jugendlichen unterhalten, von denen er hoffte, dass sie Rumänien moralisch regenerieren würden. 

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Lesen Sie hier eine Replik auf die Rezension von Dr. Michaela Nowotnick.