ANA – ein kollaboratives, visuelles Inventar des Banats

Orte, Menschen, Verbindungen im Mittelpunkt des neuen Projekts

Der aus Detta stammende und vor knapp 30 Jahren nach Deutschland ausgewanderte Gottfried Binder möchte sich durch kulturelle Projekte erneut mit der alten Heimat vernetzen.

Die Ergebnisse des ANA-Projekts sollen mittels eines mobilen Industriecontainers mit stilisierter Hausfassade vorgestellt werden. Fotos: privat

Das ANA-Projekt: Ausgegangen vom Banat bleibt der Buchstabe B in der Vergangenheit, das T zeigt die Zukunft; in der Gegenwart bleibt allein der Kern ANA im Mittelpunkt. Das Projekt nimmt sich vor, ein kollaboratives visuelles Inventar des Banats zu erstellen.

Banat, kulturelles Erbe, Anthropologie, Denkmalschutz, Immigration, Grenzen, Stadtplanung, Fotografie, Typologie, Siedlung, Gebäude, Behausung, Verfall, Heimat, Europa, Kulturhauptstadt 2021 – das sind die Schlagworte des Projekts ANA, das unter anderem in der Kategorie „Orte, Menschen, Verbindungen“ beim Ideen-Open-Call „Searchlight“ vom Verein „Temeswar Kulturhauptstadt Europas 2021“ ausgewählt wurde. Der Projektvorschlag wurde vom rumäniendeutschen Künstler Gottfried Binder zur Umsetzung des Kulturprogramms TM2021 eingereicht. Schon im vergangenen Jahr hatte dieser ein kulturelles Projekt in seiner Heimatstadt Detta/Deta durchgeführt.

Das DÆTA-Projekt passte perfekt zum Motto „Sharing Heritage“ („Kulturerbe teilen“) des Europäischen Kulturerbejahres 2018. Im Fokus stand das Gemeinschaftliche und Verbindende der europäischen Kultur. Der Rumäniendeutsche ist vergangenes Jahr für mehrere Monate in seine Geburtsstadt zurückgekehrt, er hat hier gewohnt, hat seine entfernten Verwandten aufgesucht, Interviews geführt, Kooperationspartner gefunden, hunderte Fotografien geschossen und sogar ein kleines Wörterbuch der banatschwäbischen Mundarten aufgestellt. „DÆTA vernetzt generationsübergreifend verschiedene Kulturgruppen in der Region, ermöglicht intensiven Austausch über die Geschichte des Banats und seiner Menschen und setzt Impulse für die künstlerische Gestaltung des öffentlichen Raumes“, sagte damals Gottfried Binder der ADZ gegenüber. Das Ergebnis seiner Arbeit ist im E-Book mit dem Titel „Heute ist es nur ein Baum“, zusammengefasst worden. Der Band kann online unter daeta.caohom.com heruntergeladen werden.

Der Rumänienaufenthalt und der Kontakt mit zahlreichen interessanten Menschen haben in Gottfried Binder neue Ideen zur Kulturförderung des deutschen Banats entwickelt. „Gegenstand unserer Betrachtung ist das Banat, ein multiethnisches Grenzgebiet in Südost-europa, welches bedingt durch Geschichte, Politik und Migration die Einflüsse zahlreicher europäischer Kulturen in einzigartiger Weise widerspiegelt. Geprägt durch fortwährende Immigration, Kriege, geopolitische Grenzverschiebungen, sozialistische Planwirtschaft und neokapitalistische Konsumgesellschaft, steht das Banat emblematisch für eine sich im Wandel befindliche Welt“, heißt es in der Kurzbeschreibung des ANA-Projekts.

„Das Banat soll mit seiner charakteristischen Architektur und Landschaft fotografisch inventarisiert werden. Systematisch, objektiv, vergleichbar. Damit wird nicht nur das materielle Erbe der Region nachhaltig bewahrt, sondern zugleich Anstoß für eine Reflexion über die Bedeutung des Nebeneinanders von Alt/Neu und Tradition/Neuorientierung gegeben“, erzählt Gottfried Binder über sein neues Projekt. Im Anschluss an das ANA-Projekt soll in der Zeitspanne 2020 bis 2021 ein Buch mit monochromen Abbildungen, farbigen Videostandbildern, Begleittexten, Interviews und Aufzeichnungen der Podiumsdiskussionen, Bilder aus Privatarchiven, historischen Abbildungen und Landkarten veröffentlicht werden, sowie eine Ausstellung mit Fotografien, Videoinstallationen und ein digitales Archiv im Internet entstehen.

Hopsenitz/Ofsenița (Gemeinde Banlok/Banloc) ist diesmal Zentrum des Projekts. „Ich stamme gebürtig aus der Stadt Detta, meine Eltern und Großeltern größtenteils aus dem umliegenden Dorf Hopsenitz“, erzählt der 40-jährige Gottfried Binder. Vor zwei Jahren unternahm er eine ausgefallene Reise in seiner Heimat. Im Sommer 2017 legte Gottfried Binder, begleitet von seiner Hündin Kira, die Reise von Deutschland nach Rumänien zu Fuß zurück. „Nach meiner Reise 2017 blieb ich in Detta für eine längere Zeit, um die Stadt, das Land und deren Veränderungen nach fast 30 Jahren zu beobachten und alte und neue Kontakte zu knüpfen“, erzählt Gottfried Binder, der seine damalige Reise und die Kommunikation im Internet unter seinem Künstlernamen Erich Weisz durchführte.

Dadurch schaffte er eine persönliche Annäherung an seine Kindheit und an sein Heimatland, sagte der Rumäniendeutsche, der bis zur fünften Klasse zusammen mit seiner Familie in Detta lebte. Nach der Wende wanderten sie aus. „Für mich war das eine Nachahmung des Wanderns der schwäbischen Vorfahren ins Banat“, erzählt Binder. Das Erlebnis in seiner alten Heimat war Ausgangspunkt für zahlreiche Ideen und Projekte. „Das DÆTA-Projekt war auf mich fokussiert. Nun möchte ich durch ANA das Banat aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten“, sagt der Künstler.

Was bedeutet ANA?

„Der Titel des Projekts, ANA, ist eine Abkürzung der Bezeichnung ´Banat´ und zugleich ein leicht zugänglicher sowie nationenübergreifender Name einer Person. Lässt man den Anfangs- und Endbuchstaben von Banat weg, bleibt der Kern ›ANA‹ übrig. Das B bleibt in der Vergangenheit; das T zeigt die Zukunft. In der Gegenwart bleibt allein ›ANA‹ im Mittelpunkt. Der Titel steht stellvertretend für das Wegbrechen elementarer Teile einer kulturellen Identität, welche jedoch in ihrem Kern Stabilität und Wiedererkennbarkeit spiegelt“, sagt Gottfried Binder.

Zielgruppe des Projekts sind die allgemein an der vielfältigen Kultur des Banats interessierten Personen, die vor Ort ansässige Bevölkerung sowie Fachpublikum mit Schwerpunkt Stadtplanung, Architektur, Denkmalschutz und kultureller Anthropologie. Bestandteil dieses Projekts ist die Analyse omnipräsenter Auswirkungen von Globalisierung, Migration, Verlagerungen von Bedürfnissen und der Umgang mit kulturellem Erbe.

Die typischen Gebäudestrukturen inklusive ihrer Fassaden sowie die meist rechtwinklig konstruierten Gassen- und Straßenführungen gehören zum materiellen Kulturerbe der Region. „Aufgrund der Immigration der sogenannten Banater Schwaben im 18. Jahrhundert aus meist deutschsprachigen Gegenden, ergab sich die Notwendigkeit, ganze Ortsstrukturen planerisch und konzeptionell zu errichten. Das Resultat: Ortschaften mit überwiegend präzise gezogenen Wegen, mit rechtwinkligen Kreuzungen, keine organischen und über die Zeit hin gewachsenen Orte mit Zentrum, Alt- und Neustadt, sondern auf dem Reißbrett entworfen und als systematische Modelle übertragen. Als Lebensmittelpunkt und neue Heimat der immigrierten Landarbeiter und Handwerker spiegelten die Gebäude die funktionellen Notwendigkeiten des Alltags und der Arbeit wider: Sitzbank, Graben, Vorderhaus mit Fassade, Zufahrt/Zugang, Innenhof, Brunnen, Wintergarten/Flur, Hinterhaus, Außentoiletten, Speicher, Scheune, Werkstatt, Stall, Garten, Feld“, heißt es des Weiteren in der Beschreibung des ANA-Projekts. „Nach dem Massenexodus der deutschstämmigen Bevölkerung, Anfang der 90er Jahre, wurden diese teilweise von anderen Bewohnern übernommen und werden aufgrund bestimmter Merkmale den Neubauten bevorzugt und in ihrer Grundsubstanz wertgeschätzt“, setzt Gottfried Binder fort. „Um diese Veränderungen darzustellen, werden zwei Methoden benutzt: Schwarz-Weiß-Fotografie und Videoaufnahmen. Zusammen repräsentieren sie als Miniatur einen individuellen Standpunkt, während sie gleichzeitig als eine Metapher für umfassendere globale Dynamiken stehen“, sagt der rumäniendeutsche Künstler.

Die Dokumentation soll in etwa zehn bis 15 Banater Ortschaften, die immer noch deutsche Namen tragen – wie zum Beispiel: Liebling, Tschakova/Ciacova, Klein-Betscherek/Becicherecul Mic, Banlok/Banloc, Hopsenitz/Ofsenița, Wolfsberg/Gărâna, Hatzfeld/Jimbolia, Lenauheim, Gottlob – erfolgen. Workshops werden begleitend zur künstlerischen Vorgehensweise in den jeweiligen Gemeinden und in den deutschsprachigen Schulen in dieser Hinsicht organisiert werden. „Was wissen die Schüler über das Banat? Über die einst hier lebenden Banater Schwaben und ihre Dörfer?“ Ab dem neuen Schuljahr wird im Rahmen eines vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) geförderten Stipendiums als Kulturassistenz ein erster Workshop an der Temeswarer deutschen „Nikolaus Lenau“-Schule organisiert werden.

Zum Anlass der Ausrichtung Temeswar als Europäische Kulturhauptstadt Europas 2021 wird im Rahmen des kulturellen Programms das Ergebnis des ANA-Projekts in Form einer mobilen Ausstellung mit dazugehörige Buchpublikation und einer Podiumsdiskussion dem breiten Publikum vorgestellt.

Mittels eines Industriecontainers mit stilisierter Hausfassade stellt sich Binder vor, sein Projekt und dessen Ergebnisse zu präsentieren. Dieser Container soll an verschiedenen Orten in der Stadt, zuerst in Temeswar, dann auch in den jeweiligen dokumentierten Banater Ortschaften, platziert werden und als temporärer mobiler Ausstellungsraum benutzt werden. „Nächstes Jahr soll in Zusammenarbeit mit dem Kloster in Partoș und dem Bürgermeisteramt Banlok das Containerhaus neben der eingefallenen Kirche in Hopsenitz aufgestellt werden. Dort soll auch eine dreimonatige bezahlte Künstler- oder Schriftsteller-Niederlassung angeboten werden“, sagt Gottfried Binder.

Als Satellitenprogramm zum ANA-Projekt wird auch ein sechsmonatiges Stipendium als Kulturassistenz seitens des ifa in Zusammenarbeit mit dem Verein „Freunde der Lenauschule Temeswar e.V.“ angeboten. Der Stipendiat wird als Scharnier zwischen den schulischen Aktivitäten der Lenau-Schule und deren Partnern und dem Kulturprogramm von ANA fungieren. Bewerbungsschluss dafür ist der 8. Juli. Details dazu, aber auch zum gesamten Projekt, sind von der Webseite ana.caohom.com abrufbar.