„Bilder aus der Vergangenheit. Der Holocaust im Banat“

Juden mussten Zwangsverschleppung und -arbeit erdulden

Am Sitz der Jüdischen Gemeinde in Temeswar kamen die am Projekt „Bilder aus der Vergangenheit. Der Holocaust im Banat“ Beteiligten zusammen, um sich über die Ergebnisse des Unterfangens auszutauschen.

Raus aus dem Klassenzimmer: Die Comics-Expo am Domplatz kann als gutes Bildungsinstrument im Geschichtsunterricht eingesetzt werden. | Fotos: Raluca Nelepcu

Anhand von Comics wird den Interessierten die wohl traurigste Episode aus dem Leben der Juden im Banat und in Rumänien nähergebracht.

„Es ist 5.30 Uhr und ihr seid nicht zum Appell bereit?“, schreit Oberst Vîtcu die auf Holzpritschen schlafenden jungen Männer an. Sie sind allesamt dünn, sichtbar unterernährt. Die Verzweiflung steht ihnen regelrecht ins Gesicht geschrieben. Es ist Winter und die Männer müssen eisige Kälte und Schnee erdulden, während sie sich bemühen, einen Graben zu schaufeln. Es ist unmöglich, den tief gefrorenen Boden mit der Schaufel zu lockern, geschweige denn etwas graben. Die schuftenden Männer tragen dünne Jacken und Hosen, während die Militärs mit schussbereiten Gewehren die Arbeit überwachen. Da die Arbeit kaum vorangeht, beschließt der grausame Oberst Vîtcu, die Männer zu bestrafen. Sie müssen ins Stadtzentrum marschieren und werden – bei nacktem Oberkörper – in aller Öffentlichkeit geschlagen und gepeitscht. 

Kaum zu fassen, doch die geschilderten Szenen haben sich einst tatsächlich so zugetragen, und zwar im Januar 1943. Die ausgebeuteten Männer waren Juden, die zum Arbeitstrupp 102 Evrei (Detașamentul de muncă 102 Evrei) im Banat gehörten und die auf verschiedenen Baustellen in Rumänien einige Jahre lang, fern von ihren Familien, harte Zwangsarbeit verrichten mussten. Seit dem Jahr 1942 war der Arbeitstrupp im Kreis Arad beschäftigt, wo die Juden bei der Ausgrabung des Kreisch-Marosch-Kanals in der Nähe der Ortschaften Pankota/Pâncota, Paulisch/Păuliș, Hellburg/Șiria und Gjorok/Ghioroc zum Einsatz kamen. Dort war Oberst Vîtcu, der sich durch eine außergewöhnliche Boshaftigkeit auszeichnete, für die Aufsicht der zur Zwangsarbeit verschleppten Juden aus dem Banat zuständig. 

Die grausame Geschichte der Juden Anfang der 1940er Jahre im Banat ist seit etwa einer Woche in einer Ausstellung am Domplatz/ Piața Unirii in Temeswar/Timișoara zu sehen. Die Ausstellung ist in Form von Comics erstellt worden und bringt dem Betrachter Bilder aus der Vergangenheit näher – und zwar solche, die zur traurigsten Episode im Leben dieser Minderheit gehören, sie beleuchten aber teilweise auch die Erfahrungen von Roma während des Holocausts, denn auch sie wurden verfolgt und verschleppt, weil sie „anders“ waren. Die Comics wurden auf Initiative des Nationalen „Elie Wiesel“-Instituts für das Studium des Holocaust in Rumänien mit Hilfe von Schülerinnen und Schülern zweier Schulen aus dem Banat, des „Iulia Hașdeu“-Lyzeums aus Lugosch/ Lugoj und der Allgemeinbildenden Schule Nr. 18 aus Temeswar, erstellt. Die Stiftung Freedom House Romania unterstützte das mit EU-Mitteln zustande gekommene Projekt, das im Frühjahr des vergangenen Jahres begann. Die Karikaturen wurden vom Illustrator Octav Ungureanu auf Grundlage eines Drehbuchs gezeichnet, das die am Projekt beteiligten Schüler infolge einer längeren Forschungsarbeit im Rahmen des Geschichtsunterrichts erstellt hatten. Die Ausstellung beleuchtet die Geschichte der Juden während des Holocaust an verschiedenen Orten in Rumänien und setzt den Fokus stets auf die lokale Geschichte. In allen zehn Kreisen, in denen das Projekt umgesetzt worden ist, umfasst die Expo acht Plakate. 

Am Sitz der Jüdischen Gemeinde in Temeswar kamen in der vorigen Woche die Teilnehmer an dem Projekt „Bilder aus der Vergangenheit. Der Holocaust im Banat“ zusammen, um sich über die abgeschlossene Arbeit auszutauschen und das Projekt öffentlich vorzustellen. Dutzende von Teenagern füllten den Raum in der Mărășești-Straße Nr. 10, was die Veranstalter und Gäste ganz besonders freute. Gastgeberin Luciana Friedmann, die Vorsitzende der Temeswarer Jüdischen Gemeinde, die heute nur noch knapp 600 Seelen zählt, schilderte die aktuelle Situation der Juden in Temeswar und sprach auch von der Tatsache, dass sich diese in der Stadt „wie zu Hause“ fühlten, wobei Differenzen aufgrund ethnischer Kriterien überhaupt nicht wahrgenommen werden. Bei der von Filmregisseur Florin Iepan moderierten Podiumsdiskussion war auch Ana Bărbulescu, wissenschaftliche Forscherin am Nationalen „Elie Wiesel“-Institut für das Studium des Holocaust in Rumänien, zugegen. „Durch dieses Projekt wollten wir die Geschichte auf das Niveau der lokalen Gemeinschaften herunterschrauben“, erklärte Ana Bărbulescu, die die Geschichte der Juden in Rumänien während des Holocaust kurz umriss. Auch auf den Plakaten, die gegenüber des serbisch-orthodoxen Bistums am Domplatz zu sehen sind, wird diese Geschichte verdeutlicht. 

Im Jahr 1930 lebten in Rumänien fast 757.000 Juden. Ihr Schicksal sollte in der Zeitspanne 1940 – 1944 eine schreckliche Wende erleben. Während die Juden aus dem Altreich, mit Ausnahme jener aus der Südbukowina, nicht deportiert wurden, wurden jene aus Bessarabien und der Bukowina in den Jahren 1941-1942 nach Transnistrien deportiert, wo knapp die Hälfte ums Leben kam. Zwischen 1940 und 1944, als Nordsiebenbürgen unter ungarischer Verwaltung stand, wurden die Juden aus dieser Region im Mai-Juni 1944 nach Auschwitz verschleppt. Bekannt sind außerdem die Gräueltaten der Armee und der Gendarmerie, die, oft auch mit Unterstützung der 11. Deutschen Armee und der Einsatzgruppen D, die im Jahr 1941 zwischen 45.000 und 60.000 Juden in Bessarabien und der Bukowina niedermetzelten. Die Überlebenden dieses Massakers wurden im Herbst desselben Jahres, gemeinsam mit den Juden aus der Südbukowina, nach Transnistrien verschleppt. Dort wurden etwa 180.000 Juden in Ghettos gesteckt, wobei zwischen 105.000 und 120.000 von ihnen wegen Hunger, Kälte und Krankheit ums Leben kamen. Die Roma aus Rumänien hatten es unterdessen auch nicht leichter: Zwischen Juni und August 1942 wurden rund 11.400 wandernde Roma vom gesamten rumänischen Gebiet nach Transnistrien verschleppt – weitere 13.700 angesiedelte Roma folgten im September desgleichen Jahres. Die Zwangsverschleppung überlebten nur 11.000 Menschen. 

Auch im Banat hatten die Juden nach 1935 unter den antisemitischen Gesetzen zu leiden. Die Ausstellung zeigt das Schicksal des jungen Martin aus Reschitza, der nach Temeswar zum israelitischen Lyzeum geht, am 26. November 1938 das Attentat während der „Sidy Thal“-Aufführung in der Oper überlebt, doch schließlich zur Zwangsarbeit auf verschiedenen Baustellen in der Westregion Rumäniens und darüber hinaus verschleppt wird. Dies war das Schicksal, das die meisten Juden aus dem Banat während der 1940er Jahre erleiden mussten. „Diese Menschen mussten jahrelang unter Militärgerichtsbarkeit leben. Wer die Arbeitsordnung nicht befolgte, der wurde mit der gesamten Familie nach Transnistrien deportiert“, erklärte die Forscherin Ana Bărbulescu. 

Während ihrer Forschungstätigkeit konnten die Schüler auch erfahren, dass es auch Menschen gegeben hatte, die die Gesetze aus Menschlichkeit ihren Mitbürgern gegenüber zu umgehen versuchten und somit nicht nur ihre Arbeitsstelle, sondern auch ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten. Es ist dies das Beispiel des Majors Ioan Peșchir, Chef der Gendarmenlegion Temesch-Torontal, der im September 1942 insgesamt 268 Roma vor der Deportation nach Transnistrien rettete. Kein einziger Roma aus Temeswar wurde deportiert, während aus dem gesamten Kreis Temesch 78 Roma verschleppt wurden. Solch rettende Aktionen wurden jedoch in anderen Landesteilen nicht durchgeführt, sodass insgesamt rund 25.000 Roma zwangsverschleppt wurden. „Es gab eine gewisse individuelle Freiheit, was die Umsetzung der Deportationsverordnungen angeht“, schlussfolgerte Ana Bărbulescu. Das Projekt der Comics-Ausstellungen endet im November in Bukarest. In Temeswar kann die Open-Air-Ausstellung etwa zwei Monate lang besichtigt werden. 

Das Nationale Elie Wiesel“-Institut für das Studium des Holocaust in Rumänien plant weitere Projekte, die vor allem jungen Menschen die Geschichte der Juden in Rumänien näherbringen sollen. Auch Kurzfilme oder Animationsfilme sollen demnächst als Bildungsinstrumente erstellt werden, verriet Ana Bărbulescu. Das Feedback der Schüler, die im Unterricht diese Art von Materialien verwendeten, sei ein positives gewesen. Und auch die Schülerinnen und Schüler im Saal bestätigten bei der Podiumsdiskussion am Sitz der Jüdischen Gemeinde in Temeswar, dass sie sich gern Animationsfilme ansehen würden – der Geschichtsunterricht wäre dadurch viel spannender und ansprechender.