Bummelzug adieu: MTU erobert Zug um Zug rumänischen Bahnmarkt

Die Technik zur Bahnsanierung Rumäniens kommt aus Friedrichshafen

Maschinenschlosser Ion Jiga, immer mit dem Wischlappen in der Hand, vor dem MTU-Power Pack

Der junge Verkaufsmanager George Spermezan an seinem Schreibtisch

Produktionsdirektor Vasile Lixandru, im Hintergrund eines der entkernten und aufgebockten Lokgehäuse, die mit MTU-Dieselelektrotechnik ausgestattet werden

Auch die Drehgestelle der Loks und Triebwagen werden erneuert, wobei das Abdrehen ein erster Schritt ist.

Die rumänische Bahn unterhält mit einem Gleissystem von 20.730 Kilometern eines der längsten Eisenbahnnetze Europas. Doch die 1200 Lokomotiven und 300 Schienenbusse rumpeln häufig kaum schneller als in Schrittgeschwindigkeit über die maroden Schienen. Eine 100-km-Strecke wird durchschnittlich in zweieinhalb Stunden bewältigt. Mit Hilfe moderner Dieselmotorentechnik aus dem Hause MTU Friedrichshafen  (MTU = Motoren  und Turbinenunion) soll es künftig aufwärts gehen mit dem rumänischen Bahnverkehr: Triebwagen erhalten moderne Powerpacks aus Friedrichshafen; alte Lokomotiven bekommen neue Großdieselmotoren.

Es ist fast schon ein zärtliches Streicheln: Wenn Ioan Jiga, 52, das blaue Metall berührt, meint man, der gelernte Maschinenschlosser ertaste zerbrechliches Porzellan. Ehrfurchtsvoll blickt er auf die drei Buchstaben in Augenhöhe: MTU steht auf dem riesigen, 2000 Kilowatt starken Großdieselmotor vom Typ 16V4000R41 in der Werkhalle von „Remarul 16 Februarie“ in Klausenburg/Cluj-Napoca. MTU? Ion Jiga schüttelt ratlos den Kopf. „Ein Unternehmen aus Deutschland“, weiß er. Und: „Die haben einen sehr guten Ruf.“ Im Hintergrund steht das stählerne Skelett einer Lokomotive: Keine Räder mehr, kein Innenleben, nur eine metallische Hülle.

Darauf eine stilisierte Adlerschwinge auf schwarzem Kreis (=Rad) mit der Aufschrift: „Căile Ferate Române“. Schlicht: „Die Rumänischen Eisenbahnen“ – die Bezeichnung für die staatliche rumänische Eisenbahngesellschaft, Kürzel CFR. „Und mit dem neuen Motor aus Deutschland“, weiß Ion Jiga, „wird das wieder eine supermoderne Lok.“

Kraftpakete zur Umrüstung

Ein paar Hallen weiter auf dem 14 Hektar großen Remarul-Gelände am Klausenburger Bahnhof wieder die charakteristischen Buchstaben MTU. Dort haben sich die Mitarbeiter an die Bezeichnung gewöhnt. Statt riesiger Lokomotiven stehen hier Triebwagen, die meisten ebenfalls ausgekernt. „Und diese Triebwagen“, erklärt Produktionsdirektor Vasile Lixandru, „statten wir mit modernen Power-Packs von MTU aus.“

So kompliziert sie für den Laien auch klingen mag: Die Typenbezeichnung kann Vasile Lixandru auswendig: PP 6H 18000R84P. Dahinter verbirgt sich die Kombination eines Dieselmotors mit einem Elektrogenerator, ein so genannter Power Pack. Die werden eingebaut – ein wichtiger Baustein im Zuge der Umrüstung. 13 solcher Power-Packs hat MTU bereits an Remarul ausgeliefert; weitere werden folgen. Die meisten werden in umgebaute, aus Deutschland angekaufte, Schienenbusse montiert.

Erst die Power-Packs für die Triebwagen, dann Großdieselmotoren vom Typ 16V4000R43: MTU Friedrichshafen spielt in Zusammenarbeit mit dem Partnerunternehmen „Remarul 16 Februarie“ in Klausenburg bei der Modernisierung des Lokomotiven- und Triebwagenparks Rumäniens eine bedeutende Rolle. Zwar verfügt Rumänien über eines der längsten Eisenbahnnetze Europas.

Doch wer irgendwo zwischen Konstanza/Constanţa, Bukarest und Temeswar/Timişoara mit der Bahn fährt, der wähnt sich häufig um etliche Jahrzehnte in die Vergangenheit versetzt: Vor allem die Nahverkehrszüge schleichen eher durch die Landschaft, als dass sie fahren. Schrullige  Gestalten, Männlein wie Weiblein, kurbeln vor den Bahnwärterhäuschen die Schranken noch per Hand auf und ab. Schienen sind verrostet, von Unkraut überwuchert. So manche Lok ächzt sich museumsreif ihren Weg von einem Bahnhof zum nächsten.

Wachstumsmarkt Eisenbahnmodernisierung

Daran soll sich in den kommenden Jahren einiges ändern: Rund 17 Milliarden Euro will Rumänien bis zum Jahr 2018 in die Modernisierung der Eisenbahn investieren; ein Großteil der Mittel kommt aus Infrastrukturfonds der Europäischen Union. Mit ihren modernen High-Tech-Dieselmotoren ist MTU Friedrichshafen in Zusammenarbeit mit Remarul in Klausenburg ganz vorne mit dabei.

George Spermezan hat wenig Zeit: „Ein Meeting heute nach dem anderen“, entschuldigt er sich. Der Jung-Manager, der in seiner Geburtsstadt Karlsburg/Alba Iulia Soziologie und Wirtschaftswissenschaften studiert hat, verkörpert die junge Führungsgeneration beim altehrwürdigen Bahntechnik-Unternehmen Remarul, das 1870 gegründet wurde und wo viele der Hallen zu Industriedenkmälern erklärt sind. „Wir sind gerade dabei, wichtige Personalentscheidungen zu treffen: Die Führungsebene soll verjüngt werden. Wir müssen mit dem Lauf der Zeit gehen.“ In korrektem silbrig-beigen Anzug, aber ohne Krawatte, verschwindet er dann auch schon wieder aus dem Großraumbüro, das er mit fünf weiteren Mitarbeitern teilt.

Doch schon wenig später kehrt er zurück. Jetzt hat Spermezan, Chef der Marketing-Abteilung bei Remarul, ein paar Minütchen mehr übrig: Zwar sei er noch nie in Friedrichshafen gewesen, erzählt er. Die Zusammenarbeit mit MTU mache ihm und seinen Kollegen aber ausgesprochen Freude: „Man ruft in Friedrichshafen an – und hat meistens sofort den richtigen Ansprechpartner an der Leitung.“ Rückfragen würden stets zeitnah beantwortet. Die Geschäftspartner in Friedrichshafen seien bekannt dafür, sich in die spezifischen Probleme hineinzudenken, die es bei der Integration moderner Dieselmotorentechnik im Hause Remarul zu bewältigen gibt.

Fokusmarkt Rumänien

Dabei ist es noch eine junge Zusammenarbeit, die die beiden Unternehmen verbindet: Eine Remarul-Delegation besuchte vor gut zwei Jahren die Bahntechnikmesse „Immotrans“ in Berlin – und verweilte am Stand der MTU Friedrichshafen ein wenig länger als geplant: Die Power-Packs für die Triebwagen, aber auch die Großmotoren machten die rumänischen Manager neugierig: „Mehr Leistung als vergleichbare Konkurrenzprodukte bei geringerem Volumen und Gewicht“, bringt Remarul-Produktionsdirektor Vasile Lixandru aus seiner Sicht die Vorteile auf den Punkt.

Hinzu komme modernste elektronische Steuerung, beste Getriebetechnik, sparsamer Verbrauch – und die Einhaltung scharfer Abgasrichtlinien, die längst auch für das EU-Land Rumänien verbindlich geworden sind. Nach dem Termin in Berlin ging dann alles schnell, man kam ins Geschäft: Erst die Power-Packs für die Triebwagen, dann die Großmotoren für die Lokomotiven – ein Erfolg versprechender Auftakt.

„Für uns ist das eine sehr wichtige Geschichte“, ergänzt Manfred Goessler, bei MTU Friedrichshafen für die Geschäftskontakte mit Remarul zuständig, „Rumänien ist ein so genannter Fokus-Markt.“ Das bedeutet: In vergangenen Jahrzehnten wurden Lokomotiven aus rumänischer Produktion nicht nur für das eigene Land hergestellt, sondern beispielswei-se auch nach Polen und Bulgarien ausgeliefert. Auch die sind längst renovierungsbedürftig: Machen die Experten in Rumänien gute Erfahrungen mit den MTU-Aggregaten, stehen die Chancen gut, dass auch die bulgarischen und polnischen Fahrzeuge Motoren vom Bodensee erhalten.

Schnellzüge mit 120 km/h

Dabei war Rumänien ursprünglich ein Eisenbahnland par exzellence: 1857 bereits wurde die erste Strecke zwischen Temeswar und dem heutigen ungarischen Szeged eröffnet, noch früher jene zwischen dem Kohlenpott von Steierdorf-Anina und dem Donauhafen Basiasch, kurz darauf Bukarest - Giurgiu. Die österreichisch-ungarische Herrschaft beflügelte den Ausbau des Bahnnetzes. Schließlich war Kaiser Franz Joseph I. ein ausgesprochener Eisenbahnfan: Als er am 15.-27. September 1896 der Eröffnung der Donau-Schiffahrtsrinne am Eisernen Tor beiwohnte, ließ er zur Anreise einen eigenen Empfangsbahnhof an der damals neuen Strecke Temeswar – Bukarest bauen. Die führte nach Herkulesbad – und beflügelte ganz nebenbei auch noch den Fremdenverkehr in der Region.

Dem kommunistischen Diktator Nicolae Ceauşescu war es lieber, seine Untertanen langsam, im Zug, als wesentlich schneller im Auto fahren zu sehen. Mit Ausnahme des knapp 100 km langen Abschnitts zwischen Pite{ti und Bukarest verfügte das Land bis vor Kurzem über so gut wie keine Autobahnen. Das war in den 70er Jahren durchaus so gewollt: Wenn die Untertanen nicht allzu schnell von einem Punkt zum nächsten gelangen konnten, war die Gefahr konterrevolutionärer Umstürze geringer, dachten sich die kommunistischen Herrscher.

Deshalb war es ihnen ganz recht, wenn der rumänische Zug an sich im Schneckentempo über die Gleise rumpelte – eine Ideologie, welche die Infrastruktur des Landes bis heute prägt.

Immerhin hat sich bei der Modernisierung des Bahnsystems schon einiges getan: Neben den heruntergekommenen Bummelzügen sind auf den Hauptverkehrsstrecken schwedische Asea-Elektroloks der Baureihe 60EA unterwegs. Electroputere Craiova baut die Loks in Lizenz nach. Auf wichtigen Strecken ist auch die „Săgeata Albastră“, der „Blaue Pfeil“ zu sehen. Der dieselelektrisch betriebene Schnellzug stammt von Siemens. Doch allzu schnell schießt der „Blaue Pfeil“ nicht durch die rumänischen Lande: Auf den meisten Strecken gelten 120 Stundenkilometer als Höchstgeschwindigkeit; mehr geben die Schienen nicht her. Neben der staatlichen Eisenbahngesellschaft CFR bedienen 20 private Bahnunternehmen mehr oder weniger rentable Strecken; viele von ihnen sind Remarul-Kunden und damit potenzielle Kandidaten für MTU-Motoren.

Kapitalismus mit kommunistischem Namen

Mit Hilfe der neuen Dieseltechnik will Remarul in Klausenburg eine Lücke schließen: Mit den Power-Packs für die Triebwagen lässt sich auch der Nahverkehr modernisieren. Und mit den Großdieselmotoren lassen sich alte Loks umrüsten. Das ist wesentlich günstiger als der Kauf neuer Loks.
Beim Bahntechnik-Unternehmen „Remarul 16 Februarie S.A.“ sieht man, wie Alt und Neu aufeinan-der trifft: Seit 1992 ist der ehemalige Staatsbetrieb privatisiert und wird heute als Aktiengesellschaft betrieben. Der Umsatz des rund 500 Mitarbeiter starken Unternehmens lag im vergangenen Jahr bei 27,5 Millionen Euro; die Bilanz weist Gewinne aus. Zug um Zug wird eine Betriebshalle nach der anderen gleich neben dem Bahnhof von Klausenburg renoviert. Allerdings: bei Hallen unter Denkmalschutz sind Modernisierungen an viel Bürokratie gebunden.

Gerade eben hat das Unternehmen eine Lizenz des französisch-kanadischen Bahnherstellers Bombardier erworben, um einen eigenen Triebwagen zu bauen – mit MTU-Motoren, versteht sich.

Der Zusatz „16 Februarie“ im Namen weist dagegen auf die Jahrzehnte des Kommunismus hin: Denn am 16. Februar 1933 wurde in Bukarest ein Streik der Eisenbahner blutig niedergeschlagen – ein Ereignis, das die Kommunisten über Jahrzehnte hinweg als Beleg für das brutale Gesicht des Kapitalismus propagandistisch ausgeschlachtet hatten. Der Zusatz „16 Februarie“ steht immer noch in der Unternehmensbezeichnung von Remarul. Doch das Unternehmen hat sich längst selbst zur ‘kapitalistischen’ Aktiengesellschaft gewandelt.

Zurück in der Werkhalle mit den ausgekernten Lokomotiven: „Habt ihr alle Fotos fertig?“ Fragend und ein wenig stolz blickt Schlosser Ion Jiga seine Gäste an. Die nicken – und Ion schreitet zur Tat: Er breitet eine riesige Abdeckplane über den 2000 Kilowatt mächtigen blauen MTU-Motor, „damit nichts beschädigt wird.“ Den Motor vom Bodensee behandelt der langjährige Remarul-Mitarbeiter, immer den Wischlappen gegen Staubkörnchen zur Hand, wie ein rohes Ei.