Altes und Neues für Roma in der Republik Moldau

Die Rolle der Roma in Entscheidungspositionen bei der Vertretung von Gemeinschaftsinteressen

Die Mehrheit der Roma lebt in Armut und hat keinen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen. Foto: Centrul Național al Romilor

Die Republik Moldau ist ein multiethnischer Staat, die Roma sind dabei eine der am stärksten benachteiligten Minderheitsgruppen. Die Mehrheit lebt in Armut und hat keinen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen. Nichtregierungsorganisationen und gemeinschaftliche Mediatoren tragen jedoch dazu bei, die Lebenssituation der Roma zu verbessern.

Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen (UN) leben Roma doppelt so häufig in Armut wie andere ethnische Gruppen. Ein Bericht kam zu dem Schluss, dass Roma in der Repu-blik Moldau hohe Arbeitslosigkeit erleben. Silviana Feraru, Generalsekretärin der Vereinigung „Vocea Romilor“ (Stimme der Roma), sagt, dass sich die Mehrheit der Roma bei der Nationalen Agentur für Beschäftigung registriert, um den Arbeitslosenstatus und damit Krankenversicherung und Sozialhilfe zu erhalten. Die Nationale Agentur für Beschäftigung ist die dem Ministerium für Arbeit und Sozialschutz unterstellte Verwaltungsbehörde, die die Umsetzung der Politik in den Bereichen Beschäftigungsförderung, Arbeitsmigration und Arbeitslosenversicherung sicherstellen soll. „Vocea Romilor“ ist eine nationale Plattform von 35 öffentlichen Roma-Vereinigungen aus der Republik Moldau, die die Verbesserung des Lebens der Roma durch die Umsetzung öffentlicher Maßnahmen fördert.

Wenige Mediatoren, aber sichtbarer Fortschritt

„Die offiziellen Angestellten sind die Gemeinschaftsmediatoren, und zwar selbst Roma, die in der lokalen öffentlichen Verwaltung arbeiten – es gibt 48 solche Angestellte heute. Viele der Roma, die offiziell arbeiten, erkennen ihre ethnische Identität öffentlich nicht an, weil sie denken, dass sie diskriminiert oder entlassen werden können“, sagt Feraru, selbst Gemeinschaftsmediatorin im Rathaus der Gemeinde C²rpineni, Bezirk Hînce{ti. Im aktualisierten Bericht über die Kartierung dicht von Roma besiedelter Orte in der Republik Moldau von 2021 heißt es, dass eigentlich 82 Mediatoren in 63 Orten tätig sein sollten.  Im Jahr 2021 wurden über 27.000 Roma in der Republik Moldau registriert. „Von 90 Prozent der Roma, die als arbeitslos gemeldet sind, haben 90 Prozent keine beruflichen Qualifikationen“, sagte eine Vertreterin des Arbeitsministeriums im August 2022 gegenüber Teleradio-Moldova. Viele arbeiten aber behördlich nicht angemeldet als Spengler, Schmiede, Handwerker oder Tagelöhner auf Baustellen und im Handel.

Leben im Prekariat

Laut einem Bericht über die Rechte der Roma vom Nationalen Roma-Zentrum (Centrul Na]ional al Romilor) von dem Jahr 2011 leben Roma in Siedlungen am Rande von Dörfern, oft unter Substandard-Bedingungen, oder sind in Dörfern und Städten verstreut. Die zahlreichsten Roma-Populationen wurden in den Städten Otaci, Soroca, Edine], Rî{cani und dem Dorf Vulc²ne{ti verzeichnet. In den Siedlungen, in denen nur Roma leben, herrsche größere Armut; diejenigen Roma, die nicht dort leben, werden statistisch als Teil der Mehrheitsbevölkerung erfasst, erzählt Silviana Feraru.

„Den Roma geht es ums Überleben. Ihre Lebensbedingungen können ihre Bedürfnisse nicht decken. Zum Beispiel gibt es in Roma-Haushalten oft keinen Bereich, wo Kinder ihre Hausaufgaben erledigen können, kein Wasser oder Toilette. Roma-Frauen haben keine Möglichkeiten zur persönlichen oder beruflichen Entwicklung, und die meisten von ihnen bleiben zu Hause und kümmern sich um den Haushalt“, sagt die Generalsekretärin der Vereinigung „Vocea Romilor“.

Feraru glaubt, dass die wirtschaftliche Situation in der Republik Moldau die Verbesserung des Lebens der Roma enorm beeinträchtigt. Die Energiekrise hinterlässt ihre Spuren im Leben der Mehrheit der Bürger, insbesondere der armen Roma.

Verstärkter Migrationsdruck

Viele Roma verlassen die Republik Moldau aufgrund allgemeiner Armut. Auslösefaktor dafür könnte auch das Gefühl der „Nicht-Zugehörigkeit“ sein, das unter Roma als Ergebnis diskriminierender Diskurse und Praktiken durch die Mehrheitsgesellschaft entstanden ist. Aber die NROs und gemeinschaftlichen Mediatoren haben eine Schlüsselrolle bei der Schaffung eines neuen „Zusammenseins“.

Feraru meint, dass Roma migrieren, weil sie in der Republik Moldau kein stabiles Einkommen haben. Im Jahr 2021 wurden 2124 Roma-Migranten gemeldet. „Die meisten von ihnen gehen nach Deutschland und suchen politisches Asyl. Sie bleiben eine Weile und kommen zurück aufs Land. Andere sichern sich ihren Lebensunterhalt als unqualifizierte Arbeitskräfte auf Baustellen, kehren zurück, investieren in Eigentum und wandern dann wieder aus. Die wirtschaftliche Stabilität der Roma fehlt  sowohl im Ausland als auch in der Republik Moldau, weil sie nicht wissen, wie sie mit dem verdienten Geld umgehen sollen“, erklärt sie. Es gebe keine Ausbildung zur Entwicklung des Unternehmertums unter den Roma, um die Migration einzudämmen, und das größere Problem wäre der Analphabetismus unter Erwachsenen.

Auch Zusammenarbeit mit Transnistrien

„Wenn der Mediator der Roma-Gemeinschaft aktiv und engagiert ist, die Situation zu ändern, und die Behörden offener für die Roma-Gemeinschaft sind, arbeiten die beiden Gruppen zusammen“, meint Silviana Feraru. Leider sind Gemeinschaftsmediatoren nicht an allen von Roma besiedelten Orten beschäftigt.

Die Vereinigung „Vocea Romilor“ ist gut vernetzt und arbeitet auch mit den Behörden in Transnistrien zusammen. Die Ungleichheiten, mit denen die Roma in der Region konfrontiert sind, wie der fehlende Zugang zu Bildung, Arbeitsplätzen, Wohnraum und Dokumenten, kennzeichnen ihre Situation. Um den Lebensunterhalt und die Sichtbarkeit der dortigen Roma zu verbessern, wurden Maßnahmen ergriffen, um Menschen zu befähigen, als Gemeinschaftsmediatoren zu arbeiten.

Es gibt jedoch Situationen, in denen die Behörden der Republik Moldau gegenüber den Roma diskriminierend handeln. Laut der Studie „Human rights of Roma and Travellers in Europe“ der EU-Menschenrechtskommission aus dem Jahr 2012 wurden antiziganistische Taten und Äußerungen wie etwa Aufstachlung zu Hass, Diskriminierung, Verbreitung von Stereotypen oder Verallgemeinerungen in Bezug auf Straftaten auch in der Republik Moldau registriert. Viele Roma verstecken daher ihre ethnische Zugehörigkeit, aus Angst vor Ablehnung der Mehrheitsbevölkerung. „Gerade in unserem Fall können wir nicht sagen, dass alle Roma gleich sind. Es gibt Roma, die ihre Rechte kennen und sich in verschiedenen Situationen verteidigen können“, sagt Silviana Feraru.

Aus der Ukraine geflüchtete Roma

Aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine mussten auch Roma über die offene Grenze in die Republik Moldau fliehen, teils auch ohne Papiere, heißt es in einem Artikel von European Roma Rights Centre (ERRC) vom März 2022. Die Republik Moldau hat mehr als 420.000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen – der größte Flüchtlingszustrom gemessen an der Pro-Kopf-Zahl aller Aufnahmeländer, so ein Bericht des UN-Menschenrechtsrates im Land.

Allerdings sind ukrainische Roma in der Republik Moldau mit feindseligen und diskriminierenden Einstellungen anderer Ukrainer, moldauischer Bürger und Behörden konfrontiert. „Ich glaube, dass es seitens des ukrainischen Staates eine Nachlässigkeit gegenüber den Roma gibt. Viele Roma haben keine legalen Dokumente. Es gibt zudem eine große Anzahl von Ehen mit Minderjährigen. Die Situation der Roma in der Repu-blik Moldau ist besser“, sagt die Generalsekretärin der Vereinigung „Vocea Romilor“.

Die moldauischen Behörden beherbergten jedoch die meisten Roma getrennt von anderen ukrainischen Flüchtlingen, so Human Rights Watch (HRW). Nach Angaben von ERRC wurden viele der Roma an den Grenzen zu anderen Ländern zurückgewiesen, weil sie nicht über die richtigen Dokumente verfügten. Infolgedessen saßen sie in den Aufnahmezentren der Republik Moldau fest, wo sie mit schlechten Lebensbedingungen und Nahrungsmangel konfrontiert waren.

Human Rights Watch enthüllte, dass seit Mitte März 2022 fast alle aus der Ukraine geflohenen Roma in einem verlassenen Gebäude der Fakultät für Internationale Beziehungen, Politikwissenschaft und öffentliche Verwaltung (FRISPA), aber auch in der Sportarena Manej untergebracht wurden. Laut dem Beitrag der HRW weigerten sich die Stadtbehörden auf der MoldExpo in Chișinău – dem größten Flüchtlingsaufnahmezentrum des Landes –, aus der Ukraine geflohene Roma aufzunehmen. In manchen Fällen seien Ablehnungen mit Vorwänden wie Platzmangel oder fehlenden Unterlagen begründet worden.

Der Beschluss der Europäischen Union vom 4. März, den Mechanismus für vorübergehenden Schutz zu aktivieren, soll allen Flüchtlingen aus dem Konflikt in der Ukraine die Einreise in die EU erleichtern. Dieser Mechanismus ermöglicht es den Grenzschutzbeamten, die Kontrollen zu lockern, auch wenn es an Reisedokumenten mangelt. Im März erklärte ERRC, dass diese Lockerung im Fall staatenloser Roma-Flüchtlinge von der Grenze zur Republik Moldau nicht gegolten hätte.

Es wurden jedoch Verbesserungen bei der Unterstützung ukrainischer Roma-Flüchtlinge in der Republik Moldau in Bezug auf die Unterbringung und Behandlung an der Grenze zu den EU-Ländern erzielt. „Die NROs der Roma-Gemeinschaften in der Republik Moldau begleiten die Flüchtlinge seit Kriegsbeginn. Wir waren daran beteiligt, Unterkunft, Nahrung und andere Notwendigkeiten nach unseren Möglichkeiten bereitzustellen. Ohne die Einbindung der Mediatoren und Roma-NROs wäre die Lage der Flüchtlinge instabil geblieben. Jetzt werden sie unterstützt, sie werden in Zentren untergebracht, und für viele von ihnen wurde die Ausreise in die EU erleichtert. Alles geschah durch die Zusammenarbeit mit den lokalen und staatlichen Behörden“, sagt Feraru.

Maßnahmen zur besseren Unterstützung von Roma

Das Sekretariat der Vereinigung „Vocea Romilor“ ist seit 2016 an der Verfassung des Aktionsplans zur Unterstützung der Roma-Bevölkerung beteiligt. Ab 2020 arbeitete es mit den staatlichen moldauischen Behörden zusammen, um das Programm zur Unterstützung für die Jahre 2022 bis 2025 zu erarbeiten. Dieses Dokument wurde Anfang August 2022 von der Regierung genehmigt. Laut dem Portal der Regierung der Republik Moldau sieht das Programm zur Unterstützung der Roma-Bevölkerung für die Jahre 2022 bis 2025 eine Reihe von Maßnahmen vor, um Hürden zum Arbeitsmarkt, auch im öffentlichen Sektor, abzubauen. Darüber hi-naus werden dadurch die Initiierung von Berufsbildungsprogrammen und die Entwicklung des Unternehmertums gefördert. Das Programm besteht auch darin, den Zugang zu Bildung, Gesundheit und anderen öffentlichen Dienstleistungen ohne Diskriminierung zu erleichtern und die aktive Beteiligung der Roma am öffentlichen Leben des Landes zu fördern.

„Da die Kenntnis der Anzahl der Roma eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Situation spielt, haben wir auch eine Aktion zur Einbeziehung von Gemeinschaftsmediatoren in den Volkszählungsprozess gefordert. Das wurde auch in das neue Programm zur Unterstützung der Roma-Bevölkerung für die Jahre 2022-2025 aufgenommen“, sagt Feraru.
Die Agentur für interethnische Beziehungen der Republik Moldau betonte, das Programm zur Unterstützung der Roma-Bevölkerung und das Programm zur Umsetzung der Strategie zur Konsolidierung der interethnischen Beziehungen gehören zum Kapitel 9 des Aktionsplans zur Vollbringung der Maßnahmen, die von der Europäischen Kommission in ihrer Stellungnahme zum Antrag auf Beitritt der Republik Moldau zur Europäischen Union vorgeschlagen wurden.


Dieser Artikel wurde im Rahmen des Projekts „Unprejudiced“ mit Unterstützung des Östlichen Partnerschaftsprogramms und des Auswärtigen Amts im Herbst 2022 erstellt.