Akzente auf Literatur und mehr

Über die Hommage an die „Aktionsgruppe Banat“, wie sie in Bad Kissingen ablief

Ilse Hehn
Foto: Helga Ritter

Die Veranstaltung waren gut besucht, der Saal in der Tagungsstätte „Der Heiligenhof“ bis auf den letzten Platz besetzt.
Foto: Hans Rothgerber

Johann Lippet, Traian Pop, Hellmut Seiler.
Foto: Čva Seiler-Iszlai

Nur drei der ursprünglichen Mitglieder der „Aktionsgruppe Banat“ – Johann Lippet, Anton Sterbling und der Autor dieses Berichts – waren zur Tagung „50 Jahre Aktionsgruppe Banat. Eine literarische Begegnung mit ehemaligen Mitgliedern und befreundeten Autoren“ angereist, die in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ im fränkischen Bad Kissingen von der „Akademie Mitteleuropa e.V.“, gefördert durch das Kulturwerk der Banater Schwaben e.V., zu Beginn der zweiten Julihälfte stattgefunden hat.
Zu ihnen gesellten sich, in ihrer Eigenschaft als Freunde und langjährige Weggefährten, Horst Samson, Ilse Hehn, Hellmut Seiler, die literarische Newcomerin Katharina Eismann und, aus Österreich, Dr. Kurt Thomas Ziegler, ein vielseitig gebildeter und informierter Arzt, der lange Zeit „die Aktionsgruppe aus der Distanz betrachtete“ und daraus für die Tagung – auf Aufforderung von Anton Sterbling – ein umfassend dokumentiertes und professionell geschriebenes Präsentations-Essay machte, das geschickt herausgearbeitete Ansätze zu einer Geschichte der Aktionsgruppe und ihres kulturellen Umfelds, aus der Gründungszeit und danach, beinhaltete.

Mosaiksteinchen zum Kennen des Banats


Gustav Binder, seit 17 Jahren Leiter (und gute Seele) des gastgebenden Hauses, erwies sich als gut informierter Anmoderator der Veranstaltung, an der sich streckenweise bis zu vier Dutzend Literaturinteressierte beteiligten.

Die Eröffnungslesung moderierte der Initiator des Events, Prof. Dr. Anton Sterbling, der sich nach seinen literarischen Anfängen in Rumänien in Deutschland bis zum Hochschulprofessor und anerkannten Soziologen mit vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und zahlreichen intellektuellen Initiativen hochgearbeitet hatte und der, seit seiner Emeritierung, wieder begonnen hat, in einem atemberaubenden Rhythmus – man hat den Eindruck, dass er etwas, was ihm einmal viel Freude bereitet hat, nachzuholen gedenkt – schöngeistige Bücher zu schreiben oder Bücher im Umfeld der schöngeistigen Literatur zu veröffentlichen.

Sterbling stellte seinen ehemaligen Schulkollegen von der deutschen Abteilung des Lyzeums Großsanktnikolaus vor, den Aktionsgruppenkollegen Johann Lippet, der mit Sicherheit zu den profiliertesten Prosaschriftstellern des deutschen Sprachraums gehört und dessen Werk (oft und nicht zu unrecht verglichen mit dem des Südamerikaners Gabriel García Márquez), vor allem die Romane und Erzählungen, die in seiner langjährigen Heimatortschaft Wiseschdia angesiedelt sind, zum Besten gehören, was übers Banat je geschrieben wurde. Er sei „der Chronist des Alltagslebens der Banater Schwaben in der Banater Heide“, schrieb Horst Samson. Lippet ist unter den Gründungsmitgliedern der Aktionsgruppe Banat einer der Ersten gewesen, der als freier Schriftsteller in Deutschland zu leben wagte.

Ein Übersetzungprojekt ins Rumänische, zumindest jener Werke, die im Banat spielen, wäre in seinem Fall mehr als willkommen, war die Meinung der in Bad Kissingen Anwesenden, denn seine Veröffentlichungen mit Thema Banat sind auch eine ausgezeichnete Kennenlern-Brücke (und -Krücke) für alle Andersnationalen (nicht nur) aus ganz Rumänien. Vor allem der Lyriker und Verleger Traian Pop unterstrich das, einer der besten Kenner der rumänische Kultur- und Literaturszene. Der unfern Wiseschdia, in Albrechtsflor, aufgewachsene Horst Samson hingegen (geboren wurde er während der Deportation seiner Eltern in der Bărăgan-Steppe südöstlich von Bukarest) hat sich der Lyrik verschrieben und ist auch durch Preise und Hervorhebungen wiederholt als Lyriker anerkannt und belobigt worden.

Samson eröffnete seine Lesesequenz mit Fragmenten aus einer seiner stärksten Produktionen, „La Victoire. Poem“, um routiniert und lesergewohnt danach aus seinen jüngsten Gedichtbänden „In der Sprache brennt noch Licht“ und „Der Tod ist noch am Leben“ zu lesen, letzterer illustriert mit Zeichnungen des aus Siebenbürgen stammenden Graphikers Gert Fabritius. Für Samson sind Gedichte „Sprachburgen“, „trutzig“, „aus Ziegeln, Zeilen und all den Erinnerungsfetzen, aus wichtigem Nichtigem und nichtigem Wichtigem, Sequenzen, Glück und Ewigkeiten“.

Poesie, Schock, entfesselter Vortrag

Der für den zweiten Tag programmierte Albert Bohn konnte letztendlich nicht teilnehmen, bat aber Sterbling, für ihn aus einem von ihnen gemeinsam herausgegebenen Buch etwas vorzulesen. Ilse Hehn hingegen, überhaupt nicht gehandicapt durch das Fehlen ihrer eigenhändig fotografierten, übermalten oder gemalten Buchillustrationen – die aus allen ihren Büchern Gesamtkunstwerke machen, die eigentlich nur als solche wahrgenommen und genossen werden sollten –, las aus ihren lyrisch gefärbten Reiseimpressionen, die sie, nach dem glänzenden „Roms Flair in flagranti“ (2020) im neuen 320seitigen Reise-Buch „Diese Tage ohne Datum“ (2022) zusammengefasst hat, wo es um lyrisch, ja oft hymnisch verarbeitete Erlebnisse und Impressionen in Lappland, Frankreich, auf Capri, in Amsterdam, Schottland, Florenz, Ägypten, Sizilien, Rumänien, Norwegen, auf Samos, oder in Venedig und, immer wieder, in Rom geht.
Zu Temeswar heißt es bei Ilse Hehn: „…nimmt man den Schatten weg, das Seufzen, schlendert die Stadt aufrecht. steifbeinig wie Stühle, Wände überlassen dir ihre Träume...“ Da klingt Wahrheit an, verpackt mit einem gekonnt formulierten lyrischen Duktus.

Hellmut Seiler, der in der Moderation Horst Samsons den literarischen Nachmittag eröffnete, war an jenem Tag aufs Schockieren aus und präsentierte neue Kreationen, die auf seiner Zweisprachigkeit, bis zum Schimpfen und Fluchen hin (plus Kenntnis des Ungarischen...) fußen und die streckenweise für eine Grabesstille im Saal sorgten – wobei sich unbezweifelbar herausstellte, dass (nahezu) alle Anwesenden sowohl deutsch als auch rumänisch verstanden.

Seiler bastelt mit einem feinen Sprachgefühl an seiner Lyrik, hat ein geschultes Gespür für Wort-Assoziationen, versteht es, die semantische Sphären der Wörter zu verweben, zu überlappen und zu verschmelzen und – leise oder laut – zum Klingen zu bringen. Als Freund von Langgedichten hat er sich bei der Lesung in Bad Kissingen nicht erwiesen, wohl aber als pointiert formulierender und auch mal auf Effekthascherei ausgehender Wortkünstler, garakrobat.

Theatralischer, temperamentvoller, volltöniger die selbstsicher auftretende Katharina Eismann, die in ihrem „Paprikaraumschiff“ sich als Vollbluttemeswarerin outende Prosaschriftstellerin, die in Bad Kissingen, neben schwungvoller Prosa, ein paar durchaus zukunftsverheißende Gedichte vortrug, die kraftvoll klangen – was vielleicht auch an ihrer entfesselten Vortragsweise lag – vieles, ohne vom Blatt oder aus einem Manuskript herunterzulesen, einfach auswendig und sorgfältig einstudiert, was zumindest eine intensive Beschäftigung mit Lyrik und ihrem eigenen lyrischen Schaffen suggerierte, doch wohl auch von großem Respekt vor dem Publikum zeugt und eine höfliche Reverenz war.

Auf Katharina Eismann folgte der aus Aspang in Österreich angereiste Dr. Kurt Thomas Ziegler, der sich bescheiden zwar „Literatur-affin“ selbstdefinierte, doch ein „aber...“ anhing, jedoch über die Aktionsgruppe exzellent Bescheid wusste (nebenbei bemerkte er: „Ich habe mehr als 50 Bücher der Aktionsgruppenmitglieder gesammelt.“). Seine inspirierte Fleißarbeit, die alle durch Kompetenz und Synthesetalent beeindruckt hat, werden wir in der ADZ/BZ in ausführlichen Auszügen veröffentlichen.

Hommage an einen selbstlosen Verleger

Den Abschluss des Events von Bad Kissingen bestritten Anton Sterbling und Traian Pop Traian in der Moderation von Hellmut Seiler, wobei dessen Anmoderationen als beispielhaft zu bezeichnen sind.  Zu Sterbling meinte Seiler, er hätte sich „jedes Mal auf seine Sachliche, aber nicht leidenschaftslose Gründlichkeit und fast beängstigende Pünktlichkeit und Akribie verlassen“ können. Sterbling habe immer – neben allen Verpflichtungen, „das getan, was er am besten kann: SCHREIBEN.“

Allein im Pop-Verlag erschienen von Sterbling in den vergangenen Jahren „Grenzgänge. Heimat, Wanderungen. Narrative über das zerbrochene Sinnmuster der Vergangenheit“; „Über deutsche Dichter, Schriftsteller und Intellektuelle aus Rumänien“; „Entrückung in den Kopfstand. Gedichte und Texte, 1968 bis 2019“ – eine Auswahl seines lyrischen Schaffens; „Klimadelirium und andere furchtbare Erzählungen“, mit einer skurrilen Hommage an alle ehemaligen Mitglieder der Aktionsgruppe Banat; „Die versunkene Republik. Erzählungen“ usw.

Sterbling präsentierte einen sorgsam ausgewählten Mix aus ansprechend nacherzählter Prosa und las aus seiner Lyrik, erzählte zwischendurch mit Humor, Verve und sichtlichem Vergnügen von seinen oft abstrusen Erzählungseinfällen, die seine Bücher lesenswert machen.

Die schönste Hommage der Veranstaltung von Bad Kissingen widmete Hellmut Seiler dem Lyriker und Verleger Traian Pop, der den Pop-Verlag in Ludwigsburgs am Leben hält. Und das klang so: „Er ist schwer zu übersehen – und kommt oft unscheinbar daher; er hat x Termine einzuhalten – und verfehlt sie alle; bestenfalls verspätet er sich geringfügig, um 1-2 Stunden; er ist ein Riesenchaot – und stellt zwei Zeitschriften und viele Bücher (fast) zeitgerecht her; er hat keine Ahnung von Marktwirtschaft – und leitet seit vielen Jahren einen Verlag; keiner, den ich kenne, hat den Führerschein öfters abgeben müssen – dabei fährt er immer noch – und ausschließlich – Auto; er ist schwierig im Umgang mit den Autoren – und nennt die meisten von ihnen seine Freunde; ...“

Die beeindruckende Büchersammlung, die Traian Pop aus Ludwigsburg nach Bad Kissingen mitbrachte und ausstellte, die kolossalen Verdienste, die er sich erwarb und erwirbt um die Autoren aus Rumänien, die er im deutschen Sprachraum bekanntzumachen sucht (nicht nur Mitglieder und Freunde der Aktionsgruppe Banat, deren Freund er sich nicht nur formal nennt, sondern es auch wirklich ist), die Anregung und Förderung von Übersetzungsarbeit guter rumänischer Autoren, aber auch sein ständiger Balanceakt zwischen Geldbeschaffung für Honorare und Druck und Geldmangel für Tausende immer noch anstehende Projekte – all das macht aus dem Zwei-Meter-Hühnen eine Klippe in der Brandung der rumänischen wie deutschen Literatur, die umschifft, aber immer auch beachtet werden muss.