Aus gelb mach rot

Die Lokalwahlen im Kreis Hermannstadt im nationalen Gefüge

Wer die meisten Lokalräte in den Landeskreisen stellt

Gewinner Wahl Lokalräte im Kreis Hermannstadt

Das DFDH konnte in Hermannstadt erneut die Wahlen im Stadtrat für sich entscheiden und die Plätze im Kreisrat behalten. Foto: Roger Pârvu

In der zeitgenössischen Pädagogik wird im Rahmen von Spielen der Akzent öfters darauf gesetzt, dass innerhalb eines Spiels keines der Kinder sich als Verlierer wahrnimmt, auch wenn das Spiel vom Konzept und Sinn her einen Sieger und einen Verlierer verlangt. Wie in einem Spiel ohne Verlierer muss sich jeder rumänische Wähler und jede rumänische Wählerin am Sonntagabend nach der Bekanntgabe der Hochrechnungen für die Lokalwahlen und für die Wahlen für das Europäische Parlament gefühlt haben, denn in dem von den Wahlen dargestellten Spiel der demokratischen Mitwirkung gab es auf den ersten Blick in Rumänien keine Verlierer. Auf allen zur Verfügung stehenden Media-Kanälen kündigten alle Parteien ihren Sieg an. Jene, die schwiegen, waren auch vorher eher mundtot und niemand hatte von ihnen wirklich etwas erwartet. 

Siegende Verlierer und verlierende Sieger

Und trotzdem leben wir auch in Rumänien nicht in einer utopischen Welt, in der nach einem Urnengang alle gewinnen könnten. Nachdem sich der Dunst der ersten Euphorie lichtete, sah man durch die Nebelschwaden doch ziemlich klar, wer auf dem Siegertreppchen stand und wer mit dem Schwanz zwischen den Beinen beschämt das Feld räumen musste. Da zwei parallel verlaufende Wahlen stattgefunden haben, muss man diese leicht differenziert betrachten. Die Bilder sind fast identisch, doch wie in einem Spiel, in dem man die Unterschiede finden muss, unterscheiden sie sich in so manchen entscheidenden Punkten. Die Wahlbeteiligung bei den Europa-Wahlen liegt mit 52,42 Prozent, was 9.445.771 von den 18.016.674 auf den Wählerlisten eingetragenen Personen entspricht, im europäischen Trend, ist diese für Rumänien aber doch sehr hoch im Vergleich zu anderen Jahren, was weniger dem Interesse der Wählerschaft an der aktuellen EU-Problematik, sondern eher der Zusammenlegung mit den Lokalwahlen zuzuschreiben ist. Bei den Wahlen für das EU-Parlament gibt es in Rumänien einen klaren Sieger: die Regierungsallianz, gebildet aus den Sozialdemokraten (PSD) und den Nationalliberalen (PNL), hat mit etwas mehr 48 Prozent (siehe Fußnote) einen haushohen Sieg eingefahren. Demzufolge wird die Allianz 19 Abgeordnete nach Brüssel entsenden. Da die beiden Parteien zu zwei unterschiedlichen europäischen politischen Familien gehören, werden diese wie folgt aufgeteilt: 11 werden als Vertreter der PSD zur Progressiven Allianz der Sozialdemokraten gehören und die restlichen 8 PNL-Vertreter werden zur Europäischen Volkspartei gehören. Wie von vielen erwartet, nahmen die National-Populisten der AUR (Allianz zur Union der Rumänen) mit 14,95 Prozent Platz zwei der Ranglisten ein, also werden diese sechs Abgeordnete stellen, wobei zurzeit unklar ist, in welche europäische Fraktion sich diese eingliedern werden, wenn überhaupt. Die großen Verlierer waren die drei Parteien, die um die USR (Union Rettet Rumänien) die Allianz ADU (Allianz der Vereinigten Rechten) gebildet haben. Mit ihren nur 8,61 Prozent werden sie drei Abgeordnete in die Renew-Europe-Fraktion entsenden. Die Überraschungen kamen von der aus der AUR abgespaltenen SOS-Rumänien-Partei um die lautstarke Diana Șoșoacă, die Dank der Stimmen aus der rumänischen Diaspora die 5-Prozent Hürde erreicht hat und zwei Abgeordnete stellen wird, und seitens des unabhängigen Kandidaten Nicu Ștefănuță (Mitglied der Grünen Fraktion im EU-Parlament), der die notwendigen 3 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten hat. 

Während auf der Ebene der Wahlen für das europäische Parlament die Tatsachen und Zahlen für sich sprechen, ist das Bild bei den Lokalwahlen differenzierter zu betrachten. Wenn nach den Wahlen von 2020 das allgemeine politische Erscheinungsbild einen gewissen Ausgleich zwischen Rot (PSD) und Gelb (PNL) aufwies, hat sich der größte Teil der Landkarte Rumäniens am 9. Juli 2024 rot gefärbt. Hier darf nicht vergessen werden, dass die beiden Parteien bei den Lokalwahlen, mit wenigen Ausnahmen, nicht als Allianz angetreten sind. Nicht weniger als sechs Kreisratsleitungen, die Zahl der verlorenen Bürgermeisterämter wurde noch nicht berechnet, hat die PNL an die „Verbündeten“ von der PSD, die mit 38,55 Prozent die klaren Tagessieger sind, eingebüßt. Der von den Sozialdemokraten erreichte Prozentsatz entspricht 53 Prozent aller Bürgermeisterstellen im Land. Die PNL gehört hier in die eingangs erwähnte Kategorie der siegenden Verlierer. Obwohl traditionell gelb-wählende Ortschaften und Kreise verloren wurden, hat man, im Vergleich zu den letzten Wahlen, in der sogenannten politischen Wahl, den eigenen Prozentsatz auf 30,19 Prozent landesweite Zustimmung verdoppelt. Diese beiden Prozentsätze werden in den Verhandlungen um den Präsidentschaftskandidaten und um ein gemeinsames Antreten zu den Parlamentswahlen im Herbst entscheidend sein. In die gleiche Sparte der verlierenden Sieger  gehört die Allianz ADU. Zwar konnten wichtige Siege verbucht werden, der von der Allianz unterstützte unabhängige Kandidat Nicușor Dan in Bukarest hat im Rennen für das Allgemeine Bürgermeisteramt einen haushohen Sieg einfahren, was auch den eigenen Kandidaten in Temeswar (Dominic Fritz), in Câmpulung Muscel (Elena Lasconi) sowie in ein paar anderen Städten gelang, jedoch zeigten die erreichten landesweiten 2,27 Prozent eine katastrophale Niederlage, was auch zur umgehenden Kündigung des Parteivorsitzenden führte. Aufs Siegertreppchen gehört hier auch AUR. Zwar konnten die Populisten keinen einzigen Kreis für sich entscheiden, doch haben sie Einzug auf den unterschiedlichsten Ebenen in die Lokalverwaltung gehalten. 

Hermannstadt:im Trend und doch ein wenig anders

In diesem gesamten Gebilde bringt der Kreis Hermannstadt/Sibiu, durch die vom Demokratischen Forum der Deutschen in Hermannstadt (DFDH) erzielten Ergebnisse und mancher unerwarteter Siege der ADU, eine Besonderheit mit sich und schließt sich trotzdem dem allgemeinen nationalen Trend an. Auf Kreisratsebene wurde die amtierende Kreisratsvorsitzende Daniela Cîmpean (PNL) mit 34,86 Prozent der Stimmen für ein weiteres Mandat im Amt bestätigt. Im Kreisrat hat aber ihre Partei nicht weniger als acht Kreisräte einbüßen müssen. Die verlorenen Plätze gingen an die PSD und an AUR, die zum ersten Mal Vertreter im Kreisrat stellt. Bemerkenswert bleibt, dass das Demokratische Forum der Deutschen in Hermannstadt die aus dem vorigen Mandat vorhandenen fünf Plätze behalten konnte, obwohl dieses auf Kreisebene nicht unbedingt zu erwarten war. Die aus dem vorigen Mandat an die absolute Mehrheit im Kreisrat gewöhnten Liberalen, beispielhaft dafür ist die Aussage von Frau Cîmpean gegenüber den USR-Vertretern: „Eure Stimme zählt sowieso nicht“, werden nun einen Weg zur Mitarbeit mit den Kreisratsmitgliedern des Forums und der ADU-Allianz finden müssen, wollen sie eine Allianz mit den PSD-Vertretern vermeiden, mit denen man sich bis jetzt, und das nicht nur im Wahlkampf, auf Kriegsfuß befand. Triumphierend erklärte nach den Wahlen Daniela Cîmpean, dass die Liberalen die meisten Bürgermeister im Kreis stellen, womit sie auch Recht hat. Doch wurde dabei auf natürlich-politisch-kommunikationstechnische Weise im öffentlichen Auftreten ignoriert, dass im Vergleich zu den letzten Lokalwahlen 11 Bürgermeisterämter verloren wurden. Diesbezüglich fand die überraschendste Niederlage in Heltau/Cisnădie statt, wo der alteingesessene PNL-Bürgermeister Gheorghe Huja von Mircea Orlățan (ADU) im Wahlkampf besiegt wurde. 

So manche Überraschung war auch auf Stadtebene in Hermannstadt/Sibiu zu verbuchen. Astrid Fodor (DFDH) wurde, wie erwartet und wie von den meisten Umfragen prognostiziert, von der Mehrheit der Hermannstädter mit 39,74 der Stimmen für ein weiteres Mandat beauftragt, die Geschicke der Stadt zu leiten. Überraschend war die Zweitplatzierung des Parteiunabhängigen Alexandru Găvozdea mit 19,40 Prozent der Stimmen. Eine bittere Niederlage erlitt Adrian Bibu (PNL) mit 11,40 Prozent, der insgesamt sechs Prozent weniger Stimmen als die von ihm vertretene Partei erhielt. Mit 29,67 Prozent der Stimmen konnte das Demokratische Forum der Deutschen in Hermannstadt die Wahlen für sich entscheiden. Die Liberalen haben auch hier Plätze verloren, die an die PSD, an ADU und an AUR (zum ersten Mal im Stadtrat vertreten) gingen. So wird die Zusammensetzung des Stadtrats (wahrscheinlich) wie folgt aussehen: DFDH acht Stadträte, PNL, PSD und ADU jeweils vier Stadträte und AUR drei Stadträte. 

In dieser Zusammenstellung stehen Astrid Fodor und das DFDH vor der Herausforderung der Mehrheitsbildung im Stadtrat. Natürlich kann man für jedes einzelne Projekt des Bürgermeisteramts separat verhandeln, ohne dadurch eine langfristige Allianz eingehen zu müssen. Ein Modus Operandi, welcher auch in den letzten vier Jahren funktioniert hat, auch wenn dieses nicht unbedingt der einfachere Weg ist. Viel wichtiger, meiner Ansicht nach, ist die Sicherung eines der beiden Ämter des stellvertretenden Bürgermeisters. Indem das Forum dieses gewährleisten kann, bietet sich die Chance, über die nächsten vier Jahre, eine mögliche Nachfolge für Astrid Fodor, die laut eigener Aussage 2028 nicht mehr antreten wird, auszubilden und aufzubauen. Dieser Aufgabe sollte nicht wenig Aufmerksamkeit geschenkt werden, will man in vier Jahren auf lokaler Ebene nicht an Relevanz verlieren. Dazu könnte auch ein medienwirksameres gemeinsames Auftreten von Stadtverwaltung und Forum beitragen, ohne das Konzept des Wir-sind-für-alle-da, welches in den letzten Jahren seine Wirksamkeit gezeigt hat, zu gefährden.    

Da bis zur Zeit des Verfassens dieses Beitrags in Rumänien noch nicht alle Stimmen ausgezählt wurden und das Zentrale Rumänische Wahlbüro (BEC) nur eine einzige Pressemitteilung mit Zwischenständen entsendet hat, beruhen die in diesem Beitrag angeführten Prozente auf diesen Zwischenständen sowie auf Hochrechnungen und können sich punktuell in den nächsten Tagen ändern, ohne aber die allgemeine Tendenz zu beeinflussen.