„An den Rand geschrieben“ 

Helmuth Frauendorfer, Schriftsteller und Dokumentarfilmer aus dem Banat, zum 65. Geburtstag

Der aus dem Banat stammende Autor Helmuth Frauendorfer feiert am heutigen 5. Juni 2024 seinen 65. Geburtstag. Dies ist ein Grund für uns, an ihn und sein künstlerisches und journalistisches Wirken aktuell zu erinnern. 

Nach der Zerschlagung der „Aktionsgruppe Banat“ im Herbst 1975, bis zum Zusammenbruch des nationalkommunistischen Ceau{escu-Regimes, gab es weiterhin aus den Reihen damals junger rumäniendeutscher Schriftsteller literarisch scharfsinnig artikulierte Kritik, ausdrücklichen Widerspruch wie auch bemerkenswert mutigen Widerstand gegen die Repressionen kommunistischer Herrschaft in Rumänien. Ein besonderes Ereignis in diesem Zusammenhang bildete ein Protestbrief an den damaligen Ersten Sekretär des Kreisparteikomitees Temesch, Cornel Pacoste, im September 1984, der von Helmuth Frauendorfer, Herta Müller, Richard Wagner, William Totok, Johann Lippet, Horst Samson und Balthasar Waitz unterzeichnet wurde. (Siehe dazu: Horst Samson: Heimat als Versuchung. Das nackte Leben. Literarisches Lesebuch – Gedichte, Prosa, Literaturkritiken, Interviews, Pop Verlag, Ludwigsburg 2018, insb. S. 396 ff.)  Der gleich am Anfang dieses Protestbriefes angesprochene Anlass des Schreibens war ein mehrtägiges, von Drohungen, Einschüchterungen und Prügeln begleitetes Verhör Frauendorfers durch Offiziere des rumänischen Sicherheitsdienstes, der Securitate. 

Helmuth Frauendorfer, am 5. Juni 1959, in dem Banater Dorf Wojteg geboren, ehemaliger Schüler des Lenau-Lyzeums in Temeswar, absolvierte 1984 ein Studium der Germanistik, Anglistik und Pädagogik an der Universität Temeswar. Bereits ab 1979 veröffentlichte er regelmäßig in verschiedenen deutschsprachigen Publikationen Rumäniens. Er war verantwortlicher Redakteur der deutschsprachigen Literaturbeilage der Temeswarer Studentenzeitschrift „Forum studen]esc“, in der er übrigens auch frühe Arbeiten von Herta Müller untergebracht hat, er leitete eine studentische Theatergruppe, schrieb eigene literarische Texte und bewegte sich in Kreisen kritischer rumäniendeutscher Schriftsteller, insbesondere im Banat und in Temeswar. So blieb es nicht aus, dass er, übrigens nach mehrfachen erfolglosen Anwerbungsversuchen als informeller Mitarbeiter, seitens der Securitate wegen „staatsfeindlicher Tätigkeit“ beobachtet, bedroht, verhört, geschlagen und mehrere Tage lang festgenommen wurde, was zu dem erwähnten solidarischen Protestbrief führte. Wie im Falle anderer der Unterzeichner dieses große Irritation, Aufregung und Verunsicherung der Mächtigen verursachenden Schreibens folgten auch in seinem Falle weitere Repressionen, Veröffentlichungsverbot und Ende 1987 die dadurch gleichsam erzwungene Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland. 

Er ließ sich zunächst als freischaffender Schriftsteller und Dokumentarfilmer in West-Berlin nieder und engagierte sich in der Menschenrechtsbewegung. Bereits 1989 erfolgte mit anderen rumäniendeutschen Schriftstellern und bundesdeutschen Politikern die Gründung des Menschenrechtskomitees Rumänien im Rahmen der Heinrich-Böll-Stiftung, das er bis 1992 hauptamtlich koordinierte, wobei es ihm vornehmlich um Aufklärung und politische Bildung im Hinblick auf die Menschenrechtssituation in Rumänien und in den kommunistischen Diktaturen in Osteuropa und in der DDR ging. 1990 organisierte er übrigens die erste dreitägige Internationale Menschenrechtskonferenz in Rumänien, mit 500 Teilnehmern aus der ganzen Welt. 

Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in Rumänien gab Helmuth Frauendorfer zusammen mit Richard Wagner Mitte des Jahres 1990 unter dem Titel „Der Sturz des Tyrannen. Rumänien und das Ende der Diktatur“ in der Reihe rororo aktuell, Reinbek bei Hamburg, eines der ersten deutschsprachigen Bücher mit Berichten und Analysen zu diesen folgenreichen Geschehnissen heraus. Der Band enthält unter anderem einen von ihm zusammen mit Herta Müller und Richard Wagner verfassten aufschlussreichen Beitrag über den Einfluss und die Machenschaften der Securitate. Danach folgte unter dem Titel „Die Demokratie der Nomenklatura. Zur gegenwärtigen Lage in Rumänien“, Heinrich-Böll-Stiftung, Köln 1991, ein weiteres Buch von ihm über die damaligen, recht undurchschaubar wirkenden Entwicklungen in diesem Land. Bereits 1990 erschien zudem sein Gedichtband „Landschaft der Maulwürfe. Gedichte“, dipa Verlag, Frankfurt am Main. Vertreten ist er gleichfalls in den bekannten Veröffentlichungen zur rumäniendeutschen Literatur: „Das Wohnen ist kein Ort. Texte & Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat – und den Gegenden versuchter Ankunft“. „In memoriam Rolf Bossert. die horen“ Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik, 32. Jg., Hannover 1987, und „Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur“, herausgegeben von Wilhelm Solms, Hitzeroth Verlag, Marburg 1990.

In den folgenden Jahren veröffentlichte Frauendorfer literarische, essayistische und journalistische Arbeiten wie auch Rundfunkbeiträge und er wurde alsbald als Fernsehjournalist tätig. Vor allem seine Reportagen und Beiträge als fester freier Mitarbeiter der MDR-Redaktion Zeitgeschehen im Rahmen der Magazine „Fakt“, „exakt“, „Windrose“ wie auch „ARD-Kulturreport“, „ORB-Klartext“ u.a. fielen durch journalistische Professionalität, Sachkenntnis, gute Recherchen, eindringliche Analysen und kluge Kommentare auf. Nicht selten wurden darin Nachwirkungen der kommunistischen Vergangenheit, gesellschaftliche oder politische Missstände, Fragen des Totalitarismus, Repressionen in kommunistischen und anderen Diktaturen oder neue ideologische Gefahren behandelt. In ähnlichen thematischen Bahnen, allerdings schwerpunktmäßig noch stärker auf Erinnerungskultur und historisches Gedenken fokussiert, bewegte sich seit 2010 seine Arbeit als Referent für politische Bildung und stellvertretender Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Dass seine wissenschaftliche, journalistische und künstlerische Arbeit vor allem das Missfallen, den Ärger und die Feindseligkeit von parteipolitisch zu „Linken“ gewandelten und erneut zu Macht und Einfluss, vor allem im Berliner Senat und den Bezirksverwaltungen, gelangten „Postkommunisten“ provozierte, blieb daher nicht aus. Diese wussten dann auch bei passender Gelegenheit zurückzuschlagen und ihn wie auch den Direktor der Gedenkstätte, Hubertus Knabe, einen der gründlichsten und unnachsichtigsten Kenner auf dem Gebiet der kritischen Aufarbeitung des SED-Regimes und der Verbrechen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, beruflich in Abseits zu stellen. 

Frauendorfers wohl bekanntester und einflussreichster Film dürfte „An den Rand geschrieben. Rumäniendeutsche Schriftsteller im Fadenkreuz der Securitate“ sein, ein 90 Minuten langer, sehr wirkungsstarker Filmbeitrag, zu dem er Buch und Regie zusammen mit Herta Müller, Gerhardt Csejka, Johann Lippet, Horst Samson, William Totok, Richard Wagner und dem Sohn des verstorbenen Nikolaus Berwanger, Harald Berwanger, verfasste und der am 5. Oktober 2010 im Hacke-sche Höfe Kino, Berlin, Premiere hatte. Aus einer Reihe weiterer Filme oder Reportagen wären noch zu erwähnen: „Der Marsch der Kinder. Auf der Flucht aus Rumänien“, Erstsendung: 16. April 1992 in der ARD, „Tränen und Trümmer. Glaube und Hoffnung in Sarajevo“, Erstsendung ORB, 25. Februar 1996, „Der Anfang vom Ende. Reisegruppe 88 in der DDR“, ORB, März 1998 und „Zentrale des Terrors. Das Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen“, (zusammen mit Hubertus Knabe), Uraufführung Juni 2004 als Einführungsfilm für die Gedenkstätte Hohenschönhausen, Erstausstrahlung MDR 10. November 2004.

In dem von Albert Bohn und mir herausgegebenen Band „Deportationen. Literarische Blickwinkel“, Pop Verlag, Ludwigsburg 2021, findet sich die merkwürdige Geschichte einer banatschwäbischen Familie, die es viele Jahre nach der Deportation schafft, den in der Bărăgansteppe beerdigten Großvater in Banater Erde umzubestatten. Selbst die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland erschien Angehörigen dieser Familie weniger wichtig, als diese heilige Pflicht zu erfüllen, den in der Fremde verstorbenen Großvater in die Heimat zurück zu bringen. Es handelt sich hierbei um eine Erzählung von Helmuth Frauendorfer, genauer gesagt um ein vorab veröffentlichtes Kapitel aus dem Roman „Abendweg“, Pop Verlag, Ludwigsburg 2021. 

Seit 2020 lebt Helmuth Frauendorfer in Fürth bei Nürnberg und ist als Redakteur und Regisseur der Münchner Produktionsfirma Preview Production tätig. Im Jahr 2021 legte er im Pop Verlag, Ludwigsburg, den erwähnten, erschütternden Roman „Abendweg“ vor, der nicht nur nach Rumänien, zu den traurigen Ereignissen der Deportation einer banatschwäbischen Familie in die Bărăgansteppe und den bedrückenden Lebensverhältnissen im realsozialistischen Rumänien zurückführt, sondern uns auch mit den abgründigen Biographien von Stasi-Agenten und insbesondere eines langjährigen informellen Mitarbeiters der Stasi aus dem Westen vertraut macht. Erschienen ist kürzlich der Band „Photopoesie Phuerth. Gedichte“, Pop Verlag, Ludwigsburg, 2024, der in Gedichten und Photos vor allem Impressionen und Reflexionen der Coronazeit festhält. Wir treffen in diesem Buch erneut auf einen impulsiven, sensiblen, mitunter melancholischen und nicht zuletzt kritischen und unkonventionellen Künstler aus dem Banat, von dem noch einiges zu erwarten sein dürfte. Wir wünschen ihm dazu viel Erfolg.