Die evangelische Kirche hat es schwer, junge Menschen zu erreichen. „Die Jugend ist nicht mehr an der Kirche interessiert“, sagt Vikar Mihai Udrea nüchtern. Doch anstatt sich mit dieser Entwicklung abzufinden, setzt er auf einen neuen Ansatz.
Seit September 2023 leitet Udrea die Konfirmanden- und Jugendarbeit in Bukarest. Als er sein Vikariat antrat, nahmen gerade einmal sechs bis acht Jugendliche an den regelmäßigen Jugendstunden teil. Doch mittlerweile wächst die Gruppe. Der Schlüssel dazu? Ein modernes Verständnis von Gemeindepädagogik und eine Abkehr von traditionellen Lehrmethoden.
Zwischen Theologie und Erlebnis
„Früher war der Konfirmandenunterricht sehr frontal: Man lernte das Glaubensbekenntnis auswendig, besuchte alle Gottesdienste, musste Bibelstellen parat haben“, erklärt Udrea. Doch für heutige Jugendliche sei das nicht mehr zugänglich. „Es geht nicht mehr nur um die Vermittlung von Glaubensinhalten, sondern um Erfahrung und Begegnung.“
Deshalb kombiniert er Glaubenslehre mit Erlebnissen: „Ich habe mehr Freiraum geschaffen, mehr Spaß, mehr Gruppenspiele und dann stufenweise die Inhalte eingebaut.“ Diese Methode orientiert sich an aktuellen Erkenntnissen der Gemeinde- und Religionspädagogik, etwa von der deutschen Theologin Uta Pohl-Patalong, die betont, wie wichtig es sei, Jugendlichen zuzuhören und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Ein wichtiger Partner in dieser Arbeit ist das Jugendwerk – eine Stiftung der evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses in Rumänien (EKR), die sich speziell auf Jugendarbeit und Konfirmandenarbeit konzentriert. „Das Jugendwerk reist mit einer Karawane von einer Gemeinde zur nächsten, organisiert Programme und zeigt, was gute Jugendarbeit bewirken kann“, erklärt Udrea. Dieses Konzept soll Gemeinden helfen, eigene Jugendgruppen zu stärken, anstatt nur zu überregionalen Veranstaltungen einzuladen.
Höhepunkt: Der Jugendtag in Bukarest.
Highlight: Halt der Jugendkarawane in Bukarest
Am 12. April machte die Karawane des Jugendwerks Station in Bukarest. Jugendliche aus verschiedenen Städten, darunter Hermannstadt/Sibiu, Kronstadt/Brașov und Mediasch, kamen zusammen, um gemeinsam einen Tag voller Begegnungen, Musik und Glauben zu erleben. Auf dem Programm standen Kennenlern- und Gruppenspiele, kreative Workshops, ein Quiz rund um zentrale Glaubensinhalte und ein gemeinsamer Jugendgottesdienst mit Elementen der performativen Religionspädagogik.
Eine Besonderheit der Veranstaltung: Die Jugendgruppe aus Bukarest war nicht nur als Teilnehmerin dabei, sondern gestaltete selbst Teile des Programms und des Gottesdienstes mit. „Das stärkt nicht nur das Verantwortungsgefühl, sondern macht auch richtig Spaß“, sagte Vikar Mihai Udrea im Vorfeld.
Für die musikalische Begleitung war die Band des Jugendwerks zuständig, die mit Liedern auf Deutsch, Rumänisch und Englisch für Stimmung sorgte – darunter moderne geistliche Songs wie „Way Maker“ oder „Laudato Si“. „Nicht nur klassische Kirchenlieder, sondern auch Musik, mit der sich die Jugendlichen wirklich identifizieren können“, so Udrea.
Die Atmosphäre war offen und lebendig, und der Einfluss der Jugendlichen auf das Programm war deutlich spürbar. Thematisch drehte sich vieles um Fragen der Selbstwahrnehmung und Außendarstellung in sozialen Medien: Wer bin ich, wenn ich mich nicht verstelle, nur um anderen zu gefallen? Diese Auseinandersetzung wurde auch humorvoll aufgegriffen – etwa in einem Spiel, bei dem eine Reihe von Challenges zu bewältigen war, um fiktive „Influencer“ vor der Bedeutungslosigkeit zu retten. Für viele war es eine Gelegenheit, Gleichaltrige aus anderen Gemeinden kennenzulernen und den Glauben in einem neuen, gemeinschaftlichen Rahmen zu erleben.
Vom Atheismus zur Theologie
Udrea spricht nicht nur aus der Theorie, er kennt die Fragen und Zweifel junger Menschen aus eigener Erfahrung. „Ich war selbst einmal Atheist“, erzählt er. „Ich habe Philosophie in Augsburg studiert und dachte am Ende: Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Erst über die Theologie habe er seinen Weg zum Glauben gefunden.
Seine eigene Suche spiegelt sich in seinem Ansatz wider: Er will nicht dogmatisch belehren, sondern Orientierung geben. „Augustinus sagte: ‚Glaube, um zu verstehen, und verstehe, um zu glauben.‘ Ich wollte, dass die Jugendlichen zuerst spüren, dass Glaube wichtig ist, dass er helfen kann.“
Dafür nimmt er sich Zeit für persönliche Gespräche. „Man muss zuhören, sonst erreicht man sie nicht“, sagt er. „Viele Jugendliche kamen nach einer Jugendstunde zu mir und fragten: ‚Herr Vikar, können wir mal unter vier Augen reden?‘ So entwickelt sich eine Verbindung.“
Diese Nähe zeigt sich auch in dem Spitznamen, den die Jugendlichen ihm gegeben haben: „Babypfarrer“. „Ich bin noch kein ordinierter Pfarrer, sondern im Vikariat, also gewissermaßen im Dienst und in der Ausbildung“, sagt Udrea schmunzelnd - Das Vikariat ist eine praktische Ausbildungsphase, die angehende Pfarrer durchlaufen, bevor sie ordiniert werden.
Jugend zwischen Leistungsdruck und Gemeinschaft
Viele Jugendliche in Bukarest haben volle Stundenpläne: „Nach der Schule haben sie Ballett, Nachhilfe, Extrakurse – sie haben kaum Freizeit“, beschreibt Udrea die Situation. Die Jugendgruppe bietet ihnen nicht nur einen Raum für Glaubensfragen, sondern auch eine Gelegenheit, Freundschaften zu knüpfen. Besonders bei den gemeinsamen Ausflügen, etwa nach Kronstadt, Mediasch, Sächsich-Regen oder Konstanza, entstehen enge Verbindungen.
„Viele unserer Jugendlichen kamen vorher kaum aus Bukarest heraus“, erzählt Udrea. „Wir haben sie in ländliche Gemeinden gebracht, wo sie sich mit anderen evangelischen Jugendlichen austauschen konnten. Diese Gemeinschaftserlebnisse sind für sie unglaublich wertvoll.“ Im Juni plant Udrea erneut einen Ausflug nach Konstanza, bevor die Sommerpause beginnt.
Ein neues Kapitel für die Gemeinde?
Udreas Engagement in enger Zusammenarbeit mit dem Stadtpfarrer und dem Arbeitsteam der Kirchengemeinde zeigt Wirkung: Die Jugendgruppe wächst. Doch bleibt die Frage, wie nachhaltig diese Entwicklung ist. Sein Vikariat endet im September, ob er danach in Bukarest bleibt, entscheidet der Bischof durch die Ernennung in eine Pfarrstelle, im Einvernehmen mit der Gemeinde.
Die evangelische Kirche in Rumänien sucht seit zehn Jahren einen zweiten Pfarrer für Bukarest. Ob Udrea diese Rolle übernehmen wird, ist noch offen.