Abschied und doch keiner

Smaranda Vultur feierte ihren 70. Geburtstag mit und umgeben von Büchern

Die Philologin, Semiotikerin und Anthropologin Smaranda Vultur

Den Anfang machte Prof. Dr. Vasile Docea, Generaldirektor der Zentralen Universitätsbibliothek Temeswar. Neben ihm sitzend: Smaranda Vultur, Ileana Pintilie, Adriana Babeți und Ioan Vultur.

In der Aula der Zentralen Universitätsbibliothek Temeswar Fotos: die Verfasserin

Tasi habe wie ein Goldschmied gearbeitet, meint Smaranda Vultur. Und das sieht man den Kunstwerken an, die zwei Monate ausgestellt sein werden.

„Sie ist eine Person, die außer den anderen Qualitäten, die ihr eigen sind, auch diese hat: Sie besitzt einen außerordentlichen Sinn für Komfort“. Diese Worte, mit denen Vasile Docea, der Generaldirektor der Zentralen Universitätsbibliothek Temeswar, das Event am Mittwochnachmittag vergangene Woche eröffnete, ließ die Zuhörer aufhorchen und machte sie stutzig, auch Smaranda Vultur, um die es dabei ging, schaute auf. Denn alle kennen sie als eine stets aktive Person: Neben ihrer Handtasche hat sie ständig eine dieser Tragetaschen dabei, darin sind Bücher, und dann erzählt sie jedem, dem sie begegnet, von laufenden und zukünftigen Projekten. Komfort also?

Doch als Vasile Docea fortfährt, atmen alle auf: „Einen außerordentlichen Sinn für Komfort, sage ich, weil ich mir nur so erkläre, wieso sie sich so wenige Komfortmomente gönnt. Sie gönnt sich ein ständiges Unbehagen, ist ständig unter Druck, aber das nicht ohne Ergebnisse. Und die lassen sich sehen, an der Universität wie auch an der Bibliothek. Ich frage mich, was wird sie jetzt erst alles tun, wenn sie mehr Muße hat?“

Anlass: ein runder Geburtstag

Smaranda Vultur wird in wenigen Tagen 70. Sie ist unseren Lesern vor allem für den Band „Germanii din Banat prin povestirile lor“ („Die Deutschen aus dem Banat in ihren Lebensgeschichten“) bekannt, der in zwei Auflagen erschienen ist, die zweite erst 2018 überarbeitet und umfassend erweitert. Smaranda Vultur hat diesen Band mit einer Reihe junger Forscher von der Gruppe für Anthropologie und mündlich überlieferte Geschichte der Stiftung „A treia Europa“ („Das dritte Europa“) erarbeitet. Interviews sind darin, in denen die Befragten – Deutsche aus dem Banat – ihre Lebensgeschichte erzählen und dabei wichtige Momente aus der Geschichte der Gemeinschaft im 20. Jahrhundert aus eigener Perspektive vermitteln, aber auch über Alltag, Lebensweise und Traditionen Aufschluss geben. Doch Smaranda Vultur und den von ihr koordinierten jungen Forschern sind auch andere wichtige Bände zu verdanken, wie zum Beispiel „Memoria salvată. Evreii din Banat, ieri si azi“ („Gerettete Erinnerung. Die Juden aus dem Banat, gestern und heute“) oder „Scene de viață. Memorie și diversitate culturală, Timișoara 1900 -1945”, ein Band, der zweisprachig, auf Rumänisch und Französich, erschienen ist und von dem nun bald eine dreisprachige Auflage auf Rumänisch, Französisch und Englisch vorliegen soll – dies verspricht Smaranda Vultur in einer E-Mail, in der sie ihre nächsten Projekte auflistet und versichert, dass sie weiterhin arbeiten will.

Angefangen hatte sie allein, mit Oral-History-Interviews, daraus ergab sich der 1997 erschienene Band „Istorie trăită, istorie povestită. Deportarea în Bărăgan, 1951 – 1956” („Erlebte Geschichte, erzählte Geschichte. Die Deportation in den Baragan, 1951-1956). Danach begann sie, Studenten und junge Absolventen zu lehren und zu koordinieren. Jetzt ist die Aula der Zentralen Universitätsbibliothek voll, auch mit diesen als Mitarbeitern.

Weil zu einem runden Geburtstag ein Event passt, kam wenige Tage davor eine Einladung per E-Mail, mit der für alle, die sie kennen, traurigen Nachricht: „Am 9. Januar ist meine Tätigkeit an der Bibliothek zu Ende gegangen“. Doch beim weiteren Lesen erkennt man, dass der Abschied von der Zentralen Universitätsbibliothek, wo sie auch nach dem Eintritt in die Rente von der West-Universität weitermachte, doch kein Abschied ist: „Das Archiv (der Forschungsgruppe ‘Das dritte Europa’ – Anm. d. Red.) ist zum Großteil dort registriert. Die Arbeit wird Mălina Duță fortführen, die am Archiv für mündlich überlieferte Geschichte arbeitet. Ich werde weiterhin dort vorbeischauen und Mălina, die mir in den letzten Jahren zur Seite gestanden hat, unterstützen, als Volontärin“.

Ein Abschied oder doch keiner und ein Event

Ein runder Geburtstag und ein Abschied, der so keiner ist - dazu gehört, wie schon erwähnt, ein Event. Doch auf der Einladung steht Tajo/Tasi – „Graphie – Ausstellung zum Buch als Gegenstand“. Warum jetzt diese Ausstellung? Warum eine Ausstellung von Büchern als Objekt, doch mit einem anderen Gebrauch als der übliche? – Wobei Generaldirektor Vasile Docea noch hinzufügte, dass er prinzipiell nicht mit einem anderen Gebrauch von Büchern einverstanden sei, aber nur „prinzipiell“, denn im Falle von Tasi mache er eine Ausnahme. Warum also die Ausstellung und das anschließende Gespräch zum Thema „Buch als Kunstobjekt“ mit Smaranda Vultur, Ileana Pintilie, Adriana Babeți und Ioan Vultur?

Weil der Abschied nicht in Tränen enden soll, sondern mit einem Geschenk an die Teilnehmer und mit schönen Gedankenspielen um einen Gegenstand, der, wie Smaranda Vultur es selbst ausdrückt, für ihre Generation symbolträchtig war: „Unsere Generation war und ist stark an das Buch gebunden. Ich nehme immer noch gerne ein Buch in die Hand, es bedeutet für mich Ruhe, auch heute im Zeitalter des Internets merke ich, dass mir ein Buch, wenn auch nur für eine Stunde, ein Gefühl der Ruhe verleiht, des Wiederfindens des Selbsts“. Smaranda Vultur war im Laufe ihrer gesamten Karriere von Büchern umgeben, hat selbst Bücher geschrieben oder koordiniert. Adriana Babeți erklärte: „Ich habe mich an eine Buchhandlung im Zentrum gewandt, sie sollen ein Regal bereitstellen für die Bücher, die Smaranda Vultur koordiniert hat – diese werden sicherlich von den Nostalgikern der Stadt gesucht, die Temeswar demnächst besuchen werden.“

Das Vermächtnis

Und außerdem: Tasi/Tajo gehört zu Smaranda Vulturs Freundeskreis – sie isst seinen Honig gerne, erklärt sie, denn Tasi ist auch Hobby-Imker; der Plauderton ist angebracht, im Saal sind viele Freunde, viele von ihnen gehören zum gemeinsamen Freundeskreis der beiden. Und man hatte Smaranda Vultur auch schon in ihren ersten Tagen an der Bibliothek gebeten, eine solche Ausstellung in den Räumlichkeiten der Zentralen Universitätsbibliothek zustande kommen zu lassen. „Es gibt auch eine Analogie zwischen der Imkerei und der Aktivität einer Bibliothek, zwischen den Waben und der Bibliothek“, so Smaranda Vultur. Und: „Ich hoffe, dass die Bienen im Digitalarchiv weiterarbeiten und es fertigstellen werden.“

Und wie Adriana Babeți hervorhob: „Diese Idee, diese Geste von Smaranda Vultur ist von besonderer Grazie, Feinheit, Bescheidenheit und Schönheit“, denn „was ein Superjubiläum hätte werden sollen“, wurde praktisch noch einmal zu einem Geschenk des Geburtstagskindes an die Teilnehmer, wobei sie sich selbst in einen „dreimal unverdienten Schatten gestellt“ hat. Es sei aber sicher kein Abschied, versicherte Adriana Babeți: „Smaranda Vultur wird sicher keinen Abschied nehmen von der Bibliothek und ich hoffe, dass auch die Bibliothek sich nicht von ihr verabschieden wird.“ Und mit Humor: „Ich will auch denen, die dieses Alter noch nicht erreicht haben, versichern, dass es ein Leben nach 70 gibt, auch nach der Rente“. Und: „Was Smaranda Vultur nach jahrzehntelanger Arbeit der West-Universität, der Bibliothek sowie der Stadt hinterlässt, die im nächsten Jahr Kulturhauptstadt wird, ist äußerst wertvoll: Es ist das Gedächtnis dieser Stadt, es sind die Erinnerungen.“