Bismarck hinter Edisons Bett

Ein einzigartiges Tondokument belebt den „eisernen Kanzler“

„Friedrichsruh am 7. Oktober 1889“, raunt eine Männerstimme, bevor sie vom Rauschen und Knistern des Aufnahmegeräts übertönt wird. Entfernt rezitiert dieselbe Stimme noch das amerikanische Volkslied „In good old colony times“, Ludwig Uhlands Gedicht „Schwäbische Kunde“ und das Studentenlied „Gaudeamus igitur“. Dann werden einige Verse der „Marseillaise“ gesprochen, zuletzt noch ein väterlicher Ratschlag.

Diese merkwürdigen Aufnahmen stammen von niemand geringerem als Otto von Bismarck (1815–1898), der sich an jenem Herbsttag im Jahr 1889 auf seinem Schloss in Friedrichsruh zunächst den sensationellen Phonografen des Erfinders Thomas Edison (1847–1931) vorstellen lässt, bevor er selbst zur Aufnahme schreitet. Edisons Mitarbeiter Theo Wangemann hatte sich von dem „eisernen Kanzler“ eine politische Botschaft an die Deutschen beiderseits des Atlantiks gewünscht, doch der 74-Jährige spricht lieber eine sonderbare Textauswahl ein. Vielleicht ist ihm angesichts des gespannten Verhältnisses zu dem neuen Kaiser Wilhelm II. – im folgenden Frühjahr wird Bismarck seinen Rücktritt einreichen – nicht nach großen Worten. Vielleicht misstraut er auch dem neumodischen Apparat. Immerhin hatte sich sogar der Kaiser geweigert, Tonaufnahmen anfertigen zu lassen, und auch Helmut von Moltke findet für den Phonografen nur kritische Worte aus Goethes „Faust“.

Die Aufnahmen gerieten in Edisons Labor in Vergessenheit, bis sie 1957 bei einer Inventur hinter seinem Bett gefunden wurden, ohne dass ihnen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Erst jetzt wurden einige der Wachswalzen digitalisiert und von Stephan Puille, Laboringenieur an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, entschlüsselt. Die Sensation ist groß, denn Wangemann hatte um 1889 zahlreiche Prominenz aus Kultur und Politik zur Aufnahme gebeten. So finden sich unter den zwölf Tonspuren die älteste Chopin-Interpretation, ein Mitschnitt von Johannes Brahms, mit Worten von Helmut von Moltke erstmals auch eine Aufnahme eines Deutschen aus dem 19. Jahrhundert – und die festgehaltene Stimme Bismarcks. Ihm zugeordnet werden konnten sie von Puille mithilfe von zeitgenössischen Zeitungsberichten über damalige Aufnahmen. Überraschend hingegen ist Bismarcks Zitat der französischen Nationalhymne: Wollte sich der Kanzler über das besiegte Nachbarland mokieren, pflegte er einen derart zynischen Humor?

Überraschend dürften auch die Ratschläge an Bismarcks Sohn Herbert für diesen sein, mit denen die Aufnahme endet. Hierin fordert ausgerechnet der umtriebige, dem leiblichen Wohl nicht abgeneigte Kanzler seinen Sohn dazu auf, das Arbeiten, Essen und Trinken nur „in Maßen und Sittlichkeit“ zu betreiben.