Aufarbeitung kommunistischer Vergangenheit? Schwierig. Greu

Ostdeutschlands und Rumäniens Geschichtsschreibungen haben zu wenig gemeinsam

„Auch Schopenhauer zum Beispiel kann nicht in das Rumänische übersetzt werden“, befindet Beatrice Ungar, Chefredakteurin der „Hermannstädter Zeitung“ und in beiden Sprachen mit derselben Klarheit zuhause. Ein früherer Generalkonsul Deutschlands habe sie gefragt, wie man sich eigentlich den Kommunismus vorstellen könne. Und „ich habe gesagt, wie ein Gefängnis. Wir wollten alle raus, wussten aber nicht, was uns erwartet.“ | Foto: Klaus Philippi

„Aber lasst ihn doch zu Margot! Das ist schon Strafe genug“, soll ein Berliner 1993 gestänkert haben, als Erich Honecker 80 Jahre alt und schwerkrank die Erlaubnis zur Abreise in das Exil nach Chile und zu seiner dort auf ihn wartenden Ehefrau erhielt. Ob der Witz zum ersten Mal von einem Ost- oder Westberliner ausgesprochen wurde? Eine Frage, die sich im Vergleichsland Rumänien erübrigt. Grenzbauten wie die Berliner Mauer hat es im politisch vergifteten Bukarest und seinen Provinzen beiderseits der Karpaten weder zu kommunistischer noch anderer Zeit gegeben. Aber eine Pointe, die bis heute nicht vergessen werden kann: Weshalb sie nicht fertig gebaut wurde, die „Casa Poporului“, das von Diktator Nicolae Ceaușescu georderte „Haus des Volkes“, und noch immer Rumäniens Parlamentsgebäude, dem Fall des Eisernen Vorhangs vor nun 35 Jahren zum Trotz? „Weil er im Fundament nicht auch seine Elena verbaut hat!“

Die DDR mit Ausgang zur Ostsee und ihr Pendant am Schwarzen Meer, die Sozialistische Republik Rumänien (SRR), hatten Etliches gemein. Beide auf der unfreien Seite des Eisernen Vorhangs, beide kommunistisch, beide Mitglieder des Warschauer Pakts und beide zu Rechenschaftspflicht gegenüber Russland verdonnert. Auf dem Papier politischer Landkarten gab es null Unterschiede zueinander. Dr. Peer Gebauer jedoch, Botschafter Deutschlands in Bukarest, schnitt bei der Präsentation der Wanderausstellung „Aufarbeitung. Die DDR in der Erinnerungskultur“ Mitte Juni im Rathaus von Hermannstadt/Sibiu über Video-Zuschaltung auch und gerade das Fragen nach der „Freiheit der Erinnerung“ an. Zum gleichen Thema und in einem prominenten Nachbargebäude am Großen Ring/Piața Mare, dem Blauen Stadthaus/Casa Albastră, hatte sich wenige Tage vor Weihnachten 2019 auch der orthodoxe und einen Monat darauf als Direktor des Instituts für die Erforschung der Kommunistischen Verbrechen und der Erinnerung an das Exil Rumäniens (IICCMER) entlassene Kleriker Radu Preda geäußert: „Wir treten in das letzte Jahrzehnt ein, in dem wir dem Kommunismus die Schuld zuweisen können.“ Und sie schwang mit, die Frage nach dem „Wie“. Da es noch nicht ausreicht, die „Freiheit der Erinnerung“ einfach nur zu haben. Unreflektiert verkümmert sie zu dünnem Schutz vor ihrem Gegenteil. „Aufarbeitung“ heißt das Schlagwort. Die Übersetzung ins Rumänische?

Es gibt keine. Keine jedenfalls, die sich auf die 20 bundesdeutschen Schautafeln der Wanderausstellung „Aufarbeitung. RDG în cultura memoriei“ in rumänischer Sprache verirrt haben könnte. Lässt man die zwölf Buchstaben lange „Aufarbeitung“ außen vor, übertragen die Texte der fotografischen, grafischen und zeichnerischen Doku den Stoff makellos aus der Sprache der Autoren Stefan Wolle und Dr. Ulrich Mählert in die andere, die bis Ende 2024 noch an sieben weiteren Orten quer durch fast ganz Rumänien gebraucht werden wird. „Trecutul recent în labirintul memoriei. Despre comunism în România“ (nahe Vergangenheit im Labyrinth der Erinnerung. Über den Kommunismus in Rumänien) nennen Dalia Báthory und Bogdan Preda als Kuratoren die Serie von zehn Schautafeln des quantitativ zu einem Drittel an der Wanderausstellung beteiligten IICCMER. Dass die Gewichtung der rumänischen Zuarbeit keinen Deut höher ausgefallen ist, rührt ja auch nicht von ungefähr: die „Gauck“-Behörde zwecks Einsehen der Stasi-Unterlagen wurde 1992 für jedermann geöffnet, wogegen der Nationale Rat für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS) die allgemeine Forschungs-Freigabe erst 2007 unter dem Druck des EU-Beitritts erteilte. 15 Jahre Verspätung auf rumänischer Seite, die viel schwerer wiegen als der 1994 erfolgte Abzug letzter russischer Truppen aus Ostdeutschland. Die vergleichende Information, dass Rumänien seine eigenen sowjetisch bewaffneten Aufpasser bereits 1958 losgeworden war, schwächt die arge Linientreue nachträglich kein bisschen ab.

Ungleichheit im Stürzen und der Rechtsprechung

Wutbürger aber, die von ständig steigenden Lebenshaltungskosten oder pandemischen Regierungs-Verordnungen das Maß gestrichen voll haben, gab es schon damals, nur eben auf ganz anderes Rufen bedacht. Hier wie dort strömten sie auf die Straße, brachten in der DDR und der SRR das kommunistisch überlaufene Fass zu Sturz – mit der stolzen Anmerkung, dass im unfreien Teil Deutschlands das mögliche Feuer auf sie nicht eröffnet wurde. Und Rumäniens Wutbürger von heute, wo sie schon 35 Jahre zurückliegt, die einzig blutige Aufhebung eines kommunistischen Regimes in Europa? Für ihre kurzfristig zündenden Anti-Dragnea-Massendemonstrationen 2017 sind Rumäniens Wutbürger ein Jahr darauf mit Tränengas, mit Pfefferspray und mit ungerechtfertigt brutaler Militärgewalt durch Gendarmen bestraft worden. „Die Drahtzieher von damals bleiben wieder ungeschoren, / Die Bonzen und die Spitzel, die packt heut doch keiner mehr.“, singt Liedermacher Reinhard Mey auf seiner neuen CD „Nach Haus“. Zwar hat Dragnea den Knast als Insasse kennengelernt, doch der Fakt, dass Rumänien Weihnachten 1989 alternativlose Selbstjustiz vorgegaukelt wurde, schwelt chronisch genauso krank vor sich hin wie das, was man eigentlich gerne als verlässlich gesunde Rechtsprechung im eigenen Land verfügbar hätte. Aufarbeitung? „Greu lucrul cu bușteanul“, hält bekanntlich ein rumänisches Sprichwort fest. Schwer, das Bearbeiten knotiger Baumstümpfe.

Es hat den Nürnberger Prozess gegeben und Deutschland hat sein Nazi-Regime abgebüßt. Einen Prozess auf globale Verurteilung des Kommunismus dafür hat die Welt so noch nicht erlebt. Nirgendwo. Er wird höchstwahrscheinlich auch nicht mehr nachgeholt werden. Rückblenden wie die Wanderausstellung „Aufarbeitung. Die DDR in der Erinnerungskultur“ der 1998 formierten Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der löbliche Versuch des noch jüngeren IICCMER, es ihr gleichzutun, haben zwar einen zentralen Auftrag, können jedoch das Ausbleiben weltweiter Statuierung des Kommunismus als Verlustgeschäft durch ein Sondertribunal kaum wettmachen.

Irrer Glanz und Preis einer Vitrine

1991 setzte der „Spiegel“ noch „Die Last deutscher Vergangenheit“ und gelb in ganz großen Lettern das Motto „Recht oder Rache“ auf die Titelseite seiner Ausgabe Nr. 52 – ein Zeitschriftencover, das die aktuell durch Rumänien fahrende Wanderausstellung zum Thema Kommunismus natürlich mit in Erinnerung ruft, und worauf die antike Statue einer Frau mit verbundenen Augen am Zeigefinger der linken Hand den Prototyp einer einfachen Waage hängen hat, in deren zwei Schalen Hammer und Zirkel merklich schwerer ins Gewicht fallen als das Hakenkreuz. Ein „Spiegel“ eben, der damals in Ostdeutschland zwei Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Leser-Frust befeuert haben dürfte. Und das Vorzeigeexemplar einer Zeitschrift, mit der im Reisegepäck Mediziner Dr. Paul-Jürgen Porr, der Vorsitzende des 1990 gegründeten Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), als durch die DDR tourender Gast aus einem sozialistischen Bruderland leichtes Spiel hatte, ordentlich Eindruck zu schinden.

Das „Schaufenster des Sozialismus“ litt, wie der DFDR-Obmann am 12. Juni in Hermannstadt aus persönlicher Erfahrung erzählte, nicht unter Warenmangel. „Aber in der DDR waren die Leute viel stärker als in Rumänien indoktriniert worden.“ Ihre Krankenhäuser jedoch hätten „Infusionssysteme aus dem Westen“ genutzt, während „bei uns Medikamentenmangel herrschte, einschließlich und sogar der Mangel an rumänischen“. Und die Erinnerung von Dr. Porr an die Etappe des Zusammenlegens der ostdeutschen und der westdeutschen Volkswirtschaften? „Die BRD-Produkte waren nicht immer besser als die der DDR.“

Von der guten zur schlechten Wut

Nostalgie im Aufmerksamkeits-Schatten der Öffentlichkeit ist der Köder politisch extremer Parteien. Wo der Begriff „Wutbürger“ in Bezug auf den Osten vom Eisernen Vorhang etwas sehr Achtbares hat, ist er 35 Jahre danach zum Faktor von Scharfmacher-Parteien mutiert. Die Wanderausstellungs-Präsentation im Hermannstädter Rathaus-Foyer am 12. Juni bei geschlossener Einladung stand im Gegensatz zur Europawahl am Wochenende davor: die AUR und die AfD fuhren je solide 15 Prozent ein. Über so einen Zählerstand redet man nicht gerne, klar. Die Annahme aber, die Wähler beider Hass-Parteien wären quer durch die Bank Rechtsextreme, verkürzt das Problem. Denn Parteien dieses Schlags sprechen Frustrierte an, deren rüder Auffassung nach vereinbar ist, was nach nüchternem Wählerverstand eigentlich nicht vereinbar sein darf: rechts- UND linksextreme Motivationen. Die dort greifen, wo Aufarbeitung in der gesellschaftlichen Breite scheitert. Oder nicht zur rechten Zeit wieder aufgefrischt worden ist.

„Die Kommunisten haben niemals ehrlich der Sparte von Patrioten angehört, weil sie die Indikationen der Komintern respektierten, ihr eigenes Land zu verraten. Es waren proletarische Internationalisten. Erst später, und nur nachdem ihnen das Töten und Vernichten der Opposition, der individuell und kollektiv patriotisch eingestellten Akteure, geglückt war, sollten sie auf der verzweifelten Suche nach Legitimität den sowjetischen und proletarischen Internationalismus aufgeben und auf einen nachahmenden Nationalismus setzen, der Nuancen der Legionärs-Bewegung und gar nationalsozialistische Züge barg, womit sie bestimmte Bürger zu täuschen vermochten“, erfasst Historiker Dan Pavel im Buch „Iuliu Maniu în jurnalul lui Corneliu Coposu. O reinterpretare a istoriei“, das 2023 der Verlag der NGO „Academia Civică“ auf den Markt gebracht hat. Genau die Stiftung, deren Vorsitz Gründerin Ana Blandiana noch heute hält, und ohne die es die seit März 2018 auch zum Europäischen Kulturerbe zählende Gefängnis-Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und für die Widerstandsbewegung von Sighetu Marmației, das „Memorial“, nicht gäbe. Staatlich hat Rumänien nichts dazu beigetragen.

Am Punkt, wo die Lehren abgeschlossen geglaubter Aufarbeitung zur Sicherheit erneut bekräftigt werden sollten, steht Deutschland. Es wäre eine Überraschung, sollte auch Rumänien ihn eines Tages erreichen.