Brot ist wenig, dafür Zirkus jede Menge

Gar nicht einfach, Bürger zu sein in Rumänien

Nicht zimperlich in der Wortwahl: Nicht nur Demonstranten, sondern auch führende Köpfe in der gegenwärtigen rumänischen Politszene haben in ihrer Aggressivität und Trivialität einen unsäglichen Diskurs. Das Beispiel wirkt. Die einige Hundert Demonstranten gegen die Rückkehr Băsescus als Staatschef, die sich täglich auf dem Bukarester Universitätsplatz und in anderen Städten versammeln, bleiben vorläufig in einem übersichtlichen Rahmen.
Foto: Agerpres

Gar nicht einfach, sich dieser Tage in Rumänien als Journalist zu betätigen, der sich nicht als Söldner des einen oder des anderen parteipolitisch und ökonomisch gesteuerten und untergeordneten Medienkonzerns versteht. Gar nicht einfach, etwas zu verstehen aus der absurden TV-Politshow, die seit einiger Zeit fast pausenlos an den Mann zu Hause gebracht wird.
Nun, knappe vier Wochen nach dem Volksentscheid zur Amtsenthebung des Präsidenten Traian Băsescu, hat das Verfassungsgericht letztlich doch entschieden: Das Referendum ist ungültig, die Interimspräsidentschaft Crin Antonescus hört auf, der gewählte Staatschef kehrt nach Cotroceni zurück. Der Entschluss scheint logisch, zumal das amtliche Ergebnis gleich nach dem 29. Juli eine Beteiligung von 46,23 Prozent der Wahlberechtigten bestätigte und damit das Scheitern des Unternehmens besiegelte. Aber was heißt heute noch logisch?

Die Sozialliberale Union, Initiator und Organisator des Referendums, bezweifelte nach Bekanntgabe des anscheinend unerwarteten Ergebnisses die Gültigkeit der Wählerlisten (die bei den Lokalwahlen im Juni noch in Ordnung schienen). Das war der Anfang eines grotesken Kampfes, dessen Hauptwaffen – Manipulierung der Öffentlichkeit und Druckausübung auf wichtigste Institutionen des Staates – jede auch nur mittelmäßige Intelligenz verletzten. Das Verfassungsgericht musste unstimmige Daten klären und beantragte bei der USL-Regierung die zum 29. Juli gültigen ständigen Wählerlisten. Darauf reagierte die USL-Regierung zunächst mit der Absicht, auf die Schnelle eine Mini-Volkszählung zu veranstalten, anschließend gab sie sich mit einer Aktualisierung (durch die lokalen Behörden) der Listen zufrieden. Der liberale Verwaltungsminister Radu Stroe zeigte sich begeistert von den für Überraschungen sorgenden aktualisierten Daten, PSD-Innenminister Mircea Dușa schlug hingegen einen vorsichtigeren Ton an und betonte, dass es sich dabei ausschließlich um eine Einschätzung der realen Wählerschaft handle (das „unfähigere“ Paar Innenminister Rus – Verwaltungsminister Dobre war inzwischen gegangen worden).

Was brachten diese Unterlagen oder Daten oder Zahlen an Neuigkeiten? Den irgendwie verschleierten Vorschlag, inzwischen oder längst verstorbene Bürger sowie solche mit ungültigen Papieren oder mit dem Wohnsitz im Ausland aus den Wahllisten oder/bzw. aus dem Quorum zu streichen. Das mit den Toten ist  klar, weiter verstehe ich es nicht mehr so richtig. Welche Bürger mit ungültigen Papieren oder Wohnsitz außerhalb Rumäniens hätte man aus den ständigen Listen entfernen sollen? Alle (das hätte ja implizite das Quorum verändert, nicht wahr?) oder nur diejenigen, die nicht präsent waren beim Volksentscheid? Und wieso verliert jemand, der (noch) als rumänischer Staatsbürger im Ausland wohnt oder der es verschlampt hat, seine Dokumente zu erneuern, das Wahlrecht? Wer entscheidet darüber? Diskutieren kann man natürlich über alles Mögliche, vielleicht müssen verschiedene Änderungen in den Wahllisten auch wirklich vorgenommen werden, ich weiß es nicht, aber nicht und nimmer während oder nach dem Spiel.
Eigentlich glaube ich nicht einmal, dass es viele Politiker hierzulande gibt, die sich geschrumpfte Wahllisten wünschen. Das würde weniger Abgeordnete bedeuten, weniger Kommunalpolitiker, weniger Geld u. a. m. Warum dann der ganze Trubel? Wie gesagt, um Zeit zu gewinnen (vielleicht, behaupten Politologen, um einige Änderungen vorzunehmen an der Spitze des Justizministeriums und/oder der Generalstaatsanwaltschaft und/oder der Antikorruptionsbehörde), um Druck auszuüben auf Politiker und Institutionen, um die Massen zu manipulieren, wahrscheinlich (auch) im Hinblick auf die Wahlen im Spätherbst oder Winter.

Wie erwartet, hat das Verfassungsgericht weggesehen von diesen kindischen Spielchen und schließlich das Referendum wegen des mangelnden Quorums (nötig war eine Beteiligung von 50 Prozent plus einem Wahlberechtigten) nicht validiert.

Was bedeutet das? Leider nicht viel. Auch lehrt uns die jüngste Geschichte, dass kein definitiver Beschluss unbedingt endgültig ist, kein Statement länger gültig als ein paar Tage... Passieren kann noch allerhand. Die Justiz hat aber ihren Part getan, das Gesetz wurde respektiert. Auch ist es gut, dass die Staatsanwaltschaft landesweit Strafverfahren einleitet – wie ich hoffe, tatsächlich wegen Wahlbetrugs – denn auch der muss ein für allemal aufhören.
Traian Băsescu geht zurück nach Cotroceni. Als ein Präsident, der Macht und die Unterstützung des Volkes längst verloren hat, der, seiner Würde wegen, vielleicht selbst zurücktreten müsste. Nur, der USL führt den hysterischen Kampf gegen den nicht mehr suspendierten Suspendierten und wieder zu Suspendierenden weiter. Laut Erklärungen des Teams Crin Antonescu – Victor Ponta gleich nach der Bekanntgabe des Entscheids des Verfassungsgerichts, verkörpert der Mann, der sogar aus der „Garage“ die Medien weltweit kommandiert und die Kanzleien in Europa beeinflusst, der schuldig ist für den Sturz des Leu und das schlechte Image Rumäniens, das Böse und muss beseitigt werden. Die sechs Richter, die für die Ungültigkeit des Referendums stimmten, handelten antinational, der PDL-Vorsitzende Blaga versteht als „Zöllner“, wie Antonescu ihn nannte, nichts, die etwas mehr als eine Million Rumänen, die sich gegen die Amtsenthebung des Präsidenten äußerten, oder die neun Millionen, die sich aus den verschiedensten Gründen,  auch weil sie dazu aufgerufen wurden,  nicht beteiligt haben am Referendum, existieren nicht. Aber 7,5 Millionen Menschen, die die Sozialliberalen zu vertreten glauben, haben sich deutlich für die Amtsenthebung ausgesprochen.

Was folgt? Die Pressekonferenz der beiden USL-Vorsitzenden am Dienstag lässt uns nicht auf eine Zusammenarbeit der Palais hoffen. Vergessen wir die Wirtschaft, die Arbeitsplätze, die europäischen Gelder, vergessen wir Schengen, was soll‘s, vergessen wir einfach alles. Der Machtkampf ist akut, der Hass tobt. Groll zeichnet aber auch die Gesellschaft, die bereits gefährlich gespalten ist. Die Menschen sind, mit gutem Recht, unzufrieden. Brot haben sie wenig, dafür Zirkus jede Menge, also ernähren sie sich damit. Die Zeit bis zu den Parlamentswahlen wird bestimmt nicht ruhig und reibungslos verlaufen. Zum Glück ist sie kurz. Viel werden aber auch die Wahlen nicht bringen können, denn die Auswahl ist nicht besonders toll: Auf der einen Seite diese unnatürliche links-rechts Kombination mit der einheitlichen simplen und arroganten Rhetorik: Jeder der nicht mit uns ist, ist unser Feind. Auf der anderen Seite der noch gespenstische Versuch eines konservativen Bündnisses mit viel zu wenig neuen, unbelasteten und charismatischen Akteuren, mit selten wirklich wichtigen Inhalten. Ah, nicht vergessen bleibe die Volkspartei Dan Diaconescus.

Vor diesem Hintergrund eine einzige Schlussfolgerung: Es ist gar nicht einfach dieser Tage, einfach Bürger zu sein in Rumänien.